Scharfe Proteste gegen Abberufung von Pfarrer durch Kardinal Woelki
Der Kirchenvorstand einer Gemeinde in Bergisch Gladbach wirft Kardinal Rainer Maria Woelki und dem für die Entwicklung der Pastoralen Einheiten zuständigen Hauptabteilungsleiter Lügen und menschenverachtendes Verhalten bei der Umstrukturierung der Gemeinden in der Stadt vor. In einem offenen Brief vom Samstag zeigte sich das Gremium entsetzt darüber, dass Bergisch Gladbach als "Modellprojekt" für die Zusammenlegung von Gemeinden zu pastoralen Einheiten ohne Wissen und Beteiligung des Pfarrers und der Gemeinde ausgewählt wurde. Auch der bisherige Pfarrer Winfried Kissel, der gegen seinen Willen seinen Rücktritt anbieten musste, äußerte in einem Brief an die Gemeinde sein Unverständnis. "Wir als Kirchengemeinde fühlen uns von der Bistumsleitung als Christen ohne Rechte behandelt, die nach Gutdünken und der Willkür der Bistumsleitung zu funktionieren haben", heißt es in dem Offenen Brief, der unter anderem durch den Kirchenvorstand der Gemeinde St. Johann Baptist Refrath-Frankenforst unterzeichnet wurde. Das Erzbistum Köln äußerte sich noch nicht zu den Vorwürfen.
Auf Facebook kündigte der langjährige Bürgermeister von Bergisch Gladbach, Lutz Urbach (CDU), aus Protest gegen das Vorgehen seinen Kirchenaustritt an. "Nach den schon unerträglichen Vorgängen rund um die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum kommen nun noch Personalentscheidungen im Dekanat hinzu, die wir als völlig untragbar ansehen – und die ich aus meiner elfjährigen Tätigkeit als Bürgermeister der Stadt Bergisch Gladbach glaube beurteilen zu können", so Urbach. "Es fällt unsäglich schwer, aber es geht nicht mehr! Fast nichts wünschen wir uns mehr, als den Weg zurück in unsere Kirche, aber diese Entwicklungen machen einen Verbleib für uns unmöglich", heißt es in der von Urbach veröffentlichten Mail an Kreisdechant Norbert Hörter, der ab dem 1. März als neuer Pfarrer für Bergisch Gladbach die Gemeinden übernehmen soll.
Pfarrer und Kirchenvorstand fühlen sich belogen und betrogen
Am Wochenende wurde mit einem durch den zuständigen Hauptabteilungsleiter Markus Bosbach unterzeichneten in den Gottesdiensten zu verlesenden Proklamandum die Entscheidung bekannt gemacht, die fünf bisherigen Seelsorgebereiche der Stadt als Modellprojekt zu einer Pastoralen Einheit zusammenzulegen. Die Umsetzung solle zum 1. März erfolgen. Die bisherigen leitenden Pfarrer von St. Johann Baptist und der Pfarreiengemeinschaft Bergisch Gladbach West, Winfried Kissel und Wilhelm Darscheid, scheiden Ende Februar aus ihren Ämtern aus. Bosbach wisse, so das Proklamandum, dass die anstehenden Veränderungen von den Katholiken in Bergisch Gladbach unterschiedlich bewertet werden. "Ich möchte von Herzen darum werben, dass wir uns dazu auf den Weg machen, unterschiedliche Sichtweisen aushalten, um gemeinsame Lösungen ringen und die positiven Chancen dieses Weges in die Zukunft einer Pastoralen Einheit Bergisch Gladbach entdecken", so der Leiter der Hauptabteilung "Entwicklung Pastorale Einheiten" im Erzbischöflichen Generalvikariat.
In seinem von der Gemeinde veröffentlichten Brief erläutert Pfarrer Kissel, dass er von Woelki zum Verzicht auf sein Amt gedrängt wurde: "Er verlangt von mir diesen Schritt unter Verweis auf das Gehorsamsversprechen, das ich ihm bei der Weihe gegeben habe. Ich gehe diesen Schritt nicht freiwillig." Kissel sei durch die Art und Weise, wie diese Veränderung durchgesetzt und kommuniziert wurde, "verletzt und enttäuscht". Die Entscheidung der Bistumsleitung sieht er als im Widerspruch zu vorigen Zusagen stehend, dass vor September 2023 keine Personalentscheidungen vorgenommen würden. "Gerade im Hinblick auf den großen Vertrauensverlust, der aufgrund des Umgangs unserer Bistumsleitung mit Missbrauch entstanden ist, aber auch hinsichtlich des Versprechens von Transparenz und Einbeziehung der Gemeinde im Projekt #ZusammenFinden, fühle ich mich bewusst getäuscht und belogen", so Kissel weiter. Nach Angaben des Pfarrers sei sein Angebot, als Pfarrvikar in der neuen pastoralen Einheit zu wirken, ausgeschlagen worden.
Der Kirchenvorstand kritisiert die Entscheidung über Kissel, der seit 2005 Pfarrer in der Gemeinde war, mit deutlichen Worten: "Ihr Handeln ist nicht nur unverständlich, sondern zutiefst menschenverachtend und unchristlich. Sie behandeln Menschen wie Schachfiguren, die je nach taktischem Erfordernis herausgeworfen oder beliebig verschoben werden." Ende November sei der Gemeinde noch mitgeteilt worden, dass vorerst weder strukturelle noch personelle Veränderungen anstünden. Die formale Errichtung der Pastoralen Einheiten werde erst zum 1. September 2023 erfolgen. Angekündigte Gespräche vor Ort hätten nicht stattgefunden, Rückmeldungen aus der Gemeinde seien unbeantwortet geblieben. Dass Bergisch Gladbach eine Sonderrolle einnehmen solle, sei den Betroffenen vorher nicht mitgeteilt worden. Von der Bistumsleitung fordert der Kirchenvorstand, den Pfarrer bis zum 1. September im Amt zu belassen, das Modellprojekt in Bergisch Gladbach aufzugeben und die Gemeinden in der Stadt gleich wie alle anderen Gemeinden im Erzbistum zu behandeln.
Unter dem Projekttitel "#ZusammenFinden" will das Erzbistum Köln seine bislang 178 Seelsorgebereiche auf etwa 65 Pastorale Einheiten reduzieren. Als Grund für den Prozess führte das Erzbistum im vergangenen März die rückläufigen Zahlen bei Katholiken, Engagierten, Seelsorgenden und bei den Finanzen an. Kardinal Woelki hatte im Rahmen des "Pastoralen Zukunftswegs" diesen Schritt angekündigt, was zu heftiger Kritik an der Kirchenbasis geführt hatte. Die Entscheidung über den Zuschnitt der künftigen Einheiten sollte maßgeblich durch die Gremien vor Ort geschehen, das Erzbistum kündigte an, dass überall dort, wo es einheitliche Voten der beteiligten Gremien gebe, der Erzbischof diese Voten bestätigen werde. Im April wurden die Vorschläge für den neuen Zuschnitt vorgestellt. (fxn)
16. Januar 2023, 14.45 Uhr: Ergänzt um Kirchenaustritt.