Christoph Kürzeder leitet das neueröffnete Diözesanmuseum Freising

Museumsdirektor: Kunst hat nicht nur dienende Funktion

Veröffentlicht am 02.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Freising ‐ Nach neun Jahren Sanierung öffnet das Freisinger Diözesanmuseum wieder seine Pforten. Direktor Christoph Kürzeder betont, dass Kunst ein Weg zu Glaube und Spiritualität sein kann – sich ihre Funktion darin jedoch nicht erschöpft.

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Neun Jahre war das Diözesanmuseum Freising für eine Großsanierung geschlossen. Nun wird es am 2. Oktober wiedereröffnet. Im Interview spricht Direktor Christoph Kürzeder (57) darüber, wie er und sein Team die Zeit kreativ überbrückt haben und was die Besucherinnen und Besucher künftig erwartet.

Frage: Herr Kürzeder, mit Jan Polacks Bild der Maria Magdalena mit wallendem Haar und dem Slogan "Die haarigen Zeiten sind vorbei" wurde für die Wiedereröffnung geworben. Ihr Humor scheint Ihnen nicht abhandengekommen zu sein, oder?

Kürzeder: Bei so einem komplexen Projekt muss man unbedingt den Humor behalten und beizeiten Abstand wahren. Dass es so lange dauern würde, war von vornherein absehbar.

Frage: 2013 wurde Ihr Haus plötzlich dichtgemacht. Würden Sie sagen, das hatte auch etwas Positives?

Kürzeder: Aus einer Komfortzone heraus wurden wir auf einmal mit einer Situation konfrontiert, die sehr viel Flexibilität, Kreativität und Innovation gefordert hat. Wir haben mit Erfolg Kooperationspartner für Ausstellungen gefunden wie die Kunsthalle München und das Bayerische Nationalmuseum. Dann kam noch das ehemalige Kloster Beuerberg dazu, in dem wir ab 2016 ein regelmäßig nutzbares Ausstellungs- und Kulturzentrum mit besonderer Atmosphäre etablieren konnten. All diese Projekte waren hilfreich, um das neue Haus zu planen.

Frage: Inwiefern?

Kürzeder: Wir bekamen ein Gefühl dafür, wie wir an verschiedenen Orten Menschen mit unseren Themen erreichen konnten. Denn als kirchliches Museum geht unser Auftrag über eine normale Kunst- und Kulturvermittlung hinaus. Wir wollen helfen zu ergründen, was die Welt zusammenhält und die Suche des Menschen nach Sinn und Transzendenz anhand der Kunst ermöglichen.

Frage: Der Münchner Pastoraltheologe Ludwig Mödl sagte jüngst: "Die Kirche braucht Kunst, und wenn wir die Kunst nicht haben, werden wir eine Sekte."

Kürzeder: Kunst hat aber nicht allein eine dienende Funktion. Sie ist eigenständig und frei. Natürlich gab es Phasen, wie etwa in der Gegenreformation oder im 19. Jahrhundert, wo die Kunst in den Dienst der Kirche genommen wurde. Heute gilt es zu fragen: Was können Künstler für die vielfältigen Sinnfragen der Menschen tun? Denn wir erleben Religion nicht nur als heilsförderlich, sondern auch als aggressiv und destruktiv. Das Museum wird da zum Dialog- und Denkraum.

Frage: Was heißt das für ein modernes Ausstellungskonzept?

Kürzeder: Die Besucherinnen und Besucher sollen von den Kunstwerken inspiriert und zum Nachdenken gebracht werden. Die Sammlung war früher chronologisch aufgebaut. Stück für Stück arbeitete man sich durch die Epochen. Künftig gibt es ein eher anthropologisches Konzept: Denn jeder Mensch ist von seiner Herkunft, seiner Biografie geprägt und erfährt im Leben Freud und Leid.

Freisinger Domberg
Bild: ©Fotolia.com/animaflora

Das Museum befindet sich auf dem Freisinger Domberg.

Frage: Kann Kunst helfen, das, was in der Gesellschaft an Religiösem verloren gegangen ist, wiederzuentdecken?

