Misereor-Expertin: "Schon jetzt Alarmsignale beim UN-Klimagipfel"
Seit vergangenem Sonntag findet im ägyptischen Scharm el-Scheich die 27. UN-Klimakonferenz (COP27) statt. Dabei verhandeln internationale Delegationen unter dem Motto "Gemeinsam für eine gerechte, ambitionierte Umsetzung JETZT" noch bis zum 18. November über Maßnahmen gegen die Erderwärmung. Als Beobachterin bei der Konferenz dabei ist auch Madeleine Woerner vom katholischen Entwicklungshilfswerk Misereor. Im Interview mit katholisch.de spricht die Fachreferentin für Energie und Umweltmanagement über ihre bisherigen Eindrücke von der Konferenz, den Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die problematische Menschenrechtslage im Gastgeberland.
Frage: Frau Woerner, die UN-Klimakonferenz findet in einer schwierigen Zeit statt. Vor allem der Krieg in der Ukraine bindet derzeit fast die gesamte Aufmerksamkeit der internationalen Politik. Haben Sie Sorge, dass der notwendige Kampf gegen den Klimawandel dadurch und durch andere internationale Krisen vernachlässigt werden könnte?
Woerner: Nein, diese Sorge habe ich nicht. Meine Hoffnung ist vielmehr, dass gerade der Krieg in der Ukraine der Staatengemeinschaft noch einmal deutlich die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit vor Augen geführt hat. Wir werden die großen Krisen unserer Zeit und hier vor allem die globale Klimakrise nur gemeinsam und miteinander bewältigen können – und nicht allein und gegeneinander. Hinzu kommt, dass die Klimakrise ja keine isolierte Krise ist, sondern in die vielen anderen Krisen und Konflikte auf unserem Planeten hineinspielt. Auch dafür ist der Ukraine-Krieg ein Beispiel, denn der militärische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat längst auch eine Ernährungs- und Energiekrise ausgelöst, die teilweise massive Auswirkungen auf die Staaten im globalen Süden hat.
Frage: Wie erleben Sie vor diesem Hintergrund die bisherigen Debatten bei der Klimakonferenz? Haben Sie das Gefühl, dass die Konferenz in die richtige Richtung marschiert?
Woerner: Die konkreten inhaltlichen Verhandlungen stehen aktuell noch ziemlich am Anfang. Gleichwohl gibt es schon jetzt ein paar Alarmsignale. So wurde etwa die Diskussion über die Vereinbarkeit von Finanzierungsströmen mit den Klimazielen überraschend von der Agenda der Konferenz genommen. Das ist ärgerlich, denn die Debatte darüber ist sehr wichtig. Es geht dabei um ein Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015, wonach die internationalen Finanzströme in Einklang gebracht werden sollen mit einer emissionsarmen wirtschaftlichen Entwicklung – und damit weg von kohlenstoffintensiven Investitionen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Konferenz dieses Thema noch aufgreift. Zudem wurden vor der Konferenz bereits Empfehlungen für eine Kohlenstoffsenkung erarbeitet, die das Ende der fossilen Energien hinauszögern und Regenwälder als grüne Lungen der Schöpfung gefährden würden. Damit wird zum einen die Lebensgrundlage unserer Partner zerstört und zum anderen ein großes Risiko für die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits aufgebaut. Die Empfehlungen können im Plenum zwar noch abgelehnt werden – aber auch hier bleibt abzuwarten, wie sich die einzelnen Staaten positionieren.
„Inhaltlich hat er nicht viel Neues gesagt; ich konnte auch keine überragenden Ambitionen in Sachen Klimaschutz raushören.“
Frage: Misereor hat im Vorfeld der Klimakonferenz gefordert, "die am intensivsten vom Klimawandel Betroffenen endlich ausreichend vor den Auswirkungen der Klimakrise zu schützen". Konkret geht es dabei vor allem um finanzielle Hilfen für Staaten, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind. Gibt es schon Anzeichen, dass die Konferenz hier entscheidende Fortschritte erzielen kann?
