Himmelklar – Der katholische Podcast

Therapeutin: Geistlicher Missbrauch missbraucht den Glauben

Veröffentlicht am 15.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Katharina Geiger – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wie geraten Menschen in toxische Gemeinschaften? Und warum ist es für Betroffene von geistigem Missbrauch so schwer, sich daraus zu befreien? Stephanie Butenkemper ist Beraterin und zugleich Betroffene. Im Interview erklärt sie die verhängnisvollen Mechanismen.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Frage: Frau Butenkemper, Sie haben zum Thema geistlicher oder spiritueller Missbrauch geforscht und sich damit eingehend beschäftigt, sind selbst Betroffene. Ihr Buch "Toxische Gemeinschaften: Geistlichen und emotionalen Missbrauch erkennen, verhindern und heilen" kommt nächsten Monat raus. Das signalisiert ja schon: Es ist aussichtsreich, es gibt eine Perspektive! Klären wir erst mal, was genau der Unterschied zwischen geistigem und geistlichem Missbrauch ist.

Stephanie Butenkemper (Systemische Therapeutin und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin in der Katholischen Beratungsstelle in Köln, Referentin zum Thema Geistlicher Missbrauch): Geistiger Missbrauch ist vielleicht noch ein übergeordneter Begriff über dem geistlichen Missbrauch. Geistig heißt ja: Bezogen auf den menschlichen Geist, auf das Denkvermögen und unser Fassungsvermögen. Das beinhaltet auch emotionalen Machtmissbrauch an sich. Der geistliche Missbrauch heißt, dass für diesen Missbrauch der Glaube, theologische Inhalte oder christliche Werte benutzt werden, um die Menschen zu manipulieren, zu steuern und unter Druck zu setzen.

Der Glaube wird also ganz speziell missbraucht beim geistlichen Missbrauch. Diese Form des Missbrauchs gibt es natürlich in ganz verschiedenen Weisen überall in unserer Gesellschaft. Dann kann man von geistigem Missbrauch sprechen, aber sobald Glaubensinhalte benutzt werden, sprechen wir von geistlichem oder spirituellem Missbrauch.

Frage: Es geht also darum, sich selbst, seine eigene Identität allmählich aufzugeben in so einem Prozess, bewusst oder unbewusst. Von welchen Gemeinschaften sprechen wir, in denen man in solche Verstrickungen, in solche Abhängigkeiten oder spirituellen Zwickmühlen gerät? Zunächst denkt man bei geistlichem Missbrauch an religiöse Zusammenhänge. Aber das ist nicht das einzige, oder?

Butenkemper: Beim geistlichen Missbrauch, ja. Beim geistigen Missbrauch kann das in allen möglichen Kontexten passieren. Die Voraussetzung ist, dass es ein geschlossenes System gibt und dass es eine Idee gibt, wofür diese Menschen arbeiten, sich zusammentun und kämpfen. Voraussetzung ist, dass es eine Hierarchie gibt, wo jemand mehr Macht hat als die anderen. Das kann zum Beispiel bei der Polizei sein, bei der Bundeswehr. Das kann im Kegelclub sein, das kann – und darauf weise ich auch in meinem Buch hin – in Sportvereinen sein. Ich stelle es auch vor am Beispiel einer Klimaschutz-Bewegung, die sehr ins Extremistische geht. Das kann in der Pädagogik stattfinden. Es kann wirklich überall da stattfinden, wo Menschen Macht über andere haben und wo es eine gewisse Struktur gibt und ein gewisses Konstrukt, dass die Menschen so in die Fänge geraten.

Wenn wir vom geistlichen Missbrauch sprechen, dann ist das auch nicht nur auf Gemeinschaften bezogen. Ich habe mich in meinem Buch speziell mit 'Neuen Geistlichen Gemeinschaften' in der katholischen Kirche beschäftigt, weil es noch mal ein besonderes Phänomen ist, das besonders anfällig ist, würde ich sagen. Das kann aber genauso stattfinden in Gemeinden oder im Pfarrgemeinderat oder in Einzelbeziehungen. Wenn sich jemand zum Beispiel eine geistliche Begleitung sucht und die begleitende Person ihre Macht ausspielt oder ausnutzt und anfängt, die Person zu manipulieren, die sich ihr anvertraut. Die Kontexte sind sehr weit.

