Sexualisierte Gewalt: Die Lernkurve des Franz-Josef Bode
Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode bekennt sich zu seinen Fehlern im Umgang mit Missbrauchsfällen. Doch er will nicht zurücktreten. Gerade weil eine neue Studie ihm und der Bistumsleitung für die letzten Jahre deutliche Fortschritte bescheinige, sehe er sich in der Pflicht, die Verantwortung weiter zu übernehmen und umso entschiedener die Aufarbeitung voranzutreiben, erklärte er am Donnerstag.
Aber welche Fehler und welche Fortschritte sind es konkret, die die Forscher der Universität Osnabrück in ihrem am Dienstag vorgestellten Zwischenbericht über sexualisierte Gewalt im Bistum aufzeigen? Anhand von 16 akribischen Fallbeschreibungen fragt die Studie, ob und inwieweit Bischöfe und leitende Mitarbeiter ihren rechtlichen, kirchenrechtlichen und moralischen Pflichten nachgekommen sind, wenn sie Hinweise auf sexualisierte Gewalt durch Kleriker erhielten.
In 11 der 16 detailliert beschriebenen Fälle war auch der seit 1995 amtierende Bischof Bode involviert – in unterschiedlichem Maße. Aber als Bischof ist er, wie die Studie mehrfach festhält, "natürlich letztlich verantwortlich für alle Handlungen des Bistums".
Fortschritte beim Umgang mit Priestern, aber...
Im Umgang mit beschuldigten Priestern bescheinigt die Studie Bode und seinem Team deutliche Fortschritte – vor allem in den jüngst vergangenen Jahren. Anders sieht es aus bei der Kommunikation mit Betroffenen sowie den Hilfen und Zahlungen für sie. Deren Blickwinkel und Rechte sind ein Schwerpunkt der interdisziplinären Studie. Ein Ergebnis: "Lange war ziemlich unklar, welche Rechte genau die Betroffenen haben", so Projektleiter Hans Schulte-Nölke. Auch deswegen habe man erst einmal einen entsprechenden Katalog erstellt.
Der vollständige Bericht
Betroffene – Beschuldigte – Kirchenleitung. Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen sowie schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen durch Kleriker im Bistum Osnabrück seit 1945. Zwischenbericht: Pflichtverletzungen der Bistumsleitung.
Diesen Rechten der Betroffenen entsprächen aufseiten der Bistumsleitung nicht nur rechtliche, sondern auch moralische Pflichten. Zumal bei einer Institution wie der Kirche. Die Pflichten betreffen "angemessenes Verhalten gegenüber Betroffenen", "Hilfeleistung, Schadensersatz und finanzielle Anerkennung", "Ermittlung weiterer Betroffener", "Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Taten des Beschuldigten", Maßnahmen zur Aufklärung sowie ab 2010 Strafanzeige bei staatlichen Strafverfolgungsbehörden und kirchenrechtliche Verfahren gegen Beschuldigte.
Nach dem von ihnen entwickelten Kriterienkatalog analysieren die Forscher 16 Fälle. Dabei kommen sie zum Schluss, Bischof Bode habe "in den ersten Jahrzehnten seiner Amtszeit mehrfach Beschuldigte, auch solche, an deren Gefährlichkeit kaum Zweifel bestehen konnte, in ihren Ämtern belassen". Oder er habe sie "in Ämter eingesetzt, die weitere Tatgelegenheiten ermöglichten, etwa als Subsidiar und Pfarradministrator oder sogar mit Leitungsaufgaben in der Jugendseelsorge betraut".
Echte Auseinandersetzung mit Betroffenen erst ab 2018
Im Fall T.D. beließ Bode laut der Studie einen Geistlichen, dem sexuelle Übergriffigkeit und auch Vergewaltigung gegenüber einer Minderjährigen vorgeworfen wurde, zunächst im Dienst. Zudem habe er den Beschuldigten nicht nachdrücklich genug zu einer Therapie gedrängt. Später sei nicht genügend darauf geachtet worden, ob T.D. erneut übergriffig werden konnte. Auch ein kirchenrechtliches Verfahren habe es nicht gegeben.
Im Fall des Beschuldigten E.S. gibt es etliche Betroffene, die sich bei kirchlichen Stellen meldeten. 21 minderjährige männliche Betroffene waren zumindest bei den ersten Übergriffen fast alle jünger als 14 Jahre. E.S. wurde 1997 aufgrund eines ärztlichen Attests pensioniert, von Bode aber schon 2000 in einer Gemeinde als Subsidiar (Aushilfsgeistlicher) eingesetzt, die Beauftragung sogar mehrfach erneuert. Zwischenzeitlich leitete E.S. als Pfarradministrator sogar vertretungsweise die Gemeinde.
Das Resümee der Studie zum Fall E.S.: Das Handeln der Bistumsleitung war vor 2010 stark auf den beschuldigten Kleriker hin ausgerichtet. Interessen etwaiger Betroffener tauchten in Überlegungen nicht auf. Eine echte Auseinandersetzung mit Betroffenen habe es erst ab 2018 gegeben. Dabei liefen die Kontakte vor allem über neu eingesetzte unabhängige Ansprechpersonen.
Bischof Bode nach Missbrauchsbericht: Ich bin blind gewesen
Es beschäftige ihn sehr, "wie blind wir eigentlich gewesen sind und wie blind ich gewesen bin für das Leiden und die Perspektiven der Betroffenen": Bischof Franz-Josef Bode reagiert auf den Osnabrücker Missbrauchsbericht.
In einem als S.B. betitelten Fall geht es um sexualisierte Gewalt an einer Jugendlichen in den 1980er-Jahren. Das Mädchen war je nach Angaben damals zwischen 14 und 16 Jahren alt. Wie sich später herausstellte, beruhte das anfangs auch von der Betroffenen als "Beziehung" benannte Verhältnis auf Manipulationen des Beschuldigten, der die Jugendliche von ihm abhängig machte.
Im Anschluss an eine Therapie informierte die Frau 2002 den Bischof über ihre Erfahrungen. Obwohl sie in einem späteren Telefonat Bode sagte, man solle S.B. nicht mehr in der Kinder- und Jugendarbeit einsetzen, und dem Bischof "die heikle Situation bewusst war", wurde der Beschuldigte mit einer nebenamtlichen Leitungsfunktion in der Jugendarbeit betraut. Darin wurde er zwei Mal bestätigt. "Mögliche weitere Taten wurden dadurch nicht verhindert, sondern wären dadurch sogar eher befördert worden", resümiert die Studie.
Die dringliche Bitte des Bischofs
Zwei weitere wiederkehrende Feststellungen: Kaum jemand habe sich bemüht, beim Bekanntwerden von Fällen nach weiteren Betroffenen zu suchen. Auch seien öffentlich selten die wahren Gründe einer Versetzung oder Pensionierung benannt worden.
Eine lange Liste, die es weiter aufzuarbeiten gilt. Und das will Bode mithilfe verschiedener Maßnahmen im Rahmen eines neuen Schutzkonzeptes zügig vorantreiben, wie er am Donnerstag versprach. Verbunden mit einer eindringlichen Bitte – auch an die Adresse der Betroffenen: "Bei allen persönlichen Fehlern bitte ich weiter um das Vertrauen aller Beteiligten und hoffe, dass sie den gemeinsamen Weg mit mir fortsetzen."