Bisherige Aufklärung in München und Freising nicht ausreichend

Betroffene der Integrierten Gemeinde fordern Aufarbeitungskommission

Veröffentlicht am 28.02.2023 um 11:44 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Die Münchner Visitation der Katholischen Integrierten Gemeinde scheiterte an mangelnder Kooperation. Ehemalige Mitglieder und Betroffene geben sich damit nicht zufrieden. Sie fordern nun eine Kommission mit umfassenden Vollmachten auf Bundesebene.

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Betroffene und ehemalige Mitglieder der "Katholischen Integrierten Gemeinde" fordern von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) eine Wahrheits- und Aufarbeitungskommission. Die Vereinigung der Betroffenen der geistlichen Gemeinschaft veröffentlichte am Montag einen Brief an den DBK-Vorsitzenden Bischof Georg Bätzing, in dem sie eine Kommission mit dem Ziel einer umfassenden Aufarbeitung der Theologie und Praxis der ehemaligen Integrierten Gemeinden verlangte.

Die Betroffenen sehen eine Untersuchung auf Ebene der DBK als notwendig an, um auch die Rolle der in verschiedenen Bistümern inkardinierten Priester erforschen zu können. Die Kommission soll nach dem Willen der 57 Unterzeichner durch einen Bischof geleitet werden, der von den übrigen Diözeanbischöfen bevollmächtigt wird, ehemaligen KIG-Priestern Weisungen zu erteilen. Befragt werden sollen ehemalige Gemeindeverantwortliche einschließlich der Priester sowie betroffene Ehemalige und externe Expertinnen und Experten aus den Bereichen Weltanschauungsforschung, Kirchenrecht, Theologie und Psychologie.

Kritik an Münchner Visitation

Deutliche Kritik äußern die Betroffenen am Münchner Kardinal Reinhard Marx, der eine Visitation der KIG in seinem Bistum angeordnet hatte. Der Erzbischof hatte im Dezember beim Münchner Presseclub auf die mangelnde Kooperationsbereitschaft der ehemaligen Verantwortlichen verwiesen und die Untersuchung als "keine richtige Visitation" bezeichnet, da "die andere Seite nicht mitgemacht" hätte. Daher gebe der Visitationsbericht nur Tendenzen an, sei aber noch kein "rechtlich fassbares" Ergebnis. Im Brief der Betroffenen wird diese Einschätzung als unverständliche Relativierung und Distanzierung gesehen: "Mit dieser Aussage des Kardinals werden zum einen die zahlreichen Zeugenaussagen der Betroffenen abqualifiziert und zugleich die Arbeit der drei Visitatoren als nicht objektiv hingestellt und missachtet", so das Schreiben weiter. Die KIG hatte dagegen stets betont, dass sie ihre Mitwirkungsbereitschaft den Visitatoren gegenüber mehrfach schriftlich mitgeteilt hätte.

In ihrem Brief beziehen sich die Unterzeichner auf ein Schreiben des Münchner Generalvikars Christoph Klingan, der gegenüber Betroffenen auf eine noch zu erfolgende Bewertung und Einordnung geistlichen Missbrauchs durch die Bischofskonferenz verwiesen hatte. Bei der derzeit stattfindenden Vollversammlung der DBK steht der Umgang mit geistlichem Missbrauch auf der Tagesordnung. Die KIG-Betroffenen sehen das als guten Anlass an, um eine vertiefte Aufarbeitung ihrer ehemaligen Gemeinschaft vorzunehmen. "Zudem können durch die Aufarbeitung des Geistlichen Missbrauchs in der ehemaligen KIG weitere Erkenntnisse erlangt werden, die sich positiv auf die Prävention dieser Form des Machtmissbrauchs in der Zukunft niederschlagen können", heißt es im Brief.

Vorwürfe geistlichen Missbrauchs und finanzieller Ausbeutung

Die 1948 von dem Ehepaar Traudl und Herbert Wallbrecher gegründete Gemeinschaft galt zeitweise als einer der wichtigsten Aufbrüche in der katholischen Kirche. Sie wollte nach eigener Darstellung "ein Ort für ein aufgeklärtes und unverkürztes Christentum" sein. 1978 wurde die Integrierte Gemeinde von den damaligen Erzbischöfen in Paderborn und München – Johannes Degenhardt und Joseph Ratzinger – kirchlich anerkannt und 1985 als öffentlicher Verein kirchenrechtlich errichtet. Sie zog namhafte Theologen wie den Ratzinger-Schüler Ludwig Weimer und die Neutestamentler Gerhard Lohfink und Rudolf Pesch als Mitglieder an.

Nach Schilderungen von ehemaligen Mitgliedern über geistliche Manipulationen in einem System psychischer und finanzieller Abhängigkeit ordnete Kardinal Marx 2019 eine Visitation der Gemeinschaft im Erzbistum München und Freising an. Auf der Grundlage des Visitationsberichts Ende 2020 löste der Münchener Erzbischof den Verein in seiner Diözese auf. Nach der Auflösung wurden zudem neue Vorwürfe erhoben. 2020 distanzierte sich der emeritierte Papst Benedikt XVI. von der KIG, zu der er jahrzehntelang enge Verbindungen unterhalten hatte. Er sei offensichtlich "über manches im Innenleben" der Gemeinde "nicht informiert oder gar getäuscht" worden, sagte er gegenüber der Herder-Korrespondenz. Mittlerweile ist die Gemeinschaft in fast allen deutschen Diözesen, in denen sie aktiv war, kirchenrechtlich abgewickelt. Zuletzt löste der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst die Organisation in seiner Diözese auf, für den letzten verbliebenen Verein im Erzbistum Paderborn führt die Bistumsleitung Gespräche mit Vertretern der KIG mit dem Ziel einer Auflösung. (fxn)