Äbtissin vor ihrer Weihe: "Gehorsam ist ein Dialog"
Schwester Katharina Drouvé ist die 41. Nachfolgerin der heiligen Hildegard von Bingen und damit "Chefin" der Benediktinerinnen der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim. Am 4. März 2023 wird Drouvé (Foto oben, Mitte) von Bischof Georg Bätzing im Rahmen einer Eucharistiefeier die Äbtissinenweihe empfangen. Wie die neue Äbtissin Leitung versteht und warum sie auch einen "Klosterrat" einberuft, erklärt sie im Interview mit katholisch.de.
Frage: Schwester Katharina Drouvé, Sie sind die neue Äbtissin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim und damit die 41. Nachfolgerin der heiligen Hildegard. Eine Herausforderung für Sie?
Schwester Katharina: Ja, das verstehe ich als Herausforderung und als Auftrag, das Erbe der heiligen Hildegard zu pflegen, um es für die Gegenwart und die Zukunft fruchtbar und lebendig zu machen.
Frage: Für wie viele Schwestern sind Sie nun "Chefin"?
Schwester Katharina: In unserer Abtei sind wir derzeit 37 Schwestern.
Frage: In den 1940er Jahren lebten bis zu 140 Ordensfrauen in Ihrer Abtei. Wie gehen Sie mit dem Nachwuchsmangel um?
Schwester Katharina: Wir haben zurzeit eine zeitliche Professe und eine Postulantin. Im kommenden Mai dürfen wir uns über einen weiteren Eintritt freuen, und mehrere Frauen sind mit unserer Noviziatsleiterin im Gespräch. Aber natürlich sind die Eintrittszahlen auch bei uns zurückgegangen. Wir machen uns in diesem Zusammenhang auch Gedanken über andere Möglichkeiten und erweiterte Formen des Mitlebens in unserer Gemeinschaft. Denn das Interesse an Kloster auf Zeit ist groß. Dass derzeit so viele Klöster geschlossen werden, ist ein großer Kulturverlust, für unsere Kirche und für die Gesellschaft.
Frage: Als Äbtissin haben Sie laut der Benediktregel die Aufgabe übernommen, "Menschen zu führen". Was ist Ihnen bei Ihrer neuen Aufgabe wichtig?
Schwester Katharina: Die Antwort ergibt sich aus dem zweiten Teil des Satzes aus der Benediksregel (RB 2, 31), den Sie hier nicht mehr zitieren: "und der Eigenart vieler zu dienen". Mir ist wichtig, zu hören, was für die Einzelnen und die Gemeinschaft als Ganze gut und heilsam ist, was zur Einheit führt und Leben zur Entfaltung bringt. Das beinhaltet auch eine Art Übersetzungsarbeit zwischen verschiedenen Charakteren und Welten, in denen die einzelnen leben.
Frage: In der Benediktsregel steht an einer anderen Stelle auch: "Der Abt mache alles Gute und Heilige mehr durch sein Leben als durch sein Reden sichtbar". Wie kann das funktionieren?
Schwester Katharina: Benedikt weist in seiner Regel die Äbtissin und den Abt auf die Verantwortung hin, sich um ein authentisches Leben zu bemühen. Das heißt, dass Wort und Leben in Einklang sind und nicht zu sehr auseinanderfallen. Das gilt aber nicht nur für diejenigen, die Leitungsaufgaben innehaben, sondern für jedes Mitglied der Gemeinschaft und im Grunde für jeden Menschen. Benedikt weiß um den Menschen, seine Möglichkeiten und Grenzen, sein gutes Wollen und sein Versagen. Das macht die Größe und das Bodenständige der Benediktsregel aus und ist sicher ein Grund dafür, dass sie die Jahrhunderte überlebt hat.
Frage: Es gibt auch schwierige Stellen in der Benediktregel. Im Kapitel 23 wird die körperliche Strafe für Ungehorsam im Kloster beschrieben. Wie betrachtet man solche Anweisungen aus heutiger Sicht?
Schwester Katharina: Diese Stellen haben natürlich schon sehr lange keinen Sitz mehr im Leben unserer Gemeinschaften. Die Regel Benedikts ist im sechsten Jahrhundert entstanden und muss je neu interpretiert werden. Heute geht es in unseren Klöstern mehr darum, eine gute Gesprächs- und auch Streitkultur zu entwickeln und da, wo es mal knirscht und Verletzungen gibt, zur Versöhnung zu finden.
