"Bis heute kennt wohl niemand den Visitationsbericht"

Marx vermisst Transparenz im Umgang des Vatikan mit Woelki

Veröffentlicht am 15.10.2022 um 10:24 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Es brauche mehr Transparenz: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx wünscht sich einen nachvollziehbareren Umgang des Vatikan mit der Kölner Krise. So wisse wohl niemand, was im Bericht über die Apostolische Visitation im Frühjahr 2021 stehe.

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Der Münchner Kardinal Reinhard Marx übt Kritik am Vatikan in der Krise um seinen Kölner Amtsbruder Rainer Maria Woelki. "Es braucht Verfahren – transparente und nachvollziehbare", sagte Marx der "Welt am Sonntag". Der Erzbischof von München und Freising verwies beispielhaft auf die im Frühjahr 2021 vom Vatikan angeordnete Prüfung in Form einer sogenannten Apostolischen Visitation.

"Bis heute kennt wohl niemand den Visitationsbericht. Selbst der Apostolische Nuntius in Berlin sagt mir, er kenne ihn nicht", sagte Marx. "Wissen diejenigen, die von den Visitatoren befragt wurden in Köln, was von ihren Aussagen überhaupt weitergegeben wurde? Was genau ist zwischen dem Papst und Kardinal Woelki mündlich oder schriftlich vereinbart worden? Ich weiß es nicht."

"Das geht nicht am Volk Gottes vorbei"

Es stelle sich generell die Frage, was in Situationen zu tun sei, in denen zwischen dem Bischof und seinen Gremien oder dem Volk Gottes etwas grundlegend in Unruhe geraten sei. "In solchen Fällen einfach zu sagen: 'Die Zukunft eines Erzbischofs ist die Sache Roms, das geht die Ortskirche gar nichts an' – das finde ich, vorsichtig ausgedrückt, suboptimal", so der Münchner Erzbischof. "Natürlich muss der Papst in so einer Frage einbezogen werden, aber das geht nicht am Volk Gottes vorbei. Dazu braucht es klar geregelte Verfahren. Die fehlen uns."

Vor allem wegen der Missbrauchsaufarbeitung ist im Erzbistum Köln eine Vertrauenskrise entstanden. Papst Franziskus hatte Woelki im Herbst vergangenen Jahres in eine mehrmonatige Auszeit geschickt und ihn später aufgefordert, seinen Rücktritt anzubieten. Über den Amtsverzicht hat der Papst noch nicht entschieden.

Im Blick auf die theologische Rechtfertigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine durch den russisch-orthodoxen Patriarch Kyrill I. erklärte Marx, dass dieser auf Abwegen wandle. Kyrill vertrete das Konzept des "Heiligen Krieges" – "das hatten wir eigentlich hinter uns". Die Kreuzzüge im Mittelalter seien "mit solchen Sprüchen" geführt worden.

Patriarch Kyrill I.
Bild: ©KNA/Corinne Simon (Archivbild)

Patriarch Kyrill I. vertrete das Konzept des "Heiligen Krieges" – "das hatten wir eigentlich hinter uns", betont Kardinal Marx.

Im Angesicht der Krise des Religiösen gebe es zwei Irrwege, führte der Kardinal aus. "Der eine ist die Sentimentalisierung der Religion, Religion als reine 'Erbauung', der andere ist die Politisierung. Ich hatte eigentlich gedacht, zumindest der zweite Weg habe sich irgendwann in der Geschichte erledigt. Aber er feiert gerade fröhlichste Auferstehung." Religion, auch die christliche, könne zu einem "Schwungrad der Macht" werden. "Das ist die Versuchung des Großinquisitors in den 'Brüdern Karamasow'. Ihr nachzugeben, führt zur 'Perversion' des Christentums", so Marx. "Aber Kyrill ist nicht der Sprecher des gesamten Christentums."

Auf die Frage, ob Deutschland mehr Waffen an die Ukraine liefern sollte, antwortete Marx: "Auch mit unseren Waffen werden Menschen umgebracht. Ich finde es schlecht, dass Pazifisten mittlerweile als Dummköpfe runtergemacht werden." Weiter meinte der Kardinal: "Waffenlieferungen mögen derzeit das kleinere Übel sein, dem man dann zustimmen muss – ich selbst bin kein Pazifist und sehe keinen besseren Weg, den Angegriffenen zu helfen. Das ist aber keine theologische Einsicht, sondern eine der rationalen Ethik."

Grundsätzlich solle man "den lieben Gott aus dem Spiel lassen, wenn Menschen Krieg führen", fügte der Erzbischof von München und Freising hinzu. "Vor allem, wenn man sich überlegt, dass wahrscheinlich auf beiden Seiten die meisten getauft sind.

"Nicht alle furchtbar glücklich, wenn ich auftauche"

Über sich selbst sagte Marx, dass er aus seinem Herzen keine Mördergrube mache. "Ich bin ein Mensch, der gerne offen redet und auch, sagen wir, anekdotisch ein bisschen etwas beizutragen hat." Eine lockere Atmosphäre könne helfen. "Das fand ich schon früher als Lehrer in der Schule wichtig, dass im Unterricht auch einmal gelacht wird."

Das "allzu Strenge, Enge und Kleinkarierte" sei nicht seine Welt, bekannte Marx. "Das heißt aber nicht, dass es mir nicht ernst ist. Und ich glaube auch nicht, dass alle in Rom immer furchtbar glücklich sind, wenn ich auftauche", fügte der Kardinal hinzu, der Mitte November mit den anderen deutschen Bischöfen zum sogenannten Ad-Limina-Besuch im Vatikan erwartet wird. (mal/KNA/epd)

15.10., 15:50 Uhr: Ergänzt um weitere Details.