Am Ende ermüdet: Das Bistum Lugano sucht vorzeitig einen neuen Hirten
Valerio Lazzeri wirkt etwas gehemmt. Als er dann aber beginnt zu sprechen, sind seine Worte klar und bruchlos: "Widersprüchliche Gefühle bedrängen mein Herz. Ich bin mir der erheblichen Konsequenzen, des Gewichts und einer gewissen Fassungslosigkeit bewusst, die meine Entscheidung bei einigen Menschen auslösen wird." Lazzeri, seit 2013 Bischof des schweizerischen Bistums Lugano, tritt zurück – mit nur 59 Jahren. Eigentlich bitten Bischöfe den Papst erst rund um ihren 75. Geburtstag um Entpflichtung von ihren Aufgaben, nicht wenige bleiben auch darüber hinaus im Amt.
Obwohl der Vatikan keine Gründe für den Rücktritt nennt, spricht Lazzeri offen darüber. "Aufrichtigkeit und völlige Transparenz zwingen mich, Ihnen zu sagen, dass vor allem in den letzten zwei Jahren eine innere Müdigkeit in mir gewachsen ist, die mir nach und nach den Schwung und die Gelassenheit genommen hat, die für die Leitung der Kirche von Lugano erforderlich sind", sagt er. Vor allem das Stehen in der Öffentlichkeit, Repräsentation und der Umgang mit Finanzen und Verwaltung seien für ihn "unerträglich" geworden. "Ich habe keinen Hochschulabschluss in Wirtschaft oder Handel", sagt er bei der Pressekonferenz am Montag.
Er habe sein Amt immer mit Freude und von Herzen ausgeübt, so Lazzeri. Besonders die Verkündigung des Evangeliums, die Feier der Sakramente und die Begegnungen mit Menschen hätten ihm gefallen. Jetzt aber könne er sich "selbst nicht mehr in diesem Amt vorstellen". Lazzeri will sich nun in Gebet und Reflexion zurückziehen. Wohin genau sagte er auch auf Nachfrage nicht. Er will die Beziehungen zum schweizerischen Kanton Tessin aber nicht aufgeben.
Lazzeri stammt aus dem Tessin, dort wurde er 1963 im Örtchen Dongio geboren. Nach dem Studium in Lugano, Freiburg und Rom promovierte er 1991 über Spiritualität. Danach blieb er zunächst in Rom und arbeitete bei der Kongregation für das Katholische Bildungswesen. 1999 wurde er Dozent in Lugano, Bischofsvikar und Spiritual im Priesterseminar, bevor er 2013 Bischof wurde.
Turbulente Diözese
Ein Kommentar des nun ehemaligen Oberhirten deutet schon daraufhin, was der größte Knackpunkt bei seiner Entscheidung gewesen sein könnte: "Die Notwendigkeit, eine Autorität zu repräsentieren, hat die spontanste und natürlichste Art und Weise, wie ich mit Menschen in Beziehung trete, unter Druck gesetzt." Es sei ihm schwergefallen, Autorität auszuüben, die unter bestimmten Umständen nicht ohne rechtliche und disziplinarische Instrumente auskomme. Ein Hinweis auf die turbulente Geschichte einer jungen Diözese.
Das Bistum Lugano mit seinen knapp 250.000 Katholikinnen und Katholiken gibt es erst seit 1971, als die damalige Apostolische Administratur aus dem Bistum Basel herausgelöst wurde. An aufsehenerregenden Vorfällen mangelte es dabei in den vergangenen Jahren nicht.
In die Medien kam etwa, als 2018 die bistumseigene Tageszeitung "Giornale del Popolo" geschlossen wurde. Damals warf man Lazzeri neben Kritik an der Schließung an sich vor, nicht gut kommuniziert zu haben. Denn die Diözese hatte am 17. Mai das Ende der Publikation angekündigt – die letzte Ausgabe erschien bereits am Tag darauf. Bis auf eine Erklärung Lazzeris und eines kurzen Kommentars der Direktorin blieben die Zeitungsseiten demonstrativ leer.
Auch im Klerus mangelte es nicht an Skandalen: Ein Priester betrog eine Stiftung und die eigenen Eltern um mehrere hunderttausend Franken, er wollte das Geld für seinen Geliebten ausgeben. Ein anderer vergewaltigte sein eigenes Firmpatenkind, das daraufhin den Suizid beging. Dagegen fast harmlos war ein anderer Priester, der sich mehrmals betrunken in der Öffentlichkeit zeigte und in einer Diskothek eine Frau belästigte. Dazu kam ein Generalvikar, der über Jahre mit einer nicht gemeldeten Hausangestellten zusammenlebte. "In allen Fällen glänzte Bischof Valerio Lazzeri nicht durch transparente Kommunikation", resümiert die "Neue Zürcher Zeitung". "Viele Katholiken im Tessin hätten sich klarere Worte gewünscht."
Würdigungen für den Zurückgetretenen
Nichtsdestotrotz gab es nach dem Rücktritt Würdigungen für Lazzeri. Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) dankte ihm "besonders für die Aufgaben, die er während der neun Jahre in ihrer Mitte, im Dienste des kirchlichen Lebens in der Schweiz erfüllt hat" und betont besonders die theologische Forschung und Ausbildung. Die Zusammenarbeit mit Lazzeri sei "stets gut und fruchtbar" gewesen, schreibt der Präsident und Bischof von Basel, Felix Gmür.
Der Churer Bischof Joseph Bonnemain betonte in einem Statement gegenüber dem Portal "kath.ch", dass er die tiefe Spiritualität Lazzeris schätze – und zeigte Verständnis für dessen Entscheidung: "Es war mir bekannt, dass er mit dem Gedanken, noch weitere 16 Jahre, den nicht einfachen und verantwortungsvollen Dienst des Diözesanbischofs wahrzunehmen, Mühe hatte. Doch gerade, weil er bei den Gläubigen sowie beim Klerus der Diözese Lugano sehr beliebt war, hoffte ich, dass er weiterhin im Amt bleiben würde." Auch der Sittener Bischof Jean-Marie Lovey zeigte "tiefe Anerkennung und tiefen Respekt": "Ich habe immer die theologische Höhe bewundert, zu der uns seine Beiträge während unserer Vollversammlungen geführt haben." Die Laien-Vertreterin der Diözese, Renata Asal-Steger, bemerkte auf der gleichen Plattform, es habe zwar nur wenige Kontakte gegeben, die seien jedoch "freundlich" gewesen.
Am Ende seiner Stellungnahme zum Rücktritt sagte Lazzeri: "Betrübt über die Unannehmlichkeiten, das Leid, die Enttäuschung, aber auch beruhigt darüber, dass ich mit gutem Gewissen nicht anders handeln kann, wage ich es, auf Ihr Verständnis, Ihre Zuneigung und Ihre Nähe zu zählen." Währenddessen ist bereits ein Interimsleiter in Lugano eingezogen: Der Lausanner Weihbischof Alain de Raemy wurde von Papst Franziskus zum Apostolischen Administrator ernannt und steht der Diözese bis zur Ernennung eines neuen Bischofs durch Franziskus vor. Er hat mit der Arbeit bereits begonnen.