Woerner: Im Moment leider noch nicht. Die Industriestaaten, die die größten Pro-Kopf-Emittenten sind und zugleich meist über die größten Finanzmittel verfügen, haben sich zu diesem Thema bislang eher bedeckt gehalten und wenn überhaupt nur kleinere Summen für den "Global Shield" in Aussicht gestellt. Insofern ist unsere Forderung, die wir gemeinsam mit vielen Partnern formuliert haben, weiter aktuell. Wenn es bei dieser Klimakonferenz, wie im Vorfeld angekündigt, vor allem um die konkrete Umsetzung der 2015 in Paris vereinbarten Ziele gehen soll, muss bei diesem Thema noch deutlich mehr passieren.
Frage: Sie haben den "Global Shield" angesprochen. Dabei handelt es sich um einen geplanten globalen Schutzschirm, mit dem Staaten finanziell unterstützt werden sollen, die von den Auswirkungen des Klimawandels besonders stark betroffen sind. Bundeskanzler Scholz hat als deutschen Beitrag für diesen Schutzschirm bei der Konferenz 170 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Was halten Sie davon?
Woerner: Diese 170 Millionen Euro können nur ein Anfang sein – zumal, wenn man sich zum Vergleich vor Augen führt, wie viele Subventionen allein die Autoindustrie in Deutschland jährlich erhält. Da geht es um mehrere Milliarden Euro, die der deutsche Staat immer noch Jahr für Jahr in eine fossile Industrie steckt, die maßgeblich mitverantwortlich ist für die Klimakrise. Das kann so nicht bleiben! Darüber hinaus muss man sehr genau schauen, woher die Gelder für den "Global Shield" kommen. Wenn das Geld einfach nur aus anderen Klimaschutzprojekten abgezogen würde, wäre nichts gewonnen. Es muss im Gegenteil schon um zusätzliche Mittel gehen.
Frage: Wie haben Sie denn jenseits der 170-Millionen-Euro-Ankündigung den Auftritt von Bundeskanzler Scholz in Scharm El-Scheich wahrgenommen?
Woerner: Inhaltlich hat er nicht viel Neues gesagt; ich konnte auch keine überragenden Ambitionen in Sachen Klimaschutz raushören. Er hat in seiner Rede zwar angekündigt, Deutschlands jährliche Ausgaben für die internationale Klimafinanzierung bis 2025 auf sechs Milliarden Euro aufzustocken – im Vergleich ist das aber immer noch wenig Geld. Positiv zu bewerten ist aber, dass er keine neuen Erdgas-Deals angekündigt hat, sondern sich im Gegenteil zu den erneuerbare Energien und dem Ende des fossilen Zeitalters bekannt hat. Es bleibt nun aber abzuwarten, was das konkret für das Handeln der Bundesregierung bedeutet.
Frage: Scholz hat vor den Delegierten auch für seine Initiative eines globalen "Klimaclubs" geworben. Was halten Sie von dieser Idee? Ist das mehr als politische PR?
Woerner: Ich nehme den "Klimaclub" noch als sehr isolierte Idee wahr und habe bislang auch nicht den Eindruck, dass diese Initiative hier bei der Konferenz eine größere Rolle spielt. Sollte die Bundesregierung den "Klimaclub" aber tatsächlich als zentralen Baustein ihrer Klimapolitik weiterverfolgen, dann werbe ich – etwa mit Blick auf den CO2-Preis – für eine ambitionierte Ausgestaltung seiner Ziele.
Frage: Ägypten ist als Gastgeber der Konferenz nicht unumstritten. Im Vorfeld wurde vor allem die schwierige Menschenrechtslage in dem Land kritisiert. Wie wird damit vor Ort umgegangen? Ist das bei der Konferenz ein Thema?
Woerner: Das ist auf jeden Fall ein großes Thema, denn tatsächlich wird hier in Ägypten ja reihenweise gegen Menschenrechte verstoßen. Beispielhaft dafür steht das Schicksal des Bloggers und Aktivisten Alaa Abd el-Fattah, der sich mittlerweile seit mehr als 200 Tagen im Hungerstreik befindet. Abd el-Fattah war eines der Gesichter des "Arabischen Frühlings" und sitzt seit vielen Jahren im Gefängnis, teilweise unter katastrophalen Umständen. Man kann nur hoffen, dass die Konferenz zur Verbesserung der Lage der Menschenrechte in Ägypten beitragen kann.