Zwischen Leben und Sterben
Nicht nur, dass sich die Familie öffentlich um seinen Grabplatz zankte und tote Angehörige hin und her durchs Land trug. Nun muss der Friedensnobelpreisträger, der offenbar seit Wochen künstlich beatmet wird, noch einmal seinen Geburtstag feiern lassen: Heute wird Nelson Mandela 95 Jahre alt.
Kein Südafrikaner erwartet inzwischen mehr, "Madiba" noch einmal bei Bewusstsein zu sehen. "Madiba", das ist Mandelas Stammes- und Kosename. "Damit er wieder gesund wird, braucht es ein Wunder. Aber die Zahl an Wundern, die ein Mensch bekommt, ist irgendwann ausgeschöpft", orakelte schon vor Wochen ein Chief, ein traditioneller Stammesführer. Redaktionen überall auf der Welt haben ihre Porträts für den Todesfall vorliegen; in den großen Sendern sind Sonderprogramme startbereit.
Nun, kurz vor dem unerwarteten Geburtstag, zu dem wieder Grüße und Genesungswünsche aus aller Welt eingehen, kommt auch noch mal etwas Bewegung in die zuletzt mehr und mehr sterilen medizinischen Bulletins. Der Zustand des Patienten sei "nach wie vor kritisch, aber stabil", hieß es am Sonntag. Er spreche auf die Behandlung an, sagte Mandelas Ehefrau Graca Machel. Ja, Mandelas Amtsnachfolger als Staatspräsident (1999-2008) und ANC-Mitstreiter Thabo Mbeki verstieg sich am Samstag sogar zu der Aussage, es gehe Madiba besser, und er werde sicher bald nach Hause verlegt. Er, Mbeki, kenne die behandelnden Ärzte.
Unwürdiger Auftritt seiner "Erben"
Freunde, die ihn zuletzt besuchten, bestätigten, dass der Friedensnobelpreisträger mit Maschinen am Leben erhalten werde. Immer wieder wurde Mandela seit Dezember wegen einer Lungeninfektion ins Krankenhaus gebracht, die auf seine 27 Jahre Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt zurückgeht. Das Land hätte sich allmählich in das unvermeidliche Loslassen fügen können. Doch es kam anders, unruhiger, unwürdiger.
Sein letzter öffentlicher Auftritt war eigentlich die Schlussfeier der Fußball-WM 2010 im eigenen Land gewesen. Ende April dann sorgte eine umstrittene TV-Schaltung für Grusel und Proteste, die den Greis apathisch inmitten fröhlicher selbsternannter politischer Erben zeigte: Staatspräsident Jacob Zuma, ANC-Vizepräsident Cyril Ramaphosa und anderer Parteifunktionäre. "Wie ein Tier im Zoo. Wir sollten uns schämen", twitterte ein zorniger Bürger damals. Kein alter Mensch verdiene einen solchen Auftritt.
Sterben in Würde - Sterben ohne Würde. Vielleicht kann das Theater um Mandelas Geburts- und Todestag ein letzter moralischer Impuls sein, eine letzte ethische Debatte, die der "Vater der Nation" anstoßen kann. Es ist zu hoffen, dass ihm das Schicksal von Israels früherem Ministerpräsidenten Ariel Scharon (85) erspart bleibt. Scharon wird seit einem Schlaganfall im Wachkoma gehalten - seit siebeneinhalb Jahren.
Von Alexander Brüggemann (KNA)