Stephanie Butenkemper im Portrait
Bild: ©Jessylee Photographie (Symbolbild)

Stephanie Butenkemper ist Systemische Therapeutin und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin in der Katholischen Beratungsstelle in Köln und Referentin zum Thema Geistlicher Missbrauch.

Frage: Sie haben auch das Thema Bildung angesprochen. Bedeutet das, dass auch die Schule oder die Universität solche Orte sind?

Butenkemper: Ich habe es in meinem Buch am Beispiel der Odenwaldschule aufgezeigt. Da gab es ja auch sexuellen Missbrauch. Auch da war aber die Grundlage, womit das Ganze angebahnt wurde, ein geistiger Missbrauch, wo die Kinder in emotionale Abhängigkeiten gebracht worden sind. Die Machtstrukturen zwischen Lehrern und Schülern sind dort erst mal so verwischt worden, dass auch nicht mehr so ganz klar war, wer eigentlich welche Rolle hat.

Dann gab es aber die Lehrer oder die Erziehungspersonen, die natürlich Macht hatten über die Personen, die dann auch angefangen haben, die Kinder zu missbrauchen. Erst mal auf einer emotionalen Ebene und dann auf der körperlichen Ebene. Es sind auch nicht alle betroffen. In solchen Gemeinschaften sind es einzelne, die dann Opfer werden. Und es gibt andere, die sagen, dass es ihnen da total gut ging und sie davon gar nichts mitbekommen haben. Es ist nicht kollektiv, dass alle das gleich erleben.

Frage: Wie gerät man da rein oder was ist das Gefährliche? Es wird Macht ausgespielt, aber was ist überhaupt das, was zur Schwierigkeit wird oder dass man bemerken muss, dass man da gefangen ist und heraus müsste?

Butenkemper: Das ist eine sehr gute Frage, weil das ganz schwierig ist. Ich richte meinen Blick jetzt mal auf die geistlichen Gemeinschaften, weil das ja auch mein Forschungsmaterial war. Ich habe acht Betroffene interviewt, die aus acht verschiedenen geistlichen Gemeinschaften kamen und gesagt haben, dass sie dort geistlichen Missbrauch erfahren haben. Meine Forschungsfrage war: Wie geraten Menschen in ein solches System und warum verharren sie so lange darin? Was zieht an und wie kommt man da wieder raus?

Und das, was ich so herausgefunden habe, war, dass alle berichtet haben, dass diese Gemeinschaft es geschafft hat, eine Art Familienersatz anzubieten. Ganz am Anfang steht in der Regel dieses Gefühl: Hey, du bist hier willkommen, du kannst mitmachen, wir nehmen dich so an, wie du bist, ganz bedingungslos. Ich sage auch gerne das Stichwort "Love Bombing" – das kennen wir auch aus toxischen Beziehungen. Erstmal werden die Menschen überschüttet mit Wohlwollen und mit dem Gefühl, dass sie dort wirklich sein dürfen. Das hat eine ganz enorme Anziehungskraft. Und das ist erstmal auch gar nicht schlecht. Das ist erst mal etwas sehr Positives und hat auch eine positive Wirkung auf die Menschen, die dann dazukommen. Das stärkt erstmal das Selbstbewusstsein, das gibt ganz viel Halt und Orientierung. Und es unterstützt natürlich, dass ich bereit bin, mich selber einzusetzen. Ich kriege da ganz viel und ich möchte dann irgendwie auch was zurückgeben.

Mit der Zeit – und das ist das Gefährliche – passiert es bei geistlichem Missbrauch sehr schleichend und sehr subtil, dass aus diesem anfänglichen "Du bist hier total frei und willkommen und du kannst hier sein und wir nehmen dich so, wie du bist" plötzlich etwas wird in die Richtung, "Aber wir haben hier schon eine Idee, wie du zu leben hast und was richtig und was falsch ist und wie du hier akzeptiert wirst oder eben auch nicht akzeptiert wirst". Das ist ein schleichender Prozess, der so gefährlich ist. Da passiert genau das, dass die Betroffenen ihre Persönlichkeit langsam aufgeben, dass sie ihren Kleidungsstil ändern, dass sie ihre Sprache ändern und ihre Hobbies aufgeben. Teilweise geben sie Freundeskreise auf, die ihnen "nicht mehr gut tun", oder die nicht mehr in das Schema passen, was richtig und falsch ist. Was sie lesen oder lesen dürfen, wird oft vorgegeben, und welche Filme man sich anguckt und mit welchen Menschen man sich überhaupt umgibt.

