Standpunkt

Mit den Migranten als Kirche Zukunft gestalten

Veröffentlicht am 01.03.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Am Sonntag durfte Abt Nikodemus Schnabel elf philippinische Frauen in Jerusalem als Lektorinnen beauftragen. Das hat ihn nachdenklich gemacht. Er fragt sich: Wie steht es um Arbeitsmigranten und andere Übersehene in der Kirche in Deutschland?

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Der Erste Fastensonntag war ein ganz besonderer Tag für das Vikariat für Migranten und Asylsuchende des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, besonders für die Philippinischen Gemeinden in West-Jerusalem: Elf Frauen dieser Gemeinden durfte ich offiziell feierlich mit dem Dienst des Lektorats beauftragen. Dank des Motu Proprio "Spiritus Domini" von Papst Franziskus aus dem Jahr 2021 steht diese offizielle Beauftragung ja nun endlich allen Getauften und Gefirmten offen, wenn sie die entsprechende Eignung mitbringen, und ist nun endgültig aus dem Schatten der ehemals Klerikern vorbehaltenen niederen Weihen herausgetreten.

Es war überwältigend miterleben zu dürfen, wie diese hart arbeitenden Frauen sich monatelang intensiv und gewissenhaft mit Schwester Julita von der Apostolischen Delegatur in Jerusalem in ihrer raren Freizeit auf diesen Schritt vorbereitet haben, und wie sie alle in berührender Weise dargelegt haben, warum sie Lektorinnen werden wollen, wie die Heilige Schrift ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden ist und noch mehr werden soll. Schön war auch, dass alle wichtigen lokalen kirchlichen Medien bei der Feier mit dabei waren und prominent darüber berichteten. Die sonst für viele unsichtbaren Glaubensgeschwister bestimmten die Meldung des Tages.

Beim anschließenden obligatorischen Potluck-Lunch kam neben aller gemeinsamen Freude auch Schmerzhaftes zur Sprache: Eigentlich sollte ich zwölf Frauen beauftragen, da aber eine ihre Abschiebung durch die neue israelische Regierung befürchtete – so wie es einigen ihrer Freundinnen in den letzten Tagen widerfahren sei – hat sie es vorgezogen, nicht zu kommen. Auch hat eine der frisch beauftragten Lektorinnen ihren Abschied verkündet: Die ältere Dame, die sie jahrelang betreut habe, sei gestorben; sie müsse nun innerhalb einer Woche das Land verlassen.

So bin ich an diesem Sonntagnachmittag dankbar, aufgewühlt und nachdenklich zurück in mein Kloster gegangen: Diese gesellschaftlich unsichtbar gemachten Frauen werden das Wort des lebendigen Gottes in der Liturgie nun offiziell ihre Stimme geben und es verkünden.

Warum bemüht sich eigentlich niemand um eine flächendeckende Umsetzung des Motu Proprio "Spiritus Domini" in der katholischen Kirche in Deutschland? Warum gibt es in keiner einzigen deutschen Diözese einen eigenen Bischofsvikar, der ausschließlich für die vielen katholischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten, Asylsuchenden und Geflüchteten zuständig ist, von denen es ja mehrere Zehntausende in Deutschland gibt? Warum bemühen sich die kirchlichen Medien in Deutschland kaum darum, diesen übersehenen und überhörten Glaubensgeschwistern und ihrer Freude und Hoffnung, Trauer und Angst eine kräftig vernehmbare Stimme zu geben?

Von Abt Nikodemus Schnabel

Der Autor

Nikodemus Schnabel OSB ist Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, Lateinischer Patriarchalvikar für alle Migranten und Asylsuchenden und Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft (JIGG).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.