Göttlicher Ruf und objektives Urteil

Berufung auf dem Prüfstand

Veröffentlicht am 30.10.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Immer wieder wird von Berufung gesprochen, meistens in Bezug auf das Priesteramt. Doch der Begriff ist weiter und betrifft alle Menschen. Was aber ist überhaupt mit Berufung gemeint? Inwiefern kann das Vorhandensein einer Berufung geprüft werden? Ein kritischer Blick auf ein vielbemühtes Konzept.

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"Wachsender Wunsch, den Glauben weiterzugeben. Wachsende Freude am großherzigen Dienst für andere. Wachsendes Hingezogen-Sein zu Gott!: Als Entscheidungshilfe, um eine Berufung zu erkennen, sind diese drei Kriterien auf der Homepage des Priesterseminars Bamberg zu finden. Weitergabe des Glaubens, Freude am Dienst und eine tiefe Gottesbeziehung scheinen als Marker für eine geistliche Berufung auszumachen zu sein. Doch was genau steckt eigentlich hinter dem vielbemühten Konzept der Berufung? Immerhin ist es in vielen Gemeinden selbstverständlich, um geistliche Berufungen zu beten. Der vierte Ostersonntag wird weltweit als Gebetstag um geistliche Berufe begangen und immer wieder ist zu hören, dass es doch einen Unterschied zwischen Beruf und Berufung gibt. Mit anderen Worten: Jeder geistliche Dienst wird abgegrenzt gegenüber einem reinen Berufs-Verständnis und mit einer religiösen Dimension unterfüttert. Berufung ist, folgt man dieser Auffassung, nichts, das man sich selbst nehmen oder wählen könnte, sondern Geschenk, reine Gnade.

Als die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Vorbereitung der Schemata für das Konzil zusammentraten, gab es hinsichtlich des Konzepts der Berufung große Unsicherheit. So wird ausdrücklich im ersten Schema-Entwurf über die kirchlichen Berufungen betont: Niemand kann den priesterlichen Dienst ausüben, wenn er nicht dazu berufen ist. Als biblische Begründung wird Hebr 5,4 angeführt: "Und keiner nimmt sich selbst diese Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie Aaron." Schon Kardinal Ernesto Ruffini macht daraufhin in der Vorbereitungskommission deutlich, dass eine Berufung immer aus zwei Elementen bestehen müsse: Eine echte Berufung kommt ganz und gar von Gott, sie ist also immer eine übernatürliche Gabe. Und zugleich ist in eine Berufung auch stets der Bischof eingebunden, denn ihm fällt die Aufgabe zu, letztendlich zu klären, ob es sich wirklich um eine göttliche Berufung handelt. Der Bischof soll die Zeichen einer Berufung erkennen und die Kandidaten, die mit Sicherheit eine solche göttliche Berufung besitzen, zum Empfang des sakramentalen Ordo zulassen. Dennoch bemerkt der Vorsitzende der Vorbereitungskommission, Kardinal Giuseppe Pizzardo: Das Konzil sollte keine Definition des Begriffs "Berufung" vorlegen. Es sei zwar statthaft, in einem Schema aufzuzeigen, wie göttliche und kirchliche Elemente bei einer Berufung zusammenspielen, eine lehrmäßige Definition sollte aber nicht vom Konzil getroffen werden.

Das eigentliche Sakrament der Berufung: die Taufe

Es verwundert daher auch nicht, dass das Dekret über die Ausbildung der Priester "Optatam totius" nur zwei Mal von "Berufung" spricht. Beides Mal wird nicht auf eine spezielle Berufung zum Priestertum abgehoben, sondern auf jene Berufung, die alle Gläubige kraft ihrer Taufe besitzen. Die "hohe Berufung des Menschen" wird schließlich zum Hauptthema in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes". Der Mensch ist daher auch der Angelpunkt der Pastoralkonstitution, die in ihrer Nummer 19 ausdrücklich festhält: "Ein besonderer Wesenszug der Würde des Menschen liegt in seiner Berufung zur Gemeinschaft mit Gott."