Das kann in ganz unterschiedlichen Abstufungen sein. Das kann ganz leicht und ganz schwach sein oder es kann ganz rigide und ganz stark sein. Da gibt es auch von den Betroffenen, die mir ihre Geschichten erzählt haben, ganz unterschiedliche Bandbreiten. Das zu merken, wo man da reingeraten ist und was da gerade passiert, das ist sehr schwer. Man gleicht sich der Gruppe an und in der Gruppe leben alle mehr oder weniger so. Es geht dann auch darum, dass man ein guter Christ sein und auch heilig werden möchte. Das ist dann auch etwas, womit oft gelockt wird, dass das Ziel ist, heilig werden zu wollen und Seelen retten zu wollen.

Es gibt meistens eine Mission, irgendwie einen Auftrag Gottes zu erfüllen, das ist dann oft das "Seelen retten" oder "Menschen für Gott gewinnen". Dafür muss man sich dann anstrengen. Man ist so damit beschäftigt, sich anzustrengen, sich zu bekehren, ein neuer Mensch zu werden. Das alles, und das macht das Ganze auch so perfide, ist oft mit Bibelzitaten abgedeckt und mit dem, was die Kirche uns lehrt. Ich sage jetzt mal zum Beispiel: "Leg den alten Menschen ab und zieh einen neuen Menschen an" (vgl. Eph 4,22-24). Damit wird dann auch argumentiert: Du musst deine alte Persönlichkeit aufgeben. Es wird natürlich so nicht gesagt, es wird nicht gesagt: "Du musst deine Persönlichkeit aufgeben", sondern es wird gesagt: "Guck mal, das ist nicht gut und das gefällt Gott nicht". Es wird beim geistlichen Missbrauch auch sehr viel den Menschen gesagt, was der Wille Gottes sei.

Es gibt oft eine charismatische Person, das sind oft Leitungspersonen, es muss aber gar nicht die Leitungsperson sein, es können auch andere sein, die in gewissen Positionen sitzen, die dann aber auch die Vollmacht haben, denen, die sich anvertrauen, zu sagen: "Ich habe den Eindruck, der Heilige Geist möchte dir dieses oder jenes sagen".

Ich habe das selber auch erlebt, da habe ich jemanden konfrontiert, der mein geistlicher Begleiter war und der mich auch sehr angegriffen hat. Den habe ich konfrontiert und habe gesagt: "Ich finde das schlimm, wie du mit mir umgehst. Das ist eigentlich nicht das, wie ich mir das vorstelle, wie wir miteinander umgehen wollen". – Und dann hat er gesagt: "Ja, das tut mir auch total leid, aber ich habe den Eindruck, der Heilige Geist möchte, dass ich so mit dir umgehe – und er möchte, dass du demütig wirst." Und dann war ich mundtot gemacht, dann konnte ich gar nichts mehr dagegen sagen, weil wenn der Heilige Geist das möchte, dann ist das so.

Frage: In Ihrem Buch wird es auf 256 Seiten konkret: Sie geben praktische Hinweise für Betroffene von geistlichem Missbrauch. Wie haben Sie diese Anleitung entwickelt?

Butenkemper: Durch ganz viel Recherche, es gibt ja nicht viel zu diesem Thema. Was für mich aber wichtig war, war die Traumaberatung, weil es sich einfach oft um traumatische Erfahrungen handelt. Deshalb war mir das wichtig, dass die Traumaberatung darin vorkommt und Aspekte, die in der Traumaberatung wichtig sind.

Das Zweite war, dass ich bei der Sekten-Ausstiegs-Beratung sehr viel geschaut habe, was die machen, weil das, was ich im geistlichen Missbrauch beschreibe und worüber wir gesprochen haben beim geistigen Missbrauch, das sind Strukturen, die wir auch in sektiererischen Gruppen finden. Deswegen spreche ich bei toxischen Gemeinschaften eigentlich auch von sektiererischen Gruppierungen. Da finden sich immer wieder die gleichen Mechanismen, die gleichen Strukturen, die gleichen Strategien. Das ist wirklich sehr erstaunlich. Wenn man sich mal mit Sekten beschäftigt, kann man manchmal denken: Ja, krass, das war eine Sekte, wo ich drin war, und das war eigentlich eine katholisch anerkannte Gemeinschaft. Das ist sehr erschreckend. Aber deswegen fand ich das aus der Sekten-Ausstiegs-Beratung sehr hilfreich.

