Standpunkt

Die deutschen Debatten um Waffenlieferungen sind scheinheilig

Veröffentlicht am 20.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Juliane Eckstein – Lesedauer: 

Bonn ‐ Oft wird übersehen, dass Deutschland Waffen produziert und deutsche Lieferungen geholfen haben, den russischen Angriffskrieg vorzubereiten, kommentiert Juliane Eckstein. Das dürfe man in Debatten um Waffenlieferungen nicht vergessen.

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Am Freitag forderte Tilmann Kleinjung, in den Kirchen "die Debatte um Krieg und Frieden in der Ukraine … kontrovers und ohne Absolutheitsanspruch" zu führen. Debatten sind richtig und wichtig. Allerdings werden in Bezug auf die Ukraine oft historische und politische Falschbehauptungen wiederholt und zwei Tatsachen gern übersehen:

1. Wir führen Waffenlieferungsdebatten, weil in Deutschland Waffen produziert werden.

2. Deutsche Lieferungen von militärischen und Dual-Use-Gütern haben geholfen, den russischen Angriffskrieg vorzubereiten.

Der deutsche Wohlstand beruht in nicht geringem Maße auf der Produktion von Rüstungsgütern und sogenannten Dual-Use-Gütern, also Produkten und Dienstleistungen, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Deutschland war 2021 der fünftgrößte Rüstungsexporteur der Welt und lieferte Waffen an diktatorisch oder autokratisch geführte Länder wie Ägypten, Algerien, China, die Vereinten Arabischen Emirate oder Saudi Arabien.

Im Jahr 2013, ein Jahr vor der russischen Besetzung der Krim und des Donbass und fünf Jahre nach dem Georgienkrieg, genehmigte die deutsche Bundesregierung Rüstungsexporte in die russische Föderation in Höhe von 38 Mio. Euro. Noch 2020 sollen Dual-Use-Waren in Höhe von 366 Mio. Euro nach Russland exportiert worden sein. Da die russische Wirtschaft derzeit auf Kriegswirtschaft umgestellt wird, kommen diese Produkte höchstwahrscheinlich auch im Angriff gegen die Ukraine zum Einsatz.

Das eindringlichste Beispiel für Deutschlands Schuldverstrickung ist das russische Gefechtsübungszentrum in Mulino. Dort wurde der Überfall auf die Ukraine vorbereitet und dort werden derzeit russische Soldaten und Soldatinnen für den Kriegseinsatz ausgebildet. Das Zentrum wurde ab 2011 von Rheinmetall nach deutschem Vorbild errichtet, mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung. Kontroversen riefen diese Exporte kaum hervor.

Wenn man ausgerechnet jetzt gegen Waffenlieferungen protestiert, wenn sich ein Staat mit demokratisch gewählter Regierung gegen einen Angriffskrieg zur Wehr setzt, wenn die ukrainische Gesellschaft in ihrer Breite darum bittet, wenn diese Verteidigung allen Kriterien des Völkerrechts, des katholischen wie evangelischen Verständnisses eines gerechten Friedens genügt, wenn also eine der wenigen Situationen eintritt, welche die Existenz einer Rüstungsindustrie überhaupt rechtfertigen, ist das bestenfalls scheinheilig. Schlimmstenfalls macht man sich damit zu Putins nützlichen Idioten.

Von Juliane Eckstein

Die Autorin

Dr. Juliane Eckstein ist Theologin und Alttestamentlerin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie erforscht derzeit den Zusammenhang von Ökologie und Göttlichkeit in den prophetischen Schriften.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.