Dogmatiker Sander sieht Scheitern der Kirche als unaufhaltbar
Der Dogmatiker Hans-Joachim Sander sieht das Scheitern der Kirche als unaufhaltbar an. In einem Beitrag für die "Herder Korrespondenz" (Mittwoch) zeigte sich der Salzburger Theologe davon überzeugt, dass sich der Niedergang der Kirche nur noch gestalten lasse. "Wer daher heute in der katholischen Kirche seelsorglich arbeitet, wird Zeit des eigenen Berufslebens nicht mehr für eine glaubwürdige Religionsgemeinschaft einstehen können", so Sanders angesichts des Missbrauchs und des kirchlichen Umgangs damit. Das glaubwürdige Arbeiten vor Ort könne an der Lage der Kirche insgesamt auch nichts ändern. "Zugleich drängt sich der Eindruck auf, dass ihre Leitungsspitze gleichwohl nach wie vor der Meinung ist, man müsse sich nicht groß darum kümmern, wie katholische Kirche außerhalb von ihr angesehen und eingeschätzt, abgehakt und manchmal auch verachtet wird", so Sander weiter.
Für immer mehr Menschen sei die katholische Kirche überflüssig und ersetzbar, "und zwar auch in den gefährlichen Erfahrungen des Lebens, in denen es Menschen kalt ums Herz und unbehaust in der Seele wird". Das gelte auch für eigentlich der Kirche hochverbundene Menschen, denen bewusst werde, wie sich die Kirche selbst überflüssig mache, "weil sie auf ihren weltkirchlichen und regionalkirchlichen Leitungsebenen keine hinreichenden Lehren aus ihrem selbst verschuldeten Abstieg zieht". Auch wer in der Kirche bleibe, distanziere sich zunehmend von ihr.
Deutschland kein Sonderfall, sondern Vorhut für die Weltkirche
Die Weltkirche sieht der Theologe derzeit als nicht einsichtig an. In Rom betrachte man die Lage in Deutschland als unangenehmen Sonderfall. Tatsächlich sei die Situation hier nur ein Ausblick darauf, was den anderen weltweit bevorstehe. "Oder glaubt jemand ernsthaft, die katholische Kirche käme anderswo glimpflicher mit ihrem sexuellen Missbrauch davon als in Irland, den USA, Australien, Frankreich, Belgien, Österreich, Kanada, Deutschland, weil das woanders alles nicht so schlimm ist?", fragt Sander.
Seiner Ansicht nach sollten sich kirchlich identifizierte Menschen ohne Wenn und Aber dieser Einsicht stellen. Die Entwicklung sei aber nicht aufzuhalten, egal wie sich die Kirche dem Missbrauch in ihren Reihen stelle: "Je glaubwürdiger Kirche ihre sexualisierte Gewalt und ihre aberwitzigen Vertuschungen aufarbeitet, desto stärker wird die Einsicht, wie unglaubwürdig sie agiert hat und wie systemisch das von ihr selbst verursacht ist. Und je unglaubwürdiger sie aufarbeiten würde, desto brutaler wird die Einsicht einschlagen." Daher könne die Kirche den von ihr an ihr selbst verursachten Schaden nicht mehr aufhalten.
Als Weg in die Zukunft sieht Sanders eine Selbstrelativierung von Herrschungs- und Deutungsansprüchen der Kirche als "Glaubensburg". Dafür gebe das Zweite Vatikanische Konzil schon Hinweise, indem es in seiner Kirchenkonstitution "Lumen Gentium" nicht die Kirche, sondern Christus als Licht der Welt in den Mittelpunkt stellte. "Die katholische Kirche ist lediglich ein Antlitz für dieses Licht, aber wenn dort das Licht so verdunkelt und maskiert wird wie im Missbrauch und seinen Vertuschungen, dann wird sich dieses Licht andere Wege suchen", betont der Dogmatiker. (fxn)