Dann gibt es den Theologen Peter Hundertmark aus dem Bistum Speyer, der auch schon viel darüber geschrieben hat. Ich habe sehr viel recherchiert und ich habe auch mit Betroffenen Interviews geführt. Ich habe auch mit den Betroffenen darüber gesprochen, was ihnen geholfen hat, auszusteigen und wieder ins Leben zu finden. Aus all diesen Quellen habe ich dann dieses Beratungskonzept gestrickt.

Frage: Es geht um die Phasen. Im Titel steckt ja schon, dass es auf diesem Weg darum geht, sich loszulösen, das dann zu verarbeiten und es irgendwie auch zu schaffen, zu heilen. Sie selbst sind Betroffene. Inwieweit hilft Ihnen das bei Ihrer Arbeit?

Butenkemper: Es hilft mir dabei, dass ich ganz genau weiß, wovon die Betroffenen sprechen. Es ist manchmal erstaunlich: Die müssen sich nicht so viel erklären. Was ich erstaunlich finde, ist, dass ich manchmal denke, die haben wirklich in ganz anderen Gemeinschaften oder in ganz anderen Situationen das erlebt, was ich erlebt habe. Es ist teilweise identisch. Ich kenne natürlich auch durch meine Erfahrungen das System der katholischen Kirche sehr gut. Ich weiß, mit welchen Mitteln gespielt wird. Ich kenne die Strategien, ich kenne die Mechanismen und das macht es sehr viel einfacher für mich als Beraterin, die Betroffenen zu verstehen. Ich glaube aber auch, dass diejenigen, die in die Beratung kommen, nicht so viel erklären müssen.

Das ist oft das Problem: Wenn Betroffene sich trauen, über ihre Erfahrungen zu sprechen, stoßen sie oft auf Unverständnis. Dann wird beispielsweise gesagt: "Ja, aber da hättest du ja nicht mitmachen müssen. Dann hättest du doch gehen können." Es wird nicht verstanden, dass es diese Freiwilligkeit und diesen freien Willen eben gar nicht gab.

Das kommt mir, glaube ich, sehr zugute. Ich habe eine Zeit lang wirklich gedacht: Ich glaube, man kann geistlichen Missbrauch gar nicht verstehen, wenn man es nicht selber erlebt hat.

Aber und das ist auch, was mir Hoffnung macht, ich stoße wirklich zunehmend auf Personen und ich treffe immer wieder Personen, die es nicht selber erlebt haben, aber die sich so intensiv damit beschäftigt haben aus echtem Interesse, dass ich merke, dass sie wirklich verstanden haben, worum es geht. Das finde ich sehr hoffnungsvoll, weil es ein sehr komplexes Thema ist. Man muss sich schon ein bisschen reinfuchsen, um das Ganze zu fassen.

Frage: … Dafür ist Ihr Buch ja unter anderem auch gedacht.

Butenkemper: Ja, richtig.

Ein Kreuz liegt auf einem Wörterbuch mit dem Stichwort "Missbrauch"
Bild: ©picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Geistlicher Missbrauch in Gemeinschaften ist für Betroffene oft nicht leicht zu erkennen.

Frage: Sehen Sie eine ernsthafte Lösung, dass man ungleiche Machtstrukturen aufgehoben bekommt in unserer Gesellschaft, um genau solche schlimmen Taten zu verhindern?

Butenkemper: Machtstrukturen gibt es und wird es immer geben. Das ist einfach so, alleine, um etwas zu organisieren. Das kennen Sie auch aus Ihrem Arbeitskontext. Es braucht irgendwo eine gewisse Hierarchie. Die Frage ist ja, wie man die Hierarchie lebt. Es gibt flache Hierarchien und es gibt Leitungspersonen, die auf einer flachen Ebene ihre Macht ausüben.

Ich glaube, dass es immer ein Thema bleiben wird. Das Thema ist ja auch nicht neu. Und dieses Thema Machtmissbrauch in der Kirche oder auch in der Christenheit an sich finden wir schon im Neuen Testament und das finden wir auch schon im Alten Testament. Das ist wirklich nichts Neues. Was ich glaube, wo man gezielt gegenwirken kann, ist, dass die Kirche viel mehr darauf guckt, was ihre Leute da machen. Für mich ist ein ganz wichtiger Punkt Supervision. Jeder geistliche Begleiter braucht meines Erachtens Supervision, also dass jemand mit auf das guckt, was er oder sie da macht.

