Benediktinerpater über die "Cella Sankt Benedikt" auf der Insel Reichenau

Das geschwisterliche Leben in der "Ordens-WG"

Veröffentlicht am 10.04.2023 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 
Das geschwisterliche Leben in der "Ordens-WG"
Bild: © Julian Beck

Bonn ‐ In der "Cella Sankt Benedikt", einem kleinen Kloster auf der Insel Reichenau am Bodensee, leben Benediktiner und Benediktinerinnen zusammen. Warum das Zusammenleben in dieser "Ordens-WG" gut funktioniert, erzählt Benediktinerpater Stephan Vorwerk im Interview mit katholisch.de.

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Vor rund 20 Jahren gründete der Benediktiner Pater Stephan Vorwerk ein kleines Kloster auf der Insel Reichenau am Bodensee. Heute leben in der "Cella St. Benedikt" drei Patres, zwei Ordensfrauen und ein Klosterhund. Wie es zu dieser gemischten "Ordens-WG" kam, erzählt Pater Stephan im Interview mit katholisch.de.

Frage: Pater Stephan, zu Ihrem Konvent gehörten fast 18 Jahre lang nur Männer. Ich habe auf einem Foto nun gesehen, dass nun auch Ordensfrauen zu Ihrer Klostergemeinschaft gehören?

Pater Stephan: Ja, seit 2017 wohnen Schwester Araceli Escurzon und Schwester Rochelle Marie Vidal bei uns im Kloster. Die beiden sind Benediktinerinnen und kommen von den Philippinen. Aber wir leben