Seit 70 Jahren Nikolaus: "Man kommt einfach nicht davon los"
Die kleine Tafel rechts neben der Haustür macht sofort klar, wer hier wohnt. Ein Künstler aus Bayern habe das Nikolaus-Porträt vor einigen Jahren für ihn angefertigt, erzählt Matthias Meyer. Die Mitra, der Chormantel, die Stola: Schaut man sich Fotos von seinen früheren Auftritten an, kann man eine gewisse Ähnlichkeit mit der Zeichnung nicht von der Hand weisen. Meyer, 85 Jahre alt und aus dem Dürener Stadtteil Gürzenich, ist vermutlich einer der treuesten Nikolausdarsteller Deutschlands. Dieses Jahr begeht er ein besonderes Jubiläum: Seit nunmehr 70 Jahren lässt er sich in der Adventszeit vom heiligen Mann aus Myra und seiner Botschaft in Dienst nehmen.
Das kleine Hinterhaus, das der Rentner gemeinsam mit seiner Frau bewohnt, ist voll von Erinnerungsstücken an frühere Nikolausbesuche. Was nicht in einem Bilderrahmen an der Wand hängt, bewahrt Meyer sorgfältig in Ordnern und Mappen auf. Über die Jahre kamen so hunderte Bilder, egal ob digital oder analog, Zeitungsartikel und Kopien von Filmen zusammen. Zu jedem Foto und zu jedem Bericht kann Meyer die passende Geschichte erzählen. Die Begeisterung und Leidenschaft für die Tradition des Nikolaus strömen dabei regelrecht aus ihm heraus.
Ziel: Ein netterer Nikolaus
Meyer hat den Nikolaus-Brauch von klein auf aufgesogen. Er faszinierte und irritierte ihn zugleich. Da waren einerseits die Legenden von dem guten Bischof, der auf der Seite der Schwachen und Kleinen stand, andererseits aber das – wie Meyer es formuliert – "Schindluder", welches mit der Tradition früher getrieben wurde. Denn Nikoläuse waren in Meyers Kindheit und Jugend oft ziemlich garstige Gesellen, die samt ihrer furchteinflößenden Begleiter Kindern Angst und Schrecken einjagten. Das wollte er, damals Messdiener, besser und netter machen. So zog er 1952 zum ersten Mal los in die Nachbarschaft. Seine erste Mitra hat ihm seine Mutter aus einer alten Altardecke genäht, das erste Gewand schenkte ihm sein Onkel, ein Mesner. Seinen ersten "Bischofsstab" bekam er von der Uroma.
Seine Art, den Nikolaus darzustellen, kam so gut an, dass er auch in den Jahren darauf wieder loszog. Immer mehr Leute auch außerhalb seines Viertels wurden auf ihn aufmerksam. So wurden der Umkreis und die Anzahl seiner Auftritte immer größer, Meyer erlangte dadurch auch überregional Bekanntheit. In Spitzenzeiten, schätzt er, habe er bis zu 400 Kinder pro Jahr besucht – Schulklassen miteingerechnet. Dazu kamen Auftritte bei Firmen- und Behördenfeiern, Vereinen und Veranstaltungen bei Senioren. Einem dieser Einsätze verdankt Meyer eine ganz besondere "Auszeichnung": Die Kölner Bezirksregierung ernannte ihn vor rund 20 Jahren augenzwinkernd zum "Regierungsnikolaus". Und auch im Rahmen seines früheren Jobs – Meyer reiste als Vertreter für Bekleidung durch ganz Deutschland – gab er hin und wieder den heiligen Bischof zum Besten. So ist der Nikolaus aus Düren-Gürzenich selbst in Aschaffenburg bekannt.
Wie viele Besuche er in den vergangenen 70 Jahren als Nikolaus absolviert hat, kann Meyer kaum abschätzen. Inzwischen trifft er oft auf die Enkel derjenigen, die er zu Beginn seiner "Laufbahn" besucht hat. Alle Familien bestanden immer darauf, dass er wiederkommt – über Generationen hinweg. Einen Auftritt abgesagt oder abgelehnt hat er bis heute nie. Das führte dazu, dass er früher nach der Nikolauszeit oft vor lauter Erschöpfung krank wurde. Für den 85-Jährigen war es trotzdem nie eine Frage, sondern stets Verpflichtung, seinen Dienst zu tun. Dafür fühlt er sich sowohl den Kindern als auch der Geschichte des Heiligen zu sehr verbunden.
