Kirchenrechtler zu KHKT: NRW-Argumentation ohne Rückhalt im Konkordat
Der Konflikt um die von Kardinal Rainer Maria Woelki geförderte Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) scheint sich weiter zuzuspitzen. Zuletzt hat die Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Ina Brandes (CDU), in einem Bericht an den Landtag betont, dass die Hochschule keine weiteren Priester des Erzbistums Köln ausbilden soll. Die Hochschule sei aufgefordert worden, allen nach dem Wintersemester 2019/2020 eingeschriebenen angehenden Priestern einen Wechsel an die Universität Bonn nahezulegen. Bei einer weiteren und fortgesetzten Einschreibung von Priesteramtskandidaten wurde zunächst sogar "die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens beim Heiligen Stuhl" in Aussicht gestellt. Gemeint ist dabei das Preußenkonkordat, das auch Bestimmungen zur Ausbildung Geistlicher enthält. Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier, gleichzeitig Experte für Staatskirchenrecht, analysiert die Argumentation der Ministerin. Auch wenn er diese für nicht vom Konkordat gedeckt hält und eher "politische" Gründe als Triebfeder der Forderungen sieht: Die Gründung einer kirchlichen Hochschule als eine Art Parallelstruktur zu einer staatlich finanzierten Theologischen Fakultät sieht er ebenfalls als problematisch an im Hinblick auf die konkordatären Garantien. Ein Interview.
Frage: Die NRW-Kultusministerin betont in einem Bericht, dass das Erzbistum Köln nicht weiter Priester an der KHKT ausbilden lassen soll, und begründet ihre Aufforderung damit, dass dadurch eine Verletzung des Preußischen Konkordats vorliege. Wir beurteilen Sie diesen Schritt, Herr Bier?
Bier: Dass hier eine Verletzung der konkordatsrechtlichen Vereinbarungen vorliegt, kann ich nicht erkennen. Hier werden zwei Argumentationslinien verquickt. Die eine lautet: Angehende Kölner Priester müssen an der Theologischen Fakultät der Universität Bonn studieren, weil das Preußische Konkordat das so festlegt. Meiner Einschätzung nach folgt aus dem Konkordat aber nicht, dass für künftige Kölner Geistliche nur Bonn der einzige zulässige Ausbildungsort ist. Die andere Argumentationslinie lautet: Selbst wenn angehende Kölner Priester nicht unbedingt in Bonn studieren müssten, dürften sie das keinesfalls an der KHKT tun. Ich meine aber, dass auch diese Auffassung im Preußenkonkordat keinen Rückhalt findet.
Frage: In dem Brief wird Artikel 12 des Preußenkonkordats ins Feld geführt. Dieser wird in dem Schreiben offenbar so ausgelegt, dass Bistümer, in denen es zum Zeitpunkt des Konkordatsabschlusses bereits eine staatliche Katholisch-Theologische Fakultät gegeben hat, nicht berechtigt sind, zusätzlich eine kirchliche Hochschule für die wissenschaftliche Ausbildung angehender Geistlicher einzurichten. Ist diese Ansicht demnach falsch?
Bier: In Artikel 12, Absatz 1 des Konkordats heißt es: Für die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen bleiben die Katholisch-Theologischen Fakultäten an den Universitäten, unter anderem eben in Bonn, bestehen. Da heißt es nicht: Die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen muss an diesen Fakultäten geschehen. Das Konkordat macht also keine Aussage darüber, an welchem Ort bestimmte Priesteranwärter studieren müssen. Bevor die Kölner Diskussion eingetreten ist, hat das auch niemand behauptet. Es ist ja völlig unstrittig, dass angehende Priester ihr komplettes Theologiestudium zum Beispiel an einer Päpstlichen Universität in Rom absolvieren können. Der kirchliche Vertragspartner hat sich auch nicht dazu verpflichtet, angehende Priester bestimmter Diözesen an bestimmten Orten ausbilden zu lassen.
Seinerzeit hat der kirchliche Vertragspartner auch nicht erklärt, er verzichte darauf, andere Wege für die Ausbildung katholischer Priester einzurichten. Die Rechte solcher privaten Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft wie die KHKT sind überhaupt nicht Gegenstand des Konkordats. Dass neben staatlichen Theologischen Fakultäten auch andere Ausbildungseinrichtungen in Betracht kommen, war schon 1929 beim Abschluss des Konkordats beiden Vertragspartnern klar. In Artikel 12, Absatz 2 des Konkordats wird ja unter anderem den Diözesanbischöfen von Paderborn, Trier und Fulda zugestanden, in ihren Bistümern kirchliche Seminare zur wissenschaftlichen Vorbildung von Geistlichen zu unterhalten, die den Vorgaben des staatlichen Hochschulrechts entsprechen müssen. In der Regierungsbegründung zum Preußischen Konkordat steht zwar drin, man gehe davon aus, dass zu den genannten Seminaren künftig weitere nicht hinzukommen. Aber das schließt nicht aus, dass die Vertragspartner sich später darauf einigen, noch weitere kirchliche Einrichtungen zuzulassen. Dass das überhaupt nicht möglich sein soll, ist dem Konkordatstext meines Erachtens nicht zu entnehmen. Was allerdings richtig ist: Private Hochschuleinrichtungen bedürfen einer ausdrücklichen staatlichen Anerkennung.
