Reisinger: Kultur in der Kirche begünstigt Missbrauch von Frauen
Die Theologin Doris Reisinger hält einen tiefgreifenden Wandel im Umgang der Kirche mit Frauen für notwendig, um angemessen auf den Missbrauch insbesondere von Ordensfrauen reagieren zu können. In einem Beitrag für den US-amerikanischen "National Catholic Reporter" (Dienstag) weist die Missbrauchsforscherin darauf hin, dass Ordensfrauen aufgrund ihrer umfassenden Abhängigkeit von ihren Gemeinschaften und der männlichen kirchlichen Hierarchie besonders anfällig für Missbrauch und dessen Vertuschung sind. "Ordensfrauen müssen einen kanonischen Status erhalten, der es ihnen erlaubt, sich auch gegen Vorgesetzte und Kleriker wirksam zu verteidigen, und die zutiefst sexistische und frauenfeindliche Kultur in der katholischen Kirche muss einer Kultur des wahren Respekts für Frauen weichen", so Reisinger.
Solange die Kirche von einem System beherrscht werde, in dem Frauen und Männer, Kleriker und Laien ungleich seien, könnten entsprechende Änderungen aber nicht erreicht werden, betont die Theologin: "Im Moment scheint diese Art von Gleichheit mehr als utopisch." Das kirchliche System sei geprägt von mangelnder Transparenz und Klerikalismus. Reisinger kritisiert vor allem die rechtliche Untersuchung und Aufarbeitung von Vorwürfen in der Kirche, bei der Kleriker über ihre Kollegen im Priesteramt urteilen. Im Kirchenrecht gebe es eine falsche Schwerpunktsetzung: Die Heiligkeit der Beichte habe einen höheren Stellenwert als die Rechte der Opfer, die in kirchlichen Strafverfahren lediglich als Zeugen gehört werden können, nicht aber selbst als Nebenkläger Verfahrensbeteiligte sein können.
Fall Rupnik exemplarisch für Missbrauch in der Kirche
Reisinger bezieht sich in ihren Ausführungen vor allem auf den Fall des Jesuiten Marko Rupnik, dem sexualisierte Gewalt und geistlicher Missbrauch von Frauen in einer von ihm gegründeten Gemeinschaft vorgeworfen werden. Rupnik war zeitweise exkommuniziert, da er eine Frau, mit der er unerlaubt Sex hatte, in der Beichte davon loszusprechen versuchte. Der Fall Rupnik sei typisch für das Vorgehen von Tätern: "die enorme Macht eines charismatischen Priesters; das sorgfältig geplante Grooming, das das Vertrauen des Opfers ausnutzt und seinen Handlungsspielraum einschränkt; und die diplomatische Zurückhaltung der zuständigen Behörden".
Im Mai 2020 stellte die Glaubenskongregation die Exkommunikation Rupniks formal fest und hob sie nach seiner Reue noch im selben Monat wieder auf. Weitere Anzeigen von mindestens neun Frauen, die meisten davon Ordensfrauen, wegen geistlichen Machtmissbrauchs und sexueller Handlungen führten 2021 zu weiteren kirchlichen Ermittlungen gegen Rupnik. Zu einem Prozess kam es jedoch wegen Verjährung der Taten nicht mehr. (fxn)