Der Oligarch Poroschenko wird neuer Präsident

Neustart für die Ukraine

Veröffentlicht am 26.05.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ukraine

Kiew/Donezk ‐ Der prowestliche Milliardär Pjotr Poroschenko hat in der Ukraine die von Gewalt überschattete Präsidentenwahl laut Prognosen gewonnen. Der 48 Jahre alte Süßwarenfabrikant erklärte sich am Sonntag zum Wahlsieger - und gratulierte zugleich dem Ex-Boxchampion Vitali Klitschko zum Gewinn bei der Bürgermeisterwahl in Kiew. Poroschenko kündigte eine umgehende Reise zu Krisengesprächen in die von blutiger Gewalt erschütterte Ostukraine an.

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In den russisch geprägten Gebieten Donezk und Lugansk kamen bei Kämpfen von proukrainischen Einheiten gegen militante Separatisten am Wahltag mehrere Menschen ums Leben, darunter erstmals auch Journalisten.

Der frühere Wirtschafts- und Außenminister Poroschenko lag in mehreren Wählerbefragungen bei über 55 Prozent der Stimmen. In seiner Siegesrede kündigte Poroschenko einen klaren Westkurs der früheren Sowjetrepublik an. Zugleich bot er mitten in der schwersten Krise mit Russland dem Nachbarland Gespräche für eine Normalisierung der Lage an. Seine erste Auslandsreise will der Politiker nach Polen unternehmen. Poroschenko kündigte an, seine Unternehmen zu verkaufen.

Mehrere Menschen kamen ums Leben

Unter dem Schutz bewaffneter Polizisten gaben Millionen Ukrainer ihre Stimme ab. In den von Aufständischen kontrollierten Regionen im Osten öffnete nur ein Teil der Wahllokale. Örtliche Medien berichteten von vereinzelten Übergriffen moskautreuer Kräfte auf Wahlstellen. Bei Gefechten in der Stadt Slawjansk kamen mehrere Soldaten sowie ein italienischer Fotograf ums Leben.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Memorial starb auch der prominente Bürgerrechtler und Journalist Andrej Mironow, der den italienischen Reporter begleitet hatte. Ukrainische Behörden kündigten eine Untersuchung des Falls an. Viele Einwohner der Gebiete Donezk und Lugansk trauten sich nicht zur Wahl oder fanden keine Möglichkeit zur Stimmabgabe vor.

Bild: ©KNA

Archivnummer: KNA_251208

Klitschko wird wohl Bürgermeister in Kiew

Bei der Bürgermeisterwahl in der ukrainischen Hauptstadt Kiew siegte der mehrfache Boxweltmeister Klitschko. Für den Verbündeten von Poroschenko war es der Sieg in der dritten Runde. Klitschko habe 57,4 Prozent der Stimmen erhalten, ergab eine Nachwahlbefragung im Auftrag des Staatsfernsehens. Der 42-Jährige hatte 2006 und 2008 jeweils die Abstimmung verloren. Seine Partei Udar (Schlag) wurde nach eigenen Angaben zudem mit rund 40 Prozent stärkste Fraktion im Kiewer Stadtrat.

Die Bundesregierung wertete den Ausgang der Wahl als klares Signal für die Einheit des Landes. Ein Sieg Poroschenkos "wäre jedenfalls ein klares Signal auch an die Separatisten in der Ostukraine", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Sonntag in der ARD. Er hoffe, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Wahl wie angekündigt respektieren werde.

Poroschenko will für Stabilität sorgen

Poroschenko kündigte an, für Stabilität zu sorgen. "Die Bewaffneten müssen von den Straßen der Städte und Dörfer verschwinden", sagte er in Kiew. Poroschenko tritt trotz aller Ressentiments für einen Dialog mit dem großen Nachbarn Russland ein. Er hoffe auf ein Treffen mit Putin, sagte er. Allerdings betonte er prompt, dass die Ukraine niemals die "Okkupation" der Schwarzmeerhalbinsel Krim durch Russland anerkennen werden. Auch eine Unabhängigkeit der selbst ernannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk will er nicht zulassen.