Frage: Sehen Sie hier einen möglichen Hebel des Landes Nordrhein-Westfalen?
Bier: Die Kölner Hochschule ist hervorgegangen aus der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Steyler Missionare. Das war eine staatlich anerkannte Hochschule. 2020 ist die Trägerschaft auf das Erzbistum Köln übergegangen. Damit ist eine Veränderung eingetreten, die nach dem NRW-Landeshochschulgesetz Auswirkung auf die Anerkennung haben kann. Nach den mir zugänglichen Informationen hat das Land diese Anerkennung erteilt – nach Aussage der Ministerin allerdings verbunden mit dem Hinweis, die Neueinschreibung von Priesteramtskandidaten sei von der staatlichen Anerkennung nicht umfasst. Es kann viele Gründe geben, warum der Staat dafür keine Anerkennung ausspricht. Ich sehe aber nicht, dass man das in erster Linie und sehr gut mit dem Preußischen Konkordat begründen könnte.
Frage: Kritiker sehen in diesem Schreiben der Ministerin einen massiven Eingriff in kirchliche Belange, weil das ja beinahe wie ein Verbot klingt. Inwieweit darf sich der Staat in Themen wie die Priesterausbildung einmischen? Oder in diesem konkreten Fall: Wieso prescht die Landesregierung überhaupt so vor?
Bier: Der Staat darf sich nur soweit einmischen, wie das Konkordat es zulässt – und darüber, wie weit das geht, wird gestritten. Meines Erachtens handelt es sich hier in erster Linie aber nicht um eine konkordatsrechtliche Frage, sondern um eine politische.
Frage: Inwiefern?
Bier: Möglicherweise geht es der Landesregierung darum, eine Drohkulisse aufzubauen, um den Kölner Erzbischof zum Einlenken zu veranlassen. Denn wenn das Konkordat insgesamt auf den Prüfstand käme und eventuell neu verhandelt würde, kann der kirchliche Vertragspartner nicht gewinnen. Man muss bei der ganzen Debatte eines beachten: Die Position der Landesregierung ist eigentlich eine sehr kirchenfreundliche. Sie möchte dafür sorgen, dass weiterhin an der Theologischen Fakultät einer staatlichen Universität Priesterausbildung stattfindet.
Frage: Kann ein Grund für diesen Schritt der Regierung darin liegen, weil man auch staatlicherseits – wie in manchen kirchlichen Kreisen – die Sorge hat, mit der KHKT könne eine Art konservative "Kaderschmiede" entstehen?
Bier: Das kann man in diese Richtung interpretieren. Kardinal Woelki steht ja im Ruf, eine bestimmte kirchenpolitische Position zu haben. Und es ist schon vorstellbar, dass die Landesregierung sagt, eine dadurch geprägte Priesterausbildung wollen wir nicht anerkennen.
„Meines Erachtens sollten Bischöfe froh sein, wenn eine Landesregierung vehement für den Fortbestand der Priesterausbildung an staatlichen Universitäten eintritt und damit eben auch für den Fortbestand der Theologischen Fakultät.“
Frage: Sie haben gesagt, dass der Staat mit seinem Anliegen, weiter für eine Ausbildung von Geistlichen an staatlichen Fakultäten zu sorgen, eine kirchenfreundliche Position einnimmt. Welchen Eindruck macht es dann, wenn Bischöfe eigene Hochschulstrukturen aufbauen wollen?
Bier: Der staatliche Vertragspartner im Preußenkonkordat steht bis heute zu seiner Garantie, an staatlichen Universitäten Theologische Fakultäten zu unterhalten und zu finanzieren, um die Ausbildung von Geistlichen, heute sollte man eher von Seelsorgerinnen und Seelsorgern sprechen, zu gewährleisten. Und von daher finde ich, dass Diözesanbischöfe nicht gut beraten sind, wenn sie den Sinn dieser konkordatären Zusage aushöhlen, indem sie signalisieren, wir brauchen die staatlichen Fakultäten gar nicht, wir bilden unseren Nachwuchs in Eigenregie aus.
Frage: Macht Kardinal Woelki diesen Eindruck?
