Standpunkt

Geistlicher Missbrauch: Wir müssen Orden wieder zum Leuchten bringen

Veröffentlicht am 17.02.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nicht nur der Fall rund um den Arche-Gründer Jean Vanier zeigt, mit welcher abstrusen Ideologie Systeme des geistlichen und sexuellen Missbrauchs geschafften werden. Pater Max Cappabianca fordert eine radikale Neuausrichtung.

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Zuletzt waren es die Enthüllungen rund um den Gründer der Arche Jean Vanier, die noch einmal ein Schlaglicht auf das verquere Denken und Wirken der beiden leiblichen Brüder Thomas und Marie-Dominique Philippe, geworfen haben. Beide waren Theologieprofessoren und Mitglieder des Dominikanerordens. Auf unterschiedliche Weise haben sie ein ganzes System geistlichen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt aufgebaut. Thomas Philippe war Mentor Vaniers. Sein Bruder Marie-Dominique Philippe hatte den Orden der "Brüder des hl. Johannes" gegründet, und wie Thomas missbrauchte er Schutzbefohlene unter dem Deckmantel einer kruden Sektenideologie.

Besonders verstörend ist die abenteuerliche theologisch-spirituelle Erhöhung, mit der bei beiden das missbräuchliche Handeln daherkam. Und man fragt sich, ob die Brüder nicht sogar selbst geglaubt haben, in "göttlichem Auftrag" Frauen sexuell auszubeuten. Ebenso verstörend ist, dass vatikanische Sanktionen, die schon früh erfolgten, schnell komplett in Vergessenheit gerieten.

Ich fürchte, dass solche perversen Abirrungen auch in Zukunft vorkommen werden, wenn das Problem nicht an der Wurzel angepackt wird. Die Versuchung ist groß, die Ursachen nur in einem "Mangel" an geistlichem Leben zu suchen. Und es sollte zu denken geben, dass die schlimmsten Verirrungen – wenn auch nicht ausschließlich – gerade in theologisch sehr konservativ ausgerichteten Gemeinschaften geschehen sind. Es reicht daher nicht zu fordern, endlich die Regeln strenger zu befolgen und aszetischer zu leben, wie immer wieder vereinfachend gefordert wird.

Zum einen muss der Umgang mit der menschlichen Sexualität einer kritischen Revision unterzogen werden, wie es der Synodale Weg versucht hat: Zu offensichtlich ist die traditionelle katholische Morallehre gescheitert; zu wenig kann sie erklären, warum es gerade im religiösen Kontext zu sexualisierter Gewalt kommen konnte.

Zum anderen braucht es eine neue Kultur der Transparenz. Missbrauch war möglich, weil man tabuisierte und wegschaute. Weil man nicht wahrhaben und für möglich halten wollte. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Weil man verschwieg. "Die Wahrheit wird euch frei machen" (Johannes 8, 32) gilt auch hier.

Die Affäre um den Archegründer Vanier und der Brüder Philippe lehrt, dass geistlicher Missbrauch kein "Betriebsunfall" ist und systemische Ursachen hat, und dass man es sich zu einfach macht, wenn man nur auf die menschliche Sündhaftigkeit und die Notwendigkeit der Umkehr verweist. Es braucht radikale Neuausrichtungen, um den positiven Beitrag der Orden und geistlichen Gemeinschaften neu zum Leuchten zu bringen.

Von Pater Max Cappabianca

Der Autor

Der Dominikaner Max Cappabianca ist Leiter der Katholischen Studierendengemeinde Hl. Edith Stein in Berlin.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.