Der SPD-Kanzlerkandidat über Kirche, "Homo-Ehe" und Flüchtlinge

"Einen Urknall wird es nicht geben"

Veröffentlicht am 07.01.2015 um 01:00 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Berlin ‐ SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück begrüßt das Eintreten von Papst Franziskus für mehr soziale Gerechtigkeit. Im Interview spricht er über seine Kirchenzughörigkeit, aber auch über die "Homo-Ehe" und seine Haltung zum Umgang mit den syrischen Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen.

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Frage: Herr Steinbrück, Papst Franziskus setzt sich für eine weltweite soziale Gerechtigkeit ein. Das müsste doch Ihren Beifall finden?

Steinbrück: Ich glaube, es ist ziemlich einmalig, dass Papst Franziskus diese Bodenständigkeit gegenüber den sozialen Problemen hat, nicht nur in Lateinamerika. Das wird wahrscheinlich auch im Zusammenwirken der Kontinente eine Rolle spielen. Er setzt als Lateinamerikaner einen ganz anderen, weiterreichenden Akzent, als das bisher die Päpste mit europäischem Hintergrund getan haben. Das gefällt mir.

Frage: Sie selbst sind mit 18 Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten...

Steinbrück: Ich hatte damals - als auch etwas rebellischer Jugendlicher - den Eindruck, dass die beiden Kirchen tendenziell immer auf der Seite der Herrschenden stehen, dass sie eher versuchten, die bestehenden Verhältnisse zu stabilisieren, als neu aufkommende politische Bewegungen zu unterstützen. Außerdem haben mich die sogenannten Kanzelworte vor den Bundestagswahlen abgestoßen, mit denen die Kirche Einfluss auf die Wahlentscheidung ihrer Gläubigen nehmen wollte.

„Die christliche Botschaft und der Wertekanon, den die Kirchen vermitteln, sind für mich sehr zentral.“

—  Zitat: Peer Steinbrück, SPD

Frage: Aber 40 Jahre später sind Sie dann wieder eingetreten.

Steinbrück: Sehr gezielt nach einer Landtagswahl, weil ich nicht wollte, dass mein Kircheneintritt politisch missverstanden wird. Die christliche Botschaft und der Wertekanon, den die Kirchen vermitteln, sind für mich sehr zentral. Dies dient dem friedlichen Zusammenleben in einer Gesellschaft. Dazu kommt das karitative Engagement. All das waren für mich Beweggründe, wieder in die evangelische Kirche einzutreten.

Frage: Inwieweit spielt Ihr Glaube bei Ihrem politischen Handeln eine Rolle?

Steinbrück: Da möchte ich nur allgemein antworten, dass ich mich der christlichen Nächstenliebe verpflichtet fühle.

Frage: In der SPD gibt es eine Gruppe von Laizisten, die eine stärkere Trennung von Kirche und Staat anstreben als bislang. Teilen Sie deren Auffassung?

Steinbrück: Nein. Ich glaube, dass die Regelung von Staat und Kirche und, sagen wir mal die momentane Qualität des Laizismus, sich in Deutschland bewährt hat und nicht verändert werden muss.

Bild: ©dpa/Julian Stratenschulte

Eine syrische Flüchtlingsfamilie steigt aus dem Flugzeug. Deutschland will zunächst 5.000 Flüchtlinge aufnehmen.

Frage: In dieser Woche kommen syrische Flüchtlinge nach Deutschland. Die Union ist derzeit uneins, ob mehr als 5.000 Flüchtlinge aufgenommen werden sollen. Was ist Ihre Haltung?

Steinbrück: Es ist dringend notwendig, dass mehr Flüchtlinge - vor allem im Rahmen der Familienzusammenführung - zu uns kommen. Man muss sich nur mal vorstellen, dass die Nachbarländer von Syrien inzwischen über zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben. Wichtig ist mir auch, dass Deutschland alles tun muss, was der Familienzusammenführung dient. Anders als Teile der Union bin ich nicht der Meinung, dass wir christliche Syrer bevorzugen sollten. Die Religionszugehörigkeit darf nicht Maßstab für eine Aufnahme sein, das würde ja gerade der christlichen Nächstenliebe widersprechen.

Frage: Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz hoffen nun auch viele Arbeitgeber, dass junge Eltern möglichst schnell an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Wächst damit die Gefahr, dass sich junge Familien zu stark wirtschaftlichen Erfordernissen unterordnen müssen?

Steinbrück: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Mit dem Rechtsanspruch werden zunächst die Wahlmöglichkeiten erhöht, vor allem für alleinerziehende Frauen. Diejenigen, die ihre Kinder selbst zu Hause betreuen wollen, können nach wie vor aus dem Beruf aussteigen und dabei die staatlichen Familienleistungen in Anspruch nehmen. Eine von mir geführte Bundesregierung würde allerdings das Betreuungsgeld sofort wieder streichen. Es widerspricht meinen ordnungspolitischen Vorstellungen, dass man Geld dafür gibt, wenn eine staatliche Leistung nicht in Anspruch genommen wird. Dieses Geld gehört in den weiteren Ausbau der Kita-Betreuung.

Frage: Die SPD tritt für eine Gleichbehandlung unterschiedlicher Lebensmodelle ein. Ist damit auch der im Grundgesetz festgeschriebene besondere Schutz der Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft überholt?

Steinbrück: Nein, sicher nicht. Aber man kann das eine wertschätzen, ohne das andere zu lassen. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen, und es gibt unterschiedliche Formen des Zusammenlebens und der Partnerschaft. Die Politik muss das widerspiegeln. Für eine faktische Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe muss endlich auch homosexuellen Paaren das Adoptionsrecht zugestanden werden. Langfristig ist für mich auch eine Öffnung des Instituts der Ehe für homosexuelle Partnerschaften vorstellbar.

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Frage: Sie beklagen, dass die Schere zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahren immer weiter auseinandergegangen sei. Wo sehen Sie den dringendsten Reformbedarf bei der Agenda 2010?

Steinbrück: Die Agenda 2010 trägt dazu bei, dass Deutschland zumindest im europäischen Vergleich sehr stark dasteht. Es gibt aber eine Reihe von Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, die korrekturbedürftig sind. So nimmt das Ausmaß des Niedriglohnsektors eine dramatische Entwicklung. Der Missbrauch von Leiharbeit, Zeitarbeit, Minijobs und Werkverträgen muss deshalb durch gesetzliche Regelungen, aber auch durch eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung eingedämmt werden.

Frage: Entwicklungsminister Niebel hat das von den Vereinten Nationen definierte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommen als Entwicklungshilfe zu zahlen, offen infrage gestellt. Wollen Sie an dem Ziel festhalten?

Steinbrück: Ja, wir wollen die Entwicklungshilfe sukzessiv weiter erhöhen. Mit einem Urknall ist das sicher nicht möglich, auch eine Legislaturperiode ist zu kurz, denn es geht hier um Milliardenbeträge. Aber die SPD will an dem Ziel der 0,7 Prozent festhalten. Viele bauen darauf, dass diese Zusage Deutschlands verlässlich ist. Ein Teil der von uns für notwendig erachteten Finanztransaktionssteuer könnte übrigens dafür verwandt werden.

Das Interview führten Ludwig Ring-Eifel und Birgit Wilke (KNA)

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