Bier: Man kann schon fragen – und darauf stellt ja auch die Bonner Fakultät ab –, warum denn der Kardinal neben einer Fakultät, die komplett vom Staat bezahlt wird, eine weitere Ausbildungsstelle für Priester einrichtet. Diese Frage stellte sich auch dann, wenn die Finanzierung der Hochschule zuverlässiger geklärt wäre als das in Köln der Fall zu sein scheint. Und auch dann, wenn die Motive für den Betrieb dieser Hochschuleinrichtung weniger diskussionswürdig sind als jene, die Kardinal Woelki nachgesagt werden. Meines Erachtens sollten Bischöfe froh sein, wenn eine Landesregierung vehement für den Fortbestand der Priesterausbildung an staatlichen Universitäten eintritt und damit eben auch für den Fortbestand der Theologischen Fakultät. Wenn die Bischöfe darauf bestehen, ihr eigenes Ausbildungssüppchen zu kochen, dann gefährden sie nicht nur den Bestand der Katholisch-Theologischen Fakultäten und begünstigen mittelfristig deren Abschaffung. Sie forcieren damit auch das Verschwinden der Theologie aus dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs. Das fände ich sehr dramatisch.
Frage: Kardinal Woelki hat kürzlich gesagt, er habe mit der Übernahme der Hochschule perspektivisch eine "Investition in die Unabhängigkeit der Kirche" vorgenommen, weil sie damit rechnen müsse, die Privilegien an den staatlich finanzierten theologischen Fakultäten zu verlieren. Das klingt auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar. Wie bewerten Sie das?
Bier: Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin macht im vorliegenden Fall deutlich, dass sie die konkordatäre Bestandsgarantie für die Bonner Katholisch-Theologische Fakultät gerade nicht in Frage stellt, sondern gewillt ist, daran festzuhalten und dafür einzustehen. Derzeit ist dieses "Privileg" mit Blick auf die Bonner Fakultät also gar nicht gefährdet, jedenfalls nicht vonseiten des staatlichen Vertragspartners. Gewiss: Niemand kann vorhersehen, wie das in 20 Jahren aussehen wird. Zumindest im Augenblick ist es jedoch der Erzbischof von Köln, der dieses Privileg gefährdet, indem er die Priesterausbildung an einer kirchlichen Hochschuleinrichtung etablieren möchte und damit signalisiert, die kirchliche Seite lege keinen gesteigerten Wert mehr auf staatlich finanzierte Theologische Fakultäten.
Frage: Die Ministerin hat zunächst mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht, ist jetzt aber davon abgerückt. Dennoch: Wie würde das ablaufen? Gibt es da Präzedenzfälle?
Bier: Das kann ich Ihnen aus dem Stand nicht sagen. Ich denke, man beruft sich hier darauf, dass bei Fragen zur Auslegung einzelner Konkordatsbestimmungen ein Kontakt mit dem Vertragspartner gesucht wird und die Meinungsverschiedenheit auf "freundschaftliche Weise", wie es in Artikel 13 des Preußenkonkordats heißt, beseitigt wird. Der Begriff "Vertragsverletzungsverfahren" fällt da nicht. Meines Erachtens wäre zunächst zu klären, ob der Vertrag überhaupt verletzt ist. Im Moment stehen sich ja erst einmal die beiden Positionen gegenüber. Es besteht eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob ein Konkordatsbruch vorliegt oder nicht. Wie dann so ein Verfahren aussehen würde, kann ich nicht sagen. Es würden zunächst einmal Gespräche darüber stattfinden, wie der Streit beizulegen ist. Das ist die Idee der "Freundschaftsklausel" im Konkordat.
Frage: Wer wäre denn der Richter in so einem Verfahren?
Bier: Ich sehe nicht, wer da ein Schiedsrichter sein könnte. Deshalb wird in Artikel 13 nicht auf ein Organ verwiesen, das über Meinungsverschiedenheiten entscheidet. Vielmehr sollen die Vertragspartner zu einem Einvernehmen kommen. Wenn deren Gespräche ergebnislos blieben, kann ich mir schon vorstellen, dass einer der Vertragspartner sagt: Wenn die Dinge so stehen, dann müssen wir tatsächlich einzelne oder gar alle Bestimmungen des Konkordats neu verhandeln.
Frage: Einige werfen im Rahmen dieser Debatte die Frage auf, inwiefern die Konkordate überhaupt noch zeitgemäß sind. Was würden Sie dazu sagen?
Frage: Zunächst einmal gelten sie noch. Das ist völlig unstrittig. Es ist auch völlig unstrittig, dass ein solcher Vertrag nicht einseitig aufgekündigt werden kann. Zumindest wäre das sehr schlechter Stil. Bislang sehen sich beide Vertragspartner an das Preußische Konkordat gebunden und den jeweiligen Zusagen verpflichtet. Der kirchliche Vertragspartner kann meines Erachtens froh sein, dass es die Konkordate noch gibt. Die Dinge, die darin festgehalten werden, sind noch immer hilfreich. Die staatlichen Vertragspartner und der Heilige Stuhl sind offensichtlich der Meinung, dass Konkordate weiterhin zeitgemäß sind. Da muss man nur auf die neuen deutschen Bundesländer schauen, in denen nach der Wende auch solche Verträge abgeschlossen wurden.