Kürzeder: In einer Schausammlung geht es darum, die Menschen vor allem emotional zu erreichen. Nehmen wir die Votivbilder. Da werden individuelle Geschichten erzählt, wo Menschen in Extremsituationen Hilfe von oben erhalten haben. Die Leute lassen sich gegenüber einer Maria oder einer oder einem Heiligen malen. Wir alle erleben Momente des Glücks, der Verzweiflung und der Angst. Wenn Christus am Ölberg weint, dann bin ich auch als Christ im 21. Jahrhundert ergriffen, denn ich habe einen Gott, der in die Welt kommt, der echte Angst erlebt und Gefühle zeigt.

Frage: 40.000 Exponate zählt die Sammlung. Gibt es Stücke, die nun besser zur Geltung kommen?

Kürzeder: Das 1974 eröffnete Haus, in dem früher ein Knabenseminar war, hatte auch vor der Sanierung durchaus seinen Charme. Die neue Ausstattung sorgt aber dafür, dass alle Stücke nun einen wertigeren Rahmen bekommen haben. Wir haben auch viele Objekte in den letzten Jahren restaurieren lassen. So wurde etwa bei manchen Skulpturen ihre Originalfassung wieder freigelegt, wie bei einer Weilheimer Madonna aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Ein Highlight sind die großen Tafeln, die Jan Polack um 1500 für die Pfarrkirche Sankt Peter in München geschaffen hat. Nachdem sie über ein halbes Jahr in einer Restaurierungswerkstatt waren, schauen sie jetzt einfach unglaublich aus.

Frage: Was ist neu?

Kürzeder: Wir haben bewusst Künstler angefragt, ob sie für dieses Museumsprojekt eigene Werke schaffen würden. James Turrell hat eine große Lichtinstallation für einen zentralen Ort im Gebäude, nämlich die einstige Kapelle, entworfen. Den sich über zwei Etagen erstreckenden Raum hat der US-Künstler, selbst in einer Quäkerfamilie aufgewachsen und deshalb sehr vom Christentum geprägt, für seine Installation ausgewählt. Entstanden ist eine sehr eindrückliche Arbeit. Anders als sonst hat er hier, von Raum und Ort inspiriert, auch das natürliche Licht integriert. Wenn man das Museum betritt, fällt der Blick sofort auf diesen Lichtraum. Turrell selbst beschreibt seine Werke als spirituell. Wenn man diesen Raum betritt, dann verändert sich die Wahrnehmung, man begibt sich sozusagen in eine andere Dimension.

Frage: Wird das Werk erklärt?

Kürzeder: Kunst sollte auch ohne Erklärung funktionieren. Trotzdem braucht es manchmal einen Impuls. Beim Betrachter sollte etwas ausgelöst werden. Das Schlimmste wäre Gleichgültigkeit. Deshalb empfehle ich: reingehen und auf sich wirken lassen. Ansonsten bieten wir einen Audioguide an, auch per Smartphone können Informationen abgerufen werden. Jeder Raum ist atmosphärisch anders gehalten. So dominieren etwa in unserem Memento-mori-Kabinett dunkle Töne; Rosa haben wir für das heitere Rokoko gewählt, wo die Engel von Ignaz Günther mit ihren Speckfalten und Pausbacken für Entspannung sorgen. Es ist ein Wechselbad der Gefühle – wie das Leben und die Religion.

Frage: Wo sind die Krippen abgeblieben?

Kürzeder: Jeweils von Ende November bis Anfang Februar werden sie im zweiten Stock zu sehen sein. Aber erst ab 2023, der Aufbau ist zu aufwendig, das haben wir jetzt nicht mehr geschafft. Außerhalb der Krippensaison nutzen wir die Räume für Sonderausstellungen. Im Untergeschoss, wo die Krippen früher waren, befindet sich nun eine Gastronomie mit Zugang zum Garten. Von der Terrasse bietet sich ein großartiger Blick auf Freising und bei gutem Wetter auf München und die Berge. Auch den Flugzeugen kann man beim Starten und Landen zuschauen. Eine vielfältige Landschaft, die Geschichte und Gegenwart verbindet.

Von Barbara Just (KNA)