Queere Person Bo Stein: "Der Priester sagte: 'Du kommst in die Hölle'"
Papst Franziskus hat wiederholt davon gesprochen, Homosexualität nicht zu kriminalisieren. Doch schon die Frage, wie die Kirche zu Homosexualität steht, sorgt in der Kirche regelmäßig für Diskussionen. Wie sieht es vor Ort aus? Einen Einblick gibt Bo Stein, der Name ist ein Pseudonym, zu groß sind noch manche Wunden. Nach dem Coming-out in der Heimatgemeinde als homosexuell folgte einige Jahre und einen Umzug später ein weiteres als nicht-binär. Mit sehr unterschiedlichen Folgen.
Frage: Bo Stein, Sie haben sich zweimal geoutet, das erste Mal also homosexuell, einige Jahre später dann als nicht-binär. Fangen wir mit dem ersten Coming-out in Ihrer Jugend an. Damals waren Sie zwölf Jahre alt. Wie hat Ihre Gemeinde darauf reagiert?
Stein: Die Kirche ist mir bis heute sehr wichtig. Ich war das glücklichste Kind bei meiner Erstkommunion, ich liebe es, in die Messe zu gehen. Deshalb wollte ich damals, 2014, unbedingt mit jemandem von der Kirche sprechen. Leider gab es damals und gibt es bis heute in meiner Heimatgemeinde einen Priester, der darauf nicht so schön reagiert hat. Ich habe immer viel und gern Messe gedient. Doch als ich mir das erste Mal die Haare rot gefärbt hatte, hat er gedroht, mich aus der Sakristei zu werfen. Als es dann um mein Coming-out ging, wollte ich eigentlich mit einem mir vertrauteren Priester sprechen, der war aber krank – einen weiteren kannte ich kaum. Also ging ich zu diesem sehr konservativen Priester. Er sagte mir: "Das geht nicht, du kommst in die Hölle." Mit zwölf Jahren glaubt man das. Das war nicht so cool.
Frage: Gab es denn außer einem Priester niemanden vom kirchlichen Personal, der da einen Gegenakzent gesetzt hat?
Stein: Der damalige Gemeindereferent hat auf mein Coming-out überhaupt nicht reagiert. Er hat es zur Kenntnis genommen und nie wieder darüber geredet. Mit der anderen Gemeindereferentin hatte ich vergleichsweise wenig Kontakt. Bei der Begleitung meiner Kinderkommunion hatte ich sie als extrem streng kennengelernt. Da habe ich mich nicht wohlgefühlt.
Frage: Sie hatten also niemanden, mit dem Sie nach dieser traumatischen Erfahrung mit dem Priester hätten sprechen können.
Stein: Nein. Die einzige junge Person, die es damals in der Kirche gab, war ebendieser Priester, damals um die 30, heute Anfang 40.
Frage: Und die anderen Menschen in der Gemeinde?
Stein: Da war es okay. Ein paar Jahre vor mir hatte sich dort ein junger Mann als schwul offenbart – dadurch hatte ich die Sicherheit, dass es nicht schrecklich wird. Also waren zwar einige Leute skeptisch, aber ich wusste, dass das funktionieren kann. Nur der Pastor war das Problem. Bei ihm gehe ich bis heute nicht mehr in die Messe, obwohl ich es liebe, in die Messe zu gehen. Aber bei ihm habe ich einfach nur Angst.
„Ich war das glücklichste Kind bei meiner Erstkommunion, ich liebe es, in die Messe zu gehen.“
Frage: Welche Folgen hatte das Coming-out für Ihr Leben in der Gemeinde?
Stein: In der Messdienerschaft war ich die einzige Person in meinem Alter, die nicht in die Leiterrunde gekommen ist. Da kann man streiten, woran es lag. Ich gehe davon aus, dass es mit meinem Coming-out zu tun gehabt hat. Die Leitung der Messdiener hatte der gleiche Pastor, der Gedanke liegt also nahe.
Frage: Sie haben aber weiter gedient?
