Erzbischof bei Karlsamt: Glaube für Mehrheit in Europa irrelevant
Nach Einschätzung des Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz ist der christliche Glaube für die meisten Menschen in Europa heute nahezu irrelevant. "Er gibt der Mehrheit der Menschen in unseren Ländern keine Grundlage mehr für ihr Leben, ihr Handeln, für die Abwägung von Entscheidungen, für ihre Vorstellungen von der Welt", sagte der Reimser Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort am Samstagabend in seiner Predigt beim traditionsreichen Karlsamt im Frankfurter Dom.
Der christliche Glaube sei für viele Menschen in Europa "nur noch ein Teil des kulturellen Erbes", und nur noch wenige seien darauf bedacht, im Glauben "eine lebendige Quelle zu suchen", sagte Moulins-Beaufort (60). Die Worte Jesu berührten zwar vielleicht Menschen noch, aber oft "nur wie ein vorübergehendes Gefühl".
Die Kirche sei auf dem gesamten europäischen Kontinent "nicht mehr die Mutter, die Menschen zum Leben im Geist befähigt", sagte der Bischofskonferenz-Vorsitzende. "Sie bietet den Staaten nicht mehr die Ressourcen der Sinngebung, des Trostes und des Engagements, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten ausgleichen."
Katholische Kirche für viele "beunruhigende Kraft"
Vielen gelte die Kirche "als Relikt der Vergangenheit" und werde als eher lästig eingeschätzt. Die katholische Kirche erscheine vielen Menschen "sogar als eine beunruhigende Kraft, deren gesellschaftlicher Nutzen durch die bisher vertuschten Verbrechen, die in ihrem Inneren begangen wurden, weitgehend geschmälert wird". Bei der Herbstvollversammlung der französischen Bischofskonferenz hatte Moulins-Beaufort mitgeteilt, dass nicht weniger als elf amtierende oder pensionierte Bischöfe aufgrund von Enthüllungen von Missbrauch im Visier behördlicher oder kirchlicher Ermittlungen standen oder stehen.
Der Erzbischof fragte mit Blick auf die im Dom versammelte Kirchengemeinde: "Können wir nicht erkennen, dass wir uns in einer Phase der Reinigung befinden, damit das Evangelium wieder als das Feuer erscheint, das unsere Vorstellungen von der Welt erneuert?" Die Kirche könne so wieder der Ort werden, "an dem ein unerwartetes Maß an Freiheit" und eine tiefe Freude erfahrbar seien.
Die katholische Kirche im heutigen Europa könne nicht mehr die Kraft sein, die die Bewohner vereine. Sie gleiche vielmehr dem in der Bibel beschriebenen "kleinen Rest" Israels, also einem "kleinen gedemütigten und bescheidenen Rest, der jedoch Träger einer Verheißung für die gesamte Menschheit wird".
Zuvor hatte Moulins-Beaufort beim "Domgespräch" zur Frage, was sich die Gläubigen in Frankreich erhofften, gesagt: "Sie erwarten eine Kirche, die zu ihnen geht und eine Kirche der Offenheit – inklusiv, nicht exklusiv." Er fügte hinzu: "Allerdings ist die Frage einer Weihe von Frauen in Frankreich nicht so ein intensives Thema wie in Deutschland."
Moulins-Beaufort predigte auf Deutsch
Den feierlichen Gottesdienst im Bartholomäusdom zu Ehren von Karl dem Großen (um 748 bis 814) gibt es seit 1332. Die katholische Kirche in Frankfurt erinnert jeweils am letzten Januarsamstag an Kaiser Karl den Großen, der am 28. Januar 814 starb. Er wird als Gründervater Europas verehrt und ist Patron der Stadt und des Kaiserdoms.
Zur Liturgie des Karlsamts gehören mittelalterliche lateinische Gesänge und die Kaiserlaudes, in der Huldigungsrufe an Christus mit Bittrufen für Kirche, Papst, Bischof, das deutsche Volk und alle Regierenden verbunden werden. Erstmals gab es nun keine pandemiebedingten Einschränkungen mehr beim Karlsamt, an dem auch Vertreter von Ritterorden teilnahmen. Stadtdekan Johannes zu Eltz und der Limburger Bischof Georg Bätzing begrüßten unter anderen die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde.
Moulins-Beaufort hielt seine Predigt auf Deutsch. Er wurde 1962 im pfälzischen Landau geboren, wo sein Vater als französischer Offizier stationiert war, und studierte Theologie auch an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. (cbr/KNA)