Italienischer Bischof gegen unabhängige Untersuchungen von Missbrauch
Der Missbrauchsbeauftragte der Italienischen Bischofskonferenz, Ravennas Erzbischof Lorenzo Ghizzoni, hat sich deutlich gegen eine unabhängige Untersuchung von Missbrauchsfällen in Italiens Kirche durch externe Experten ausgesprochen. "Wir werden keine nationale Kommission einrichten, die sich aus Leuten zusammensetzt, die nichts über das Leben der Kirche wissen und die nur deshalb als objektiv gelten, weil sie weder Bischöfe noch Priester noch Gläubige sind", sagte Ghizzoni laut einem Bericht der französischen Zeitung "La Croix" am Wochenende bei einer Konferenz an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom. Die Kirche in Italien werde zudem keine Daten hochrechnen oder Stichproben nehmen "wie es andere kirchliche Einrichtungen getan haben, mit Zahlen, die nur diejenigen anlocken, die Unruhe stiften wollen".
Ghizzoni begründete seine ablehnende Haltung damit, dass unabhängige Untersuchungen von Missbrauchsfällen durch nationale Kommissionen in anderen Ländern "Schaden angerichtet" hätten und "nicht nachgeahmt werden" dürften. Stattdessen wolle sich die italienische Kirche die "tatsächlichen Daten ansehen und versuchen, Wege der Prävention zu finden", so der Erzbischof. Und weiter: "Was uns interessiert ist nicht, Priester an den Pranger zu stellen, sondern Missbrauch zu verhindern." Ghizzonis Aussagen wurden von "La Croix" als implizite Kritik an der Missbrauchsaufarbeitung in Frankreich gewertet. Dort hatte eine unabhängige Kommission im vergangenen Jahr eine Untersuchung vorgelegt, nach der in Frankreich seit 1950 geschätzt 216.000 Minderjährige Opfer sexueller Übergriffe durch Priester und Ordensleute geworden waren.
Auch Erzbischof Paglia gegen unabhängige Missbrauchskommission
Ghizzoni äußerte sich zwei Tage nach dem die Italienische Bischofskonferenz erstmals Zahlen zu Missbrauch in ihren Bistümern vorgelegt hatte. Demnach wurden in den vergangenen 20 Jahren 613 Meldungen zu mutmaßlichen Missbrauchsfällen an die vatikanische Glaubensbehörde übermittelt. Bei der Zahl 613 handele es sich um Akten, die dazu von den zuständigen Behörden angelegt worden seien. Um wie viele konkrete Einzelfälle es sich handele, ist laut Bischofskonferenz derzeit ungewiss. In den Aufzeichnungen könnten sowohl bereits bekannte Fälle ebenso wie Daten zu Serientätern enthalten sein, sagte der Generalsekretär der Bischofskonferenz bei der Vorstellung der Zahlen.
Anfang des Jahres hatte sich bereits der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, der italienische Erzbischof Vincenzo Paglia, gegen eine unabhängige Kommission zur Untersuchung von Missbrauch in Italiens Kirche ausgesprochen. Man solle sich davor hüten zu glauben, dass es eine dritte Macht außerhalb der Kirche gebe, die von innen heraus urteilen könne, sagte Paglia im Februar dem italienischen Nachrichtensender "Radio 24". Stattdessen betonte er die Bedeutung der Glaubenskongregation. Kein Bistum sei autark, sondern werde direkt von dieser kontrolliert. Unabhängigkeit beruhe auf Verantwortung und Gewaltenteilung, und die gebe es auch in der Kirche, so der 76-Jährige. (stz)