Stein: Ja, und ich habe das gerne gemacht. Ich habe viele Jahre Messe gedient, einfach weil es ein Weg war, in die Kirche zu gehen, ohne dass Leute mich komisch angeguckt haben, weil ich gefühlt den Altersdurchschnitt um zehn Jahre gesenkt habe. Ganz am Anfang, so mit neun oder zehn Jahren, habe ich teilweise zwei Messen pro Wochenende gedient. Später gab es in meiner Altersklasse dann nur noch die Leiterrunde und mich. Nach ein paar Jahren habe ich weniger gedient, auch weil ich begonnen hatte, mich bei der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) zu engagieren. Da war das Klima völlig anders, ich wurde dort immer so angenommen, wie ich bin. Da habe ich sogar manchmal meine damalige Beziehung mitgenommen.
Frage: Was war bei der KjG anders?
Stein: In dem Ort, wo ich herkomme, leben 5.000 Menschen und etwa 1.000 von denen bilden den Kern der Dorfgemeinschaft. Die sind fast alle katholisch und auch alle in mehreren Vereinen aktiv. Bei der KjG waren also auch die Messdiener. Was dort anders war: Ich hatte nicht nur mit Menschen in meinem Alter zu tun, sondern darüber hinaus. Beispielsweise auch mit dem Mann, der sich vor mir geoutet hatte. Da ich bei der KjG recht früh in die Leiterrunde gekommen bin, hatte ich also Kontakt zu mehr Menschen, das hat mich bestärkt. Deswegen war es für mich direkt ein Safe Space.
Frage: Beim zweiten Coming-out haben Sie bereits nicht mehr in Ihrer Heimat gewohnt, sondern waren zum Studium weggezogen. Wie ist es da gelaufen?
Stein: Das ist jetzt ungefähr ein Jahr her, aber sowas zieht sich ja auch. Bei meinem ersten Coming-out hatte es vier oder fünf Jahre gedauert, bis es irgendwann alle so ein bisschen wussten. Angefangen hatte ich 2019 in meiner Freundesgruppe, mich zu outen. In meiner Studienstadt hatte ich mich dann direkt mit meinem neuen Namen vorgestellt. Ich glaube, das war eine der besten Entscheidung meines Lebens. Das hat den Einstieg in der Gemeinde ein wenig vereinfacht, weil sich niemand umgewöhnen musste. Das haben die Leute hier einfach erstmal alles nicht hinterfragt, weil es kein Coming-out im klassischen Sinn war.
Frage: In welche Gemeinde sind Sie denn dort?
Stein: In dieser Stadt gibt es nur eine katholische Gemeinde, da gehe ich hin. Ich wusste zwar, dass es auch eine Studierendengemeinde gibt. Ein Nachbar von mir war dort im Vorstand und ich fragte ihn, ob es dort als queerer Mensch der richtige Ort sei. Er meinte, in dieser Situation sei es dort nicht immer gut und nicht immer schön, weil dort manche gern "das Thema Homosexualität kritisch diskutieren" wollen. Da war für mich klar, dass ich da nicht hingehen kann.
Frage: Was haben Sie stattdessen gemacht?
Stein: Ich wollte gern wieder Jugendarbeit machen, eine KjG gibt es hier aber nicht. Deshalb habe ich mich für die Pfadfinder von der DPSG entschieden. Ich habe vorher mit einer Freundin, die dort Leute kennt, geklärt, ob das als nicht-binäre Person in Ordnung wäre. Nach Gesprächen mit der Leitung war dann klar, dass ich gern kommen kann. Es gibt da zwar die eine oder den anderen aus der älteren Generation, denen man das mal genau erklären müsste, aber das ist für mich in Ordnung. Es ist kein Dauerthema hier. Ich wurde erst nach ein paar Tagen überhaupt darauf angesprochen, was denn eigentlich meine Pronomen wären. Ich habe mich direkt wohlgefühlt.
Frage: Und dadurch, dass Sie dort mit jedem Tag besser sozial vernetzt sind, wird es für die Menschen alltäglicher?
