Einsatz gegen Christenverfolgung: Zwischen Populismus und Desinteresse
Die Interessen bedrängter und verfolgter Christen weltweit drohen auf der Strecke zu bleiben: Rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien geht es nicht primär um konkrete Hilfen für Betroffene in den jeweiligen Ländern oder darum, wie Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit von Christen oder den Angehörigen anderer Religionen verhindert werden können. Sie nutzen das Thema vielmehr, um antiislamische Ressentiments zu schüren, indem sie für die Christenverfolgung hauptsächlich "den Islam" verantwortlich machen und liberale, westliche Gesellschaften dafür kritisieren, dass sie dieses Problem nicht angehen oder gar verschleiern. Rechtspopulisten inszenieren sich so als die wahren Verteidiger christlicher Werte in einem vermeintlichen Kulturkampf gegen "den Islam" einerseits und die "dekadenten liberalen Demokratien des Westens" andererseits. Abgesehen von dem selektiven Einsatz für und der verengten Interpretation von Religionsfreiheit allein in Hinblick auf verfolgte Christinnen und Christen – was zur Universalität dieses Menschenrechts offenkundig im Widerspruch steht –, wird das Thema hier oft auch frei mit anderen Punkten der eigenen politischen Agenda kurzgeschlossen, beispielsweise mit einer angeblichen Gefährdung der klassischen Familie durch die Anliegen der LGBTQ-Community. Hiervon erhoffen sich rechtspopulistische Bewegungen und Parteien eine breitere politische Mobilisierung bis hinein in bürgerliche Milieus, womit sie zum Teil leider auch Erfolg haben.
Diese Strategie verfolgen inzwischen aber nicht nur rechtspopulistische Parteien wie die AfD in Deutschland oder in Frankreich der Rassemblement National. Auch illiberale Demokratien wie Ungarn unter Victor Orban oder Putins autoritäres Regime in Russland nutzen diese Narrative für ihren Machterhalt und die Ausdehnung ihres politischen Einflusses. Ungarn und andere Akteure wie die russisch-orthodoxe Kirche haben in der Vergangenheit mehrere Kongresse organisiert, zu denen sie bedrängte Christen vor allem aus dem Nahen Osten eingeladen haben, um sie in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Europäische Rechtspopulisten schaden bedrängten Christen vor Ort
Was vielen in Deutschland und Europa indes noch zu wenig bewusst ist: Die Instrumentalisierung des Themas verfolgter und bedrängter Christinnen und Christen von rechts setzt in zwei Richtungen Dynamiken in Gang, die gerade den Interessen dieser Christinnen und Christen weiter schaden.
Zum einen führt gerade der antiislamische Unterton im rechtspopulistischen Einsatz für bedrängte Christen zu Gegenreaktionen in der islamischen Welt. Länder wie die Türkei, die arabischen Golfstaaten, der Iran oder Pakistan registrieren die gegenwärtige Konjunktur solcher antiislamischer Narrative ganz genau und führen sie ihrerseits als Beleg für eine angebliche Islamophobie des Westens an. Der Vorwurf lautet dann, dass das Bekenntnis zu Menschenrechten wie dem auf Religionsfreiheit letztlich nur den eigenen, westlichen Interessen dient. Dies erleichtert es Populisten und Fundamentalisten in islamischen Mehrheitsgesellschaften, christliche und auch andere religiöse Minderheiten unter Generalverdacht zu stellen und pauschal als "Agenten des Westens" und "Feinde" zu diskreditieren. Das rechtspopulistische Narrativ eines vermeintlichen Kampfes gegen "den Islam" im Namen bedrängter Christen spielt somit gerade jenen Regimen in der islamischen Welt in die Hände, die Angehörige religiöser Minderheiten in ihren Ländern diskriminieren und als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse behandeln. Darunter leidet der interreligiöse Dialog, vor allem aber die Christinnen und Christen vor Ort.