Schon das Zweite Vatikanische Konzil macht daher aufmerksam, dass eine Berufung nicht nur mit dem Priestertum in Verbindung steht. "Gott ruft jeden, aber mit anderer Stimme", hat der Theologe Yves Congar einmal gesagt. Die Berufung ist immer vielfältig: Wer beim Gebet um geistliche Berufungen nur an Berufungen zum Priester denkt, nimmt letztlich jene Berufung nicht ernst, die jedem Menschen zu eigen ist. Jeder Mensch, so Gaudium et spes, ist zur Gemeinschaft mit Gott berufen. Und im speziell christlichen Sinn kann diese Berufung ganz unterschiedliche Formen annehmen: Die Berufung zu einem hauptamtlichen Dienst (zum Beispiel zur Pastoralreferentin, zum Gemeindeassistenten, usw.), die Berufung zum Ordensleben, die Berufung, ein bestimmtes Ehrenamt in der Gemeinde auszuüben, die Berufung, das Evangelium im Alltag zu verkünden etc. Die Berufung ist vielfältig. Denn wenn Gott, wie Congar sagt, mit anderer Stimme ruft, dann muss auch jeder die Antwort geben, die ihm ganz persönlich entspricht. Der Maßstab, an dem sich eine jede Berufung orientieren muss, kann mit Mk 3,14 so gefasst werden: "Und er setzte zwölf ein, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden (…)." Das Bei-Jesus-Sein und die aktive Verkündigung des Evangeliums können die beiden Grundpfeiler bilden, auf denen jede Berufung ruht. Denn Berufung heißt letztlich nichts anderes als sich immer wieder öffnen für Christus und für sein Wort. Bei Jesus sein, heißt: Sich einlassen auf seine Gegenwart und auf seine Stimme hören. Denn Jesus Christus ist das Urbild der christlichen Berufung: Er war offen für den Ruf Gottes, dem er in seinem Leben Ausdruck verliehen hat, bis zum Tod am Kreuz.

Ein Mann wird zum Priester geweiht
Bild: ©KNA/CIRIC/Corinne Simon (Symbolbild)

Das Leben Jesu nach dem Ruf Gottes gilt als Urbild christlicher Berufung.

Wenn sich schon die Väter auf dem Zweiten Vaticanum verweigern, in der Diskussion um das Schema der Ausbildung der Priester den Begriff der Berufung zu definieren, dann zeigt das: Berufung ist ein schwer fassbares Ereignis. Und: Berufung ist auch ein überhöhtes Phänomen. Der Dogmatikprofessor Oliver Wintzek hat Berufung jüngst als ein "Willkürkonzept" bezeichnet. Das Problem, so Wintzek, liegt darin, dass Berufungen immer sehr subjektiv sind und durch keinerlei Objektivität einholbar. Mit anderen Worten: In letzter Konsequenz gibt es keine objektiven Kriterien, mit denen eine Berufung geprüft werden kann, auch, wenn das manchmal vorgegeben wird. Wintzek hält fest: "Ein subjektives Berufungsbewusstsein kann selbst nicht dergestalt kontrolliert werden, ob ihm ein realer göttlicher Grund entspricht. Nimmt man es dennoch für bare Münze, verböte sich zudem eine äußere Kontrolle durch Dritte. Diese wäre letztlich anmaßend und verginge sich an der Berufungshoheit Gottes." Doch dass es gerade diese Überprüfung durch Dritte, speziell den Bischof braucht, hat schon Kardinal Ruffini in der Vorbereitungskommission des Konzils festgestellt: Wenn es sie nicht gäbe, müsste der Bischof jedem die Hände auflegen, der meint, eine göttliche Berufung zu besitzen. Auch Bernhard Körner hat in seiner Replik auf Oliver Wintzek auf das Kriterium einer "menschlichen und geistlichen Prüfung" verwiesen.

Schlussendlich zeigt sich: Der Berufungsbegriff ist belastet und vor allem dann, wenn er einseitig und einschränkend für jene Ämter benutzt wird, für die der Empfang des sakramentalen Ordo fundamental ist. Es gilt zunächst den Berufungsbegriff in seiner vollen Weite wiederzuentdecken; das hat das Konzil bereits getan, wenn es von der "hohen Berufung" des Menschen spricht. Und es gilt neu zu bedenken, ob es zwischen dem subjektiven Empfinden einer göttlichen Berufung und deren Überprüfung durch objektive Kriterien nicht einen dritten Raum gibt, der beides auf überraschende Weise verknüpft. Schließlich ist gerade hinsichtlich des Priesteramts auch ein funktionalistischeres Verständnis nicht sofort von der Hand zu weisen. Vielleicht ist gerade im Blick auf den Priestermangel das Konzept der Berufung neu auf den Prüfstand zu stellen und kritisch zu fragen, inwiefern das Vorhandensein einer möglichen göttlichen Berufung zum Zeitpunkt der Zulassung zur Weihe wirklich das entscheidende Kriterium ist.

Bernhard Körner mahnt, den Berufungsbegriff nicht ausschließlich als "Aussagen des subjektiven Bewusstseins der Berufenen zu sehen" und auch die theologische Perspektive einer Berufung nicht zu vernachlässigen. Doch am Ende bleibt die Frage offen, inwiefern eine solche göttliche Berufung objektiv beurteilt werden kann. Auch hier gilt es, manches auf den Prüfstand zu stellen und weiterhin kritisch zu diskutieren.

Von Fabian Brand