Frage: An einer anderen Stelle der Ordensregel steht auch "Nach einem Befehl des Oberen darf es kein Zögern geben …". Sehen Sie das als Äbtissin heute noch so?
Schwester Katharina: Gehorsam ist in der Benediktsregel von Beginn an dialogisch zu verstehen. Gehorsam ist ein Dialog, im Sinne des gemeinsamen Hörens auf den Willen Gottes. Es geht nicht darum, den eigenen Willen, der wichtig und notwendig ist für eine reife Persönlichkeit, aufzugeben, sondern das Beharren auf den eigenen Standpunkt. Das Gelübde des Gehorsams ist immer eine Gratwanderung. Sicher gab und gibt es in den Klöstern leider auch Fehlformen des Gehorsams, der Menschen verbiegt. Das darf auf keinen Fall so sein. Es muss vielmehr darum gehen, im Gespräch herauszufinden und zu hören, was den Einzelnen und die Gemeinschaft weiterbringt und wachsen lässt. Das stellt hohe Anforderungen an die Verantwortlichen. Natürlich kann es auch Situationen geben, in denen man einfach etwas um der Gemeinschaft willen tut, auch wenn es schwerfällt. Und, das ist mir persönlich sehr wichtig: Manchmal ist es auch hilfreich, sich von anderen liebevoll einen Spiegel vorhalten zu lassen, sodass eigene blinde Flecken aufgedeckt werden. Auch das hat sehr viel mit Hören und Gehorsam zu tun.
Frage: In der Benediktregel in Kapitel 3 geht es um die "Einberufung der Brüder zum Rat". Haben Sie auch so eine Form der Beratung im Kloster?
Schwester Katharina: In unseren Klöstern ist Synodalität, um die heute in der Kirche so viel gerungen wird, von Beginn an guter Brauch. Insofern können unsere Erfahrungen die Kirche als Ganze bereichern. Grundsätzlich werden auf diese Weise alle wichtigen Themen im ganzen Konvent besprochen. Dabei werden ausnahmslos alle gehört, unabhängig von ihrem Alter, ihrer Stellung im Konvent oder ihrem Bildungsgrad. Erst nach diesem Prozess, der nach dem geltenden Recht unserer Klöster in allen wichtigen Angelegenheiten eine Abstimmung vorsieht, trifft der Abt beziehungsweise die Äbtissin eine Entscheidung. Abt und Äbtissin haben außerdem einen engeren Rat, der, je nach Größe des Konventes, aus vier bis sechs Mitgliedern der Gemeinschaft besteht. Dieser Rat wird zu gleichen Teilen vom Konvent gewählt und von der Äbtissin ernannt und ist sozusagen für das Tagesgeschäft zuständig sowie für die Vorbereitung von größeren und längerfristigen Entscheidungsprozessen in Grundsatzfragen.
Frage: Wie beurteilen Sie den Synodalen Weg in Deutschland und den weltweiten Synodalen Prozess?
Schwester Katharina: Ich halte beide für sehr wichtige Schritte hin zu einem neuen Miteinander in unserer Kirche und sehe darin eine große Chance für eine Erneuerung und geistliche Rückbesinnung auf den Kern der Botschaft Jesu.
Frage: Wie sehen Sie das: Sollte man Reformen in der Kirche oder im Kloster fürchten oder vertrauen?
Schwester Katharina: Fürchten sollte man Reformen auf keinen Fall. Die Kirche und auch das Ordensleben ist immer reform- und erneuerungsbedürftig, sonst setzt eine lähmende Stagnation ein. Dabei gilt es immer gut abzuwägen, was man aus der Tradition bewahren möchte und was einer Erneuerung bedarf. Wir leben in einer Zeit mit vielen Umbrüchen und Krisen, mit sich auflösenden Strukturen und offenen Fragen in der Kirche und in unseren Ordensgemeinschaften. Krisen sind aber immer auch Chancen für Reformen und für Erneuerung. Wichtig ist, dass wir die Kraft finden, das Ganze zusammenzuhalten.
Hinweis
Am heutigen Samstag wird Schwester Katharina Drouvé in Rüdesheim die Äbtissinnenweihe empfangen. Die feierliche Benediktion erfolgt durch Bischof Georg Bätzing. Die Benediktinerinnenabtei St. Hildegard überträgt die Weihe ab 14 Uhr live im Internet.