Zum anderen trifft die rechtspopulistische Vereinnahmung bedrängter Christinnen und Christen hierzulande auf eine weitgehende Zurückhaltung großer Teile des politischen Spektrums gegenüber diesem Thema. Viele Politikerinnen und Politiker aus sozialdemokratischen, liberalen und auch ökologischen Parteien fremdeln heute eher mit Religion als politischem Faktor. Erinnert sei etwa an die Debatte hier in Deutschland, nachdem Mitarbeitende des Auswärtige Amts beim G7-Treffen in Münster ein historisches Kreuz aus dem Friedensaal des Rathauses entfernen ließen, um Angehörige anderer Religionen nicht zu irritieren. Ähnlich lässt sich auch die Entscheidung desselben Ministeriums deuten, künftig keine Religionsvertreter mehr als externe Berater für das Referat "Religion und Außenpolitik" einzuladen, wenn es darum geht, die Rolle der Religion etwa im globalen Süden besser zu verstehen. Diese Mischung aus Unkenntnis und Desinteresse beim Thema Religion ist beklagenswert und bedarf der Veränderung. Darüber hinaus tun sich demokratische Akteure nun aber noch schwerer damit, über Verletzungen von Religionsfreiheit zu reden oder sich gar explizit für bedrängte und verfolgte Christinnen und Christen einzusetzen, je mehr diese Themen in der Öffentlichkeit als Aushängeschild rechter Parteien wahrgenommen werden. Zu schnell setzt man sich dem Vorwurf aus, islamophobe Stereotype zu bedienen und rechte Themen salonfähig zu machen. Diese Dynamik macht es Rechtspopulisten wiederum einfacher, sich als die letzten verbliebenen Fürsprecher von bedrängten Christinnen und Christen weltweit zu inszenieren. Auch hier sind es nicht zuletzt die von Diskriminierung betroffenen Christinnen und Christen, die unter dieser Polarisierung leiden müssen. Die nötige Hilfe für sie wird zwischen politischer Instrumentalisierung einerseits und bewusster Zurückhaltung und Desinteresse andererseits zerrieben.
Der heutige Gebetstag der katholischen Kirche in Deutschland für bedrängte und verfolgte Christinnen und Christen steht inmitten dieser komplexen Dialektik der wechselseitigen Zuspitzung und politischen Polarisierung. Die rechtspopulistische Vereinnahmung und Instrumentalisierung christlicher Themen ist sicherlich nicht die alleinige Ursache für das gegenwärtige Fremdeln weiter Teile von Politik und Zivilgesellschaft mit der Religion, aber sie macht es deutlich schwerer, sich in diesem Bereich klar zu positionieren und bei Menschen Gehör zu finden. Das schränkt die Möglichkeiten eines echten Einsatzes für Religionsfreiheit als universelles Menschenrecht und der konkreten Hilfe für bedrängte Christinnen und Christen erheblich ein. Leidtragende sind letztlich aber Christen, Muslime, Buddhisten, Hindus, Angehörige indigener und anderer Religionen und Religionslose gleichermaßen, wenn Verletzungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit entweder nicht oder nur noch selektiv kritisiert werden und dabei eine Gruppe gegen die andere ausgespielt wird. Dann entscheiden letztlich die Mehrheitsverhältnisse in einem Land, wer seine Religion frei, ohne Diskriminierung und Verfolgung, ausüben kann und wer nicht.
Als katholische Kirche müssen wir uns für Religionsfreiheit im vollen Umfang einsetzen und ihre Verletzungen kritisieren. Das Engagement für Religionsfreiheit sollte sowohl die Angehörigen verschiedener Religionen und Weltanschauungen als auch die unterschiedlichen politischen Parteien des demokratischen Spektrums zusammenbringen und nicht voneinander trennen. Wo immer möglich, müssen sich deshalb kirchliche Akteure gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und Politik gegen die rechtspopulistische Vereinnahmung von Religion stemmen. Das gelingt jedoch nur, wenn Religionsfreiheit ernstgenommen und differenziert diskutiert wird. Nur so können wir auch als Christinnen und Christen glaubwürdig und frei vom Ideologieverdacht eine breite Solidarität mit unseren bedrängten Glaubensgeschwistern weltweit organisieren.
Mindestens genauso wichtig ist der Einsatz, nicht zuletzt auch der Politik, für einen interreligiösen Dialog, durch den faktische Diskriminierung und Gewalt zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Religionen auf lange Sicht abgebaut wird. Im vergangenen Jahr erhielt die Initiative "Mütter für den Frieden" aus dem Norden Nigerias den Aachener Friedenspreis. Dort haben sich christliche und muslimische Frauen zusammengeschlossen, um gemeinsam dem Terror der islamistischen Gruppe Boko Haram und der politischen Instrumentalisierung von Religion ihre Solidarität entgegenzusetzen. Diese Frauen haben selbst Gewalt erfahren oder nahe Angehörige verloren, sehen aber die Notwendigkeit, sich für ein friedliches Zusammenleben der Religionen einzusetzen.
Die "Mütter für den Frieden" sind ein konkretes Beispiel und Vorbild für alle, die sich dem Erodieren zwischenmenschlicher Solidarität durch Populismus und Fundamentalismus entgegenstemmen. Am heutige Gebetstag der katholischen Kirche in Deutschland für bedrängte und verfolgte Christinnen und Christen bete ich für diese Frauen, die dabei für alle Menschen stehen, die sich mutig und unermüdlich in ähnlichen Initiativen engagieren.
Der Autor
Pfarrer Dirk Bingener ist Präsident des Internationalen Katholischen Missionswerks missio Aachen.