Freiburger Betroffene vermissen bei Zollitsch Verantwortungsübernahme
Der Betroffenenbeirat in der Erzdiözese Freiburg vermisst beim ehemaligen Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch eine Übernahme von Verantwortung. In einem offenen Antwortbrief auf die Anfang Oktober durch Zollitsch veröffentlichte Erklärung zu seiner Rolle bei der Vertuschung und Aufarbeitung von Missbrauch schildert der Beirat Reaktionen von Betroffenen auf die Erklärung und stellt Forderungen. Viele Betroffene hätten die auch als Videobotschaft veröffentlichte Erklärung wie eine "bedrohliche Machtdemonstration" empfunden, schreibt die Sprecherin des Betroffenenbeirats, Julia Sander, in dem Brief. "Sie haben Ihre Version der Wahrheit im Internet platziert, ohne die Möglichkeit eines Dialoges", so Sander. Damit wiederhole sich in den Biographien von Betroffenen etwas: "Als Kinder und Jugendliche haben wir schon einmal erlebt, dass mächtige Kirchenvertreter definieren, was die Wahrheit ist, und unsere Perspektive weder gehört, noch ernst genommen wurde."
Zollitsch, der von 1983 an bis zu seiner Wahl zum Freiburger Erzbischof 2003 Personalreferent der Erzdiözese war, hatte die Betroffenen um Verzeihung gebeten. "Was soll aus Ihrer Sicht die Grundlage für das Verzeihen sein?", fragt Sander. Es sei zwar gut und richtig, um Verzeihung zu bitten. "Sie werden verstehen, dass sich die Verletzten auf der Straße verhöhnt fühlen, wenn Sie um Verzeihung bitten, bevor Sie die Unfallstelle geräumt und Erste Hilfe geleistet haben. Die Unfallopfer müssen Hilfe und Unterstützung erfahren, Zeit bekommen um zu genesen", erläutert die Betroffenensprecherin. Das sei bis heute nicht geschehen. Es reiche auch nicht aus, der persönlichen Verantwortung im Erzbistum die eigenen Verdienste auf Ebene der Bischofskonferenz gegenüberzustellen. Zollitsch war von 2008 bis 2014 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. In seine Amtszeit fielen das Bekanntwerden von Missbrauch am Berliner Jesuitengymnasium Canisius-Kolleg und erste Bemühungen der Kirche um Aufarbeitung.
Zollitsch soll Stiftung gründen
Der Betroffenenbeirat fordert von Zollitsch, seine Worte mit Taten zu untermauern. "Der mühsam formulierten Bitte um Verzeihung kann einzig durch Taten Glaubwürdigkeit verliehen werden", betont Sander. Sie schlägt dem emeritierten Erzbischof dafür mehrere Punkte vor, darunter die Gründung einer Stiftung zur finanziellen Unterstützung von Betroffenen. "Wir alle wissen, dass Geld keine Traumata heilt, doch wir alle wissen, dass das, was Traumata heilen lässt, Geld kostet", heißt es im Brief. Außerdem solle Zollitsch alle noch lebenden Beteiligten der Vertuschung auffordern, die Stiftung zu unterstützen. Zollitsch wird aufgefordert, zu benennen, dass das System Kirche in den vergangenen Jahrzehnten viel daran gesetzt habe, um Missbrauch zu vertuschen. Mit Blick auf die Kommunikation des Erzbischofs schlägt der Betroffenenbeirat eine Kursänderung vor: Statt sich unter Beratung von Rechtsanwälten und Medienexperten an Pressevertreter zu wenden, solle er sich von Menschen beraten lassen, die ihm helfen die Perspektive von Betroffenen zu berücksichtigen. Das könnten beispielsweise Traumatherapeuten oder Betroffenenvertreter sein. Zollitsch solle sich außerdem an die amtierenden Bischöfe wenden und sich für mehr Einsatz bei der Aufarbeitung einsetzen. Er müsse dazu beitragen, dass Aufarbeitung nicht der endlose Prozess bleibt, der er gerade sei. "Verzeihen ist für Betroffene frühestens dann möglich, wenn Sie alles getan haben, was in Ihrer Macht liegt", schließt Sander den offenen Brief, verbunden mit einem Gesprächsangebot über die Vorschläge des Betroffenenbeirats.
Freiburger Missbrauchsgutachten verzögert sich erneut
Anfang Oktober hatte sich Zollitsch in einem neunminütigen Video an die Opfer und ihre Familien gewandt und um Verzeihung gebeten "für das zusätzliche Leid, das Ihnen mein Verhalten bereitet hat". Zollitsch räumte ein, dass er Missbrauchsbetroffenen nicht mit ausreichender Anteilnahme begegnet sei. "Ich habe das große Ausmaß und vor allem die Folgen für die Betroffenen der Verbrechen sexualisierter Gewalt und des Missbrauchs nicht erfasst und der Wahrheit nicht in die Augen geschaut." Auch habe er es versäumt, Missbrauchsfälle offenzulegen und stattdessen versucht, Missbrauchsvorwürfe "intern" zu behandeln. Er habe fälschlicherweise zu sehr das Wohl der Kirche und zu wenig die Fürsorge und Anteilnahme für die Betroffenen im Blick gehabt. Auf konkrete Fälle ging er nicht ein und betonte stattdessen, dass er als Verantwortlicher durch ein "System, das im Umgang mit sexualisierter Gewalt von einer gewachsenen und einvernehmlich getragenen Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes" geprägt gewesen sei. Bereits in einer ersten Reaktion hatte der Betroffenenbeirat in der Erzdiözese festgestellt, dass Zollitsch bislang nichts Konkretes unternommen habe, um das Leid der Betroffenen zu schmälern. Auch der Betroffenenbeirat bei der DBK hatte Zollitschs Erklärung kritisiert.
Bereits 2018 hatte Zollitsch Fehler im Umgang mit Missbrauchstaten von Priestern eingeräumt, nachdem ihm sein Nachfolger, Erzbischof Stephan Burger, Fehlverhalten vorgeworfen hatte. Das Missbrauchsgutachten des Erzbistums Freiburg, das auch die Amtszeit Zollitschs untersucht, verzögert sich unterdessen erneut. Die zuletzt für den 25. Oktober geplante Veröffentlichung wurde im September auf April kommenden Jahres verschoben. Grund für die Verzögerung seien "notwendige, weitere rechtliche Klärungen und Absicherungen in den Bereichen Datenschutz, Persönlichkeits- und Presserecht", um eine möglichst umfassende Rechtssicherheit der Veröffentlichung sicherzustellen. (fxn)