Authentische Ausrüstung
Die besondere Passion Meyers für den Nikolaus zeigt sich auch an seinem Kostüm. Bei Reisen nach Rom besorgte er sich eine neue Mitra und violette Socken – dort, wo normalerweise Bischöfe und Priester einkaufen. Er hatte in der Ewigen Stadt einmal zufällig einen Verkäufer kennengelernt, der ihn daraufhin in den Laden mitnahm. Das Goldene Buch, das in seinem Fall rot ist, ließ er in einem Kloster anfertigen. Und immer wieder bekommt er ausrangierte Alben aus Kirchenbeständen.
Diesen Aufwand nimmt Meyer auf sich, damit die Kinder einem möglichst authentischen Nikolaus bekommen. Zum Nachwuchs habe er ohnehin immer einen guten Draht, nur die allerwenigsten hätten Angst vor ihm gezeigt, erzählt Meyer. Seine Taktik: Er gibt zur Begrüßung jedem Kind die Hand und nennt es beim Namen. So, sagt er, gibt er sich den Kindern gegenüber wie ein Bekannter. Die schlechten Eigenschaften, die ihm die Eltern vorab mitteilen, spreche er zwar an, aber immer mit einer Prise Humor. Die positiven Dinge lässt er im Gespräch überwiegen, und auch sonst hat er immer einen guten Spruch für sie parat. Einen Begleiter, in seiner Gegend "Hans Muff" genannt, hatte er zwar oft dabei, doch diesen verbannte er immer in den Hintergrund und ließ ihn die Geschenke verteilen. Der Nikolaus sei ihm immer abgekauft worden, so Meyer. Das ging sogar so weit, dass für manche Kinder eine Welt zusammenbrach, als sie erfuhren, dass der 85-Jährige in dem Kostüm steckte. So sehr hatte sie Matthias Meyer daran glauben lassen, dass er der echte Nikolaus ist.
Manche Auftritte nagen auch nachhaltig an ihm. Vor rund fünf Jahren war er in einem Seniorenheim in Düren zu Gast. Besonders die Begegnung mit Demenzkranken hat ihn damals sehr mitgenommen. Zum Teil seien das Leute gewesen, die er kannte, mit denen er noch vor nicht allzu langer Zeit gesprochen habe. Menschen, die jünger waren als er. Das ließ den 85-jährigen nachdenklich werden. Doch das Entscheidende war für ihn, dass den Demenzkranken sein Besuch offenbar gutgetan hat. Viele von ihnen seien sehr dankbar gewesen. "Sie haben zu mir gesagt: 'Ich bin froh, dass ich dich nochmal sehe, lieber Nikolaus.'"
"Ein Nikolaus muss immer ein Versöhner, ein Vermittler sein"
Was einen guten Nikolausdarsteller ausmacht? "Ein Nikolaus muss immer ein Versöhner, ein Vermittler sein", so der 85-Jährige. Er müsse immer den Kindern zugewandt handeln und ihr Anwalt sein. Dazu müsse er sich auch mit dem Heiligen und den Geschichten um ihn beschäftigen. "Ich würde deshalb jedem Darsteller raten, einen Nikolaus-Kurs zu besuchen", so Meyer. Manche Bistümer oder kirchliche Hilfswerke bieten solche an.
Heutzutage sind es noch etwa zehn Besuche pro Jahr, für die sich Matthias Meyer in den heiligen Nikolaus verwandelt. Mit fortgeschrittenem Alter gilt es eben auch, mit den Kräften sorgsam umzugehen. Auch wenn das Thema Aufhören immer wieder an ihn herangetragen wird: Er kommt gar nicht dazu. So hofft er, dass er noch ein paar weitere Jahre als Nikolaus unterwegs sein kann. Auch am Abend nach diesem Treffen hat der Rentner noch etwas vor. Sein Kostüm liegt schon bereit. "Man kommt einfach nicht davon los", sagt Meyer und schmunzelt.