Stein: In einer Großstadt ist das einfach was anderes als auf dem Dorf. Hier wird sowas nicht direkt zum Tratsch der Gemeinde. Ich grüße zwar hier die Leute meiner Gemeinde auch auf der Straße, aber ich muss nicht die neuesten Gerüchte mit ihnen austauschen. Das kommt mir natürlich zugute, weil die anderen nicht so viel über mich reden. Hier kennt nicht jeder jeden.
Frage: Wie ist das zweite Coming-out denn in der Heimat angekommen?
Stein: In der Gemeinde habe ich sehr lange gebraucht, bis ich mich zum Coming-out getraut habe. Als ich einmal auf Heimatbesuch war, habe ich am letzten Tag ein Instagram-Posting abgesetzt, mich in den Zug gesetzt und bin gefahren. Ich hatte eine riesige Panik, aber aus der Gemeinde kam erstmal nichts. Keine Nachrichten, Likes oder so. Es ging erst los, als ich das nächste Mal zum Heimatfest da war. Alle hatten Fragen und die waren nicht immer nett oder höflich. Das war zum Teil sehr unangenehm. Bei der KjG war das kein Problem. Da wusste ich ja, dass Dinge wie Geschlechtergerechtigkeit wichtige Themen sind. Da konnte ich mich auch mit der geistlichen Leitung abstimmen. Bei meiner Familie war ich nervös, aber da war es okay. Mein Vater hat zwar eine Weile gebraucht, sich an den neuen Vornamen zu gewöhnen – von Pronomen will ich gar nicht reden. Aber es ist in Ordnung so. In die Messe zu dem einen Priester gehe ich dort allerdings immer noch nicht, nur bei anderen Priestern.
„In einer Großstadt ist das einfach was anderes als auf dem Dorf.“
Frage: Wenn Sie über die beiden Coming-outs nachdenken. Was hat Sie am meisten überrascht?
Stein: Wer es akzeptiert hat und wer nicht. Es gibt Menschen, die ich kenne, die ich so eingeschätzt hätte, dass sie das kritisch hinterfragen – und die das gut angenommen haben. Und andersherum. Leute, die ich als offen erlebt habe, haben mir auf einmal psychische Probleme unterstellt. Ich war natürlich Dorfgespräch und ich wurde immer wieder darauf angesprochen, auch von Leuten, mit denen ich nichts zu tun habe. Dort, wo ich jetzt wohne, war und ist die Situation einfach anders, weil mich vorher niemand kannte und weil die Welt hier etwas größer ist.
Frage: Was hat Sie bei diesen beiden Prozessen am meisten verletzt?
Stein: Bei meinem ersten Coming-out war es definitiv diese Unterhaltung mit dem Priester. Das hat wehgetan, weil ich ihm vertraut habe. Beim zweiten Coming-out weiß ich gar nicht, was mich am meisten verletzt hat. Ich glaube, da gab es nicht so viel wie beim ersten, weil die Leute, die mit dem ersten nicht klargekommen sind, auch das zweite nicht akzeptiert haben. Und die habe ich einfach komplett gemieden. Dadurch habe ich es ziemlich gut geschafft, dass ich beim zweiten Coming-out nicht so viele negative Reaktionen hatte.
Frage: Ist Ihnen Ihre Kirche dadurch als spirituelle, persönliche Heimat ein Stück weit verloren gegangen?
Stein: Schon. Ich glaube, ich habe vor allen Dingen eine Angst entwickelt, über mich im kirchlichen Kontext zu sprechen. Damit habe ich erst nach #OutinChurch angefangen. Viele Menschen, die mit mir befreundet sind, waren dabei. Ich nicht, weil ich damals noch mitten in diesem Prozess war. Aber dadurch habe ich wieder eine Heimat in der Kirche gefunden, dadurch, dass ich jetzt viele andere queere Menschen in der Kirche kenne.
Frage: Gehen Sie noch in die Messe, etwa, wenn Sie im Urlaub sind?
Stein: Es kommt ein bisschen darauf an, wo. Manchmal komme ich da an Priester, bei denen ich mich nicht wohl fühle, oft ist es aber auch sehr schön. Außer, wenn ich negative Erfahrungen mache, gehe ich immer überall gern.