Bild: ©dpa/Pyotr Zadorozhnyi

Hunderttausende Menschen demonstrieren in Kiew gegen die Regierung der Ukraine.

Die Ukraine ist seit der Absetzung und Flucht von Präsident Viktor Janukowitsch ins russische Exil Mitte Februar ohne gewählten Staatschef. Der Westen hofft, dass der Wahlausgang die Lage in der vor dem Staatsbankrott stehenden Ukraine stabilisiert. Putin hatte am Samstag im Gespräch mit Vertretern internationaler Nachrichtenagentur bekräftigt, Moskau werde das Votum respektieren. Er sprach aber nicht ausdrücklich von einer "Anerkennung" und geht von einer Fortsetzung der Krise aus.

Die Regierung in Kiew hatte die Rekordzahl von etwa 3.000 internationalen Wahlbeobachtern aus rund 20 Ländern eingeladen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teilte mit, etwa 1.000 Experten im Einsatz zu haben, darunter nach Angaben von Bundesaußenminister Steinmeier rund 100 Deutsche.

Keine offiziellen Beobachter aus Russland

Russland hatte aus Protest gegen den "verfassungswidrigen Umsturz" in der Ukraine erstmals keine offiziellen Beobachter entsandt. Es gab allerdings Hunderte Freiwillige.

Insgesamt waren etwa 35 Millionen Menschen wahlberechtigt. Mit eingerechnet waren auch die Einwohner der Schwarzmeerhalbinsel Krim, die Russland gegen internationalen Protest annektiert hatte. Eine Abstimmung gab es dort aber nicht. In den von Separatisten teilweise kontrollierten östlichen Gebieten leben etwa 6,5 Millionen Menschen, von denen die Mehrheit nicht an dem Urnengang teilnahm.

Die Gebietshauptstadt Lugansk ist vollständig unter Kontrolle prorussischer Separatisten. In zwei Städten wurden zudem die Bürgermeisterwahlen abgesagt. In der Region halten moskautreue Kräfte zahlreiche Verwaltungsgebäude besetzt. Die Separatisten hatten sich nach umstrittenen Referenden von Kiew losgesagt. (dpa)

Aufruf zum Gebet

Einen Tag vor der Wahl des ukrainischen Staatspräsidenten hatten ranghohe Vertreter der Kirchen sowie der jüdischen und muslimischen Gemeinden zur nationalen Eintracht aufgerufen. Sie beteten am Samstag in der Sophien-Kathedrale für eine friedliche und faire Abstimmung. Der orthodoxe Kiewer Patriarch Filaret drückte im Anschluss an das Gebet laut örtlichen Medien die Hoffnung aus, dass Russland die ukrainischen Grenzen nicht antasten und die im März annektierte Schwarzmeerhalbinsel Krim zurückgeben werde. Gott sei auf der Seite der Ukraine, weil er immer denen beistehe, die Opfer einer Aggression würden. Europa solle sich Russland "entschlossener" entgegenstellen, zitiert die Agentur Unian das Kirchenoberhaupt. An dem Friedensgebet beteiligten sich neben Filaret das frühere Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche, Kardinal Lubomyr Husar, und hohe Repräsentanten von mehr als einem halben Dutzend weiterer Glaubensgemeinschaften. Die dem Moskauer Patriarchat unterstehende ukrainisch-orthodoxe Kirche war nicht vertreten. Deren kommissarisches Oberhaupt, Metropolit Onufri, betete fast zeitgleich bei einem Gottesdienst im Höhlenkloster für Frieden in der Ukraine. Die Kirchen genießen in der Ukraine große Autorität. Laut einer aktuellen Umfrage vertrauen "der Kirche" 65,6 Prozent der Bürger; nach Konfessionen wurde dabei nicht unterschieden. (KNA)