"Für eine fundierte Aufarbeitung wäre dies ein Schlag ins Gesicht"

Anwalt kritisiert angekündigte Vernichtung von Notizen Benedikts XVI.

Veröffentlicht am 19.01.2023 um 09:11 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Erzbischof Gänswein teilte in seinem Buch mit, der verstorbene frühere Papst Benedikt XVI. habe ihn beauftragt, sämtliche Notizen nach seinem Tod zu vernichten. Der mit Missbrauch befasste Rechtsanwalt Ulrich Wastl kritisiert das scharf.

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Der mit der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising befasste Rechtsanwalt Ulrich Wastl sieht die angekündigte Vernichtung von Aufzeichnungen des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. kritisch. "Für eine fundierte Aufarbeitung wäre dies ein Schlag ins Gesicht", sagte Wastl, dessen Kanzlei vor einem Jahr ein Missbrauchsgutachten im Auftrag des Erzbistums vorgelegt hatte, der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstag). "Es wäre aber auch für die Kirche schädlich. Es blieben nur noch Fragen, wie beispielsweise: Gab es eine derartige Bitte des verstorbenen Papstes überhaupt? Geht es wieder nur um die einseitige Deutungshoheit? Was gilt es zu verbergen?"

Anfang Januar hatte der Privatsekretär von Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, in einem jüngst veröffentlichten Buch mitgeteilt, der verstorbene frühere Papst habe ihn beauftragt, sämtliche Notizen nach seinem Tod zu vernichten. Derzeit läuft eine Feststellungsklage eines mutmaßlichen Missbrauchsopfers aus dem oberbayerischen Garching an der Alz, die klären soll, ob Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., als Münchner Erzbischof (1977-1982) durch sein Handeln oder Unterlassen in einem Missbrauchsfall zu Schadensersatz verpflichtet gewesen wäre.

"...daran habe ich meine Zweifel"

Rechtsanwalt Wastl sagte der "Süddeutschen Zeitung", Ratzinger sei zwar an Aufklärung und Aufarbeitung interessiert gewesen, "es gab zumindest viele Vorschriften in diese Richtung. Ob diese mit Nachdruck verfolgt wurden, daran habe ich meine Zweifel." Die Anwälte der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl stellten damals in ihrem Gutachten die Behauptung von Benedikt XVI. infrage, er habe 1980 nichts von der Vorgeschichte des betreffenden Priesters als Missbrauchstäter gewusst.

Was die weitere Aufklärung von Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising angehe, sehe er noch Luft nach oben, sagte Wastl. Manche Gemeinden bräuchten mehr Zuwendung. "Die Bistumsspitze hätte schon viel früher hinfahren und die Leute fragen müssen: Wie geht es euch? Diese aktiven Laien sind in Teilen natürlich überfordert. Es bräuchte ein von außen kommendes Kriseninterventionsteam, das sich aus nicht überwiegend auf der Gehaltsliste der Diözese stehenden Personen zusammensetzt."

Auch staatliche Unterstützung bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche wäre "sehr sinnvoll", so Wastl. "Vielleicht steht sich die Institution Kirche selbst im Wege, weil sie noch immer an die Selbstheilungskräfte glaubt. Das funktioniert aber nicht." (KNA)