Das haben wir in unserem Beratungskontext auch. Das gehört zu unserem professionellen Standard, dass wir regelmäßig an einer Supervision teilnehmen. Das ist einfach notwendig, wenn ich Menschen in ihrem Leben begleite. Das weiß ich auch als Beraterin. Wir haben an sich eine machtvolle Position, weil Menschen zu uns kommen, sich uns anvertrauen und Rat suchen. Ich habe eine gewisse "Macht" und die muss ich sehr gut einsetzen. Das ist meine persönliche Verantwortung, zu gucken, wie bringe ich Menschen nicht in Abhängigkeit, sondern wie ermutige ich Menschen dazu und wie befähige ich Menschen dazu, ihren Weg zu finden. Da darf ich zum Beispiel überhaupt nicht vorgeben, was richtig und was falsch ist – das gibt es in Beratungen idealerweise auch gar nicht.

Das ist etwas, was ich mir auch für die Kirche wünschen würde. Und das ist natürlich total schwierig, weil die Kirche den Anspruch hat, in einer gewissen Weise zu wissen, was richtig und falsch ist. Wenn man sagt, wir haben die Wahrheit oder wir glauben, dass uns die Wahrheit offenbart worden ist, dann ist das natürlich schon ein Anspruch. Das ist eine Herausforderung, aber ich glaube, dass man die gut angehen kann, wenn die Menschen im Blick sind und wenn ich im Blick habe, dass da eine Person ist, die – in dieser theologischen Sprechweise – ein geliebtes Kind Gottes ist. Ich habe einen ganz verantwortungsvollen Auftrag, wenn ich die Person begleite. Da gehe ich mit großem Respekt dran, mit großer Ehrfurcht vor der Freiheit dieser Person. Wenn das verinnerlicht wird, dann wäre schon viel geholfen und das wäre schon viel Prävention.

Frage: Was bringt Ihnen persönlich Hoffnung?

Butenkemper: Meine Hoffnung ist gar nicht so klein. Ich freue mich total, dass es immer mehr Betroffene gibt, die sprechen und ihre Geschichten erzählen. Ganz sicherlich sind sie auch ermutigt dadurch, dass viel passiert, habe ich gerade den Eindruck. Die Katholische Integrierte Gemeinde wurde aufgelöst, Totus Tuus wurde in Münster aufgelöst. Da wurde sich intensiv mit geistlichem Missbrauch beschäftigt. Und dann haben Betroffene auch angefangen, zu sprechen und ihre Geschichten zu erzählen. Es gibt inzwischen Bücher, die veröffentlicht worden sind mit Betroffenenberichten. Das freut mich, weil ich glaube, nur dadurch, dass wir Geschichten von Betroffenen hören und dass wir diesen Personen zuhören, die uns am allerbesten erklären können, was da beim geistlichen Missbrauch passiert, nur dann kann dieses Tabuthema gebrochen werden. Nur dann können wir auch verstehen, was da eigentlich passiert. Das ist eine große Hoffnung.

Dann die Tatsache, dass die Kirche eingegriffen hat. Bischof Genn hatte in Münster wirklich den Mut, diese Gemeinschaft (Totus Tuus) aufzulösen und zu sagen, dass sie nicht mehr dahinterstehen und dass das nicht mehr das ist, was sie verantworten, weil es da auch keinen Umkehrprozess gab. Bei der Katholischen Integrierten Gemeinde war das noch ein bisschen anders gelagert, weil da auch viele ausgetreten sind. Da wurde quasi ein Konstrukt aufgehoben und nicht mehr eine bestehende Gemeinschaft. Das macht mir Hoffnung.

Im Bistum Münster und im Bistum Osnabrück gibt es nun eine Studie, die für drei Jahre angelegt ist. Das finde ich sehr hoffnungsvoll, dass da wirklich auch von außenstehenden Personen in einer unabhängigen Studie geguckt wird, was Betroffene erlebt haben. Da wird jetzt Material gesammelt und es wird ausgewertet. Was auch immer damit passiert nachher, da hoffe ich natürlich auch, dass es dann Konsequenzen hat und dass damit was Positives gemacht wird. Ich finde aber, es ist viel in Bewegung. So leidvoll dieses Thema ist, gerade für die Betroffenen, finde ich es aber hoffnungsvoll, dass es immer mehr Thema wird.

Von Katharina Geiger