Trauerbegleiterin: Auch nach einem Schicksalsschlag nach vorne blicken
Vor 31 Jahren wurde ich im Dezember 1991 von der Caritas im Bistum Essen gefragt, ob ich ein Seminar zum Thema "Trauer im Kindergarten" anbieten könne. Ich lehnte es ab, weil ich nicht wusste, was man dazu anbieten sollte. Trauer war in meinem Zuhause, in meiner Ausbildung zur Erzieherin und in meiner Jugendarbeit als Pfadfinderin der DPSG kein Thema gewesen. Aber es machte mich neugierig und so fand tatsächlich vor dreißig Jahren das erste Seminar zum Umgang mit Tod und Trauer im Kindergarten statt.
Ich bildete mich in der Sterbe-, Palliativ- und Trauerbegleitung fort und transportierte mein bekanntes und neu erworbenes Wissen auf eine pädagogische Ebene. Als Fachfrau war mir sehr schnell bewusst, dass Trauerarbeit nicht nur mit Kindern und Jugendlichen separat, sondern immer im Familienkontext geschehen muss.
"Was soll denn dieser ganze Trauerkram!" fragten mich viele Leute, auch politische Entscheidungsträger, die selbst ihr Leben lang Trauer unterdrückt hatten und nun allen, die Trauer als ein Not-wendiges Gefühl erkannten, die Auseinandersetzung damit erschwerten. Ich gab meine Hoffnung auf eine bessere Welt Dank gesunder Verlustbewältigung damals schon nicht auf und gründete die Familientrauerarbeit. Meine Idee und dieses immer weiter entstehende Konzept lehre ich seit über zwei Jahrzehnten, auch im deutschsprachigen Ausland, in Lehrgängen weiter. Ebenso arbeite ich in trauernden Familien vor dem eintretenden, beim plötzlichen Tod und auch in der Zeit danach. In all den Jahren habe ich das "LAVIA Lebensweg- und Trauermodell" erarbeitet, das sowohl Menschen in Krisenzeiten wie auch ihren Begleiterinnen und Begleitern eine Orientierung bieten kann.
"Wie sage ich es meinen Kindern?"
Wenn Sie sich jetzt fragen, was diese Vorgeschichte mit Hoffnung in der Vorweihnachtszeit zu tun hat, möchte ich Ihnen gerne zwei Geschichten aus meinem Leben als Trauerbegleiterin erzählen. Es war am Vormittag von Heiligabend vor 11 Jahren. Das Telefon schellte und als ich abnahm meldete sich Bernd, der Vater von fünfjährigen Zwillingen. Seit einer halben Stunde war er Witwer und stand mit dem Telefon in der Hand am Bett der überraschend verstorbenen Frau. "Wie sage ich es meinen Kindern?" fragte er mich. Und dann erklärte ich ihm, wie wenig Kinder kognitiv vom Tod verstehen und es deshalb immer hilfreich ist, wenn sie den Tod nicht nur abstrakt durch Hörensagen, sondern auch direkt durch Sehen und Begreifen erleben dürfen. Wir sprachen über Möglichkeiten der Abschiednahme mit den Kindern und den Umgang mit seiner eigenen Trauer. Als zwei Jahre später Franzi, das mittlerweile 7-jährige Zwillingsmädchen von Mamas Tod an Heiligabend erzählte, erinnerte sie sich auch daran, dass sie trotzdem Weihnachten gefeiert hatten, sie Geschenke (einen Schminkkoffer, sogar mit Nagellack!!) erhalten hatte, dass der Tannenbaum größer als Papa war und dass die Oma geweint hatte.
Seit 10 Jahren besuchen Bernd, Franzi und ihr Zwillingsbruder auch den vorweihnachtlichen Gottesdienst "Weihnachten ohne dich" und können dort wechselweise Traurigkeit lassen und Vorfreude auf das Fest – trotz alledem- mitnehmen.
Vor 10 Jahren putzt die Mutter von drei Kindern, 2, 5 und 8 Jahre noch rasch den Hausflur an Heiligabend. Dann will sie sich kurz hinlegen, weil ihr so schwummerig ist. Der 8-jährige Sohn findet sie tot auf dem Sofa liegend. Inga, die neue Freundin des Witwers, kam zwei Jahre später mit ihm und den Kindern zur Trauerbegleitung. "Wenn unsere Beziehung eine Zukunft haben soll, dann braucht es Trauerbegleitung für die ganze Familie", sagte sie. Das war klug von ihr. Drei Jahre später sitzt das Vorschulmädchen Luisa, die bei Mamas Tod zwei Jahre alt war, im Dezember auf dem Schoss von Inga in der Vorstellungsrunde der Minitrauergruppe. "Ich heiße Luisa und meine Mama ist gestorben", sagt sie. Alle Kinder und Eltern schauen zwischen ihr und Inga hin und her. "Luisa", sage ich. "Ich glaube, du musst einmal erklären, auf welchem Schoß du sitzt. Alle denken bestimmt, dass ist deine Mama." Luisa dreht sich zu Inga um, lacht fröhlich und sagt: "Meine Bauchmama Andrea ist doch gestorben. Und das hier", sie zeigt auf Inga "das hier ist meine richtige Mama." Und dann drückt sie Inga ganz feste und gibt ihr einen Kuss.
Aus dem Himmel geschickt
Und ich sitze da und spreche insgeheim "nach oben": "Hallo Bauchmama Andrea, Inga hat bestimmt nicht nur der Himmel, sondern Du hast sie aus dem Himmel geschickt."
Ja, natürlich ist es auch heute, 10 und 11 Jahre später, immer mal wieder traurig für diese Kinder, jetzt Jugendlichen, dass ihre Mütter gestorben sind. Aber diese fünf Jungen und Mädchen sind nicht am Schmerz zerbrochen. Die Erklärungen, die ihre Eltern, Erzieher und Lehrerinnen auch anhand vom "LAVIA Lebensweg- und Trauermodell" erhielten, das im Leben für das Weiterleben entstand, halfen der Familie und ihrem sozialen Umfeld dabei, den Verlust in der Weihnachtszeit und die darauffolgenden Krisen besser zu bewältigen.
Sie können sich heute über erhaltene Geschenke erfreuen und andere beschenken. Vor vielen Jahren haben viele Erwachsene und Kinder Leichtigkeit trotz Schwere im Leben nicht erleben dürfen, weil es immer wieder hieß: "Heulen hilft nicht weiter. Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch!" Ich kenne einen Mann, der noch heute, 50 Jahre nach dem Tod seines Vaters am ersten Weihnachtstag, froh ist, wenn die Festtage, die für ihn durch die bis heute unterdrückte Trauer im ganzen Familiensystem zu Pest-Tagen wurden, vorbei sind. Obwohl er noch immer die Zähne zusammenbeißt, die Augen vor dem Weihnachtsfest und der damit verbundenen Trauer verschließt, ist er noch lange "nicht durch", wie es das Sprichwort doch verheißt.
Trauerarbeit ist Hoffnungsarbeit
Kleine und große Menschen zu sehen, die in schweren Zeiten oft mit Zuversicht auf ihrem Lebensweg labyrinthähnlich weitergehen, gefühlt riesige vor ihnen liegende Berge und Stolpersteine überwinden, sich selbst oder mit Hilfe anderer aus manchem sumpfigen Gebiet befreien, sich im Kreisverkehr verrennen, aber auch Gipfelkreuze erstürmen, Lagerfeuermomente erleben, das Licht am Ende des Tunnels entdecken – sprich: Jungen und Mädchen, Männer und Frauen, die Dank Hilfe zur Selbsthilfe durch Familien-Trauerbegleitung gestärkt aus Krisensituationen hervorgehen, sind für mich Hoffnungsträger. Und das nicht nur zur Advents- und Weihnachtszeit.
Und gleichzeitig gibt es für mich noch so viele verschiedene Hoffnungslichter: mein LAVIA-Team, die Friday-for-future-Jugendlichen, viele Frauen im Iran und alle weiteren Männer und Frauen, die sich weltweit für Menschlichkeit einsetzen, meine Familie, gute Freundinnen, Kollegen, die Häftlinge aus meiner Arbeit, die nach ihrer Entlassung einen Neustart wagen, die Mütter und Väter, die Fehlgeburten, Toden oder Klimawandel zum Trotz eine Schwangerschaft wagen und letztendlich der fragende und noch immer tragende Glaube an das Göttliche im Himmel – und auf Erden.
Die Autorin
Mechthild Schroeter-Rupieper, Jahrgang 1964, ist die Gründerin der Familientrauerarbeit. Als Familientrauerbegleiterin begleitet sie mit ihrem Team vor allem von schwerer Krankheit und Tod betroffene Familien, insbesondere trauernde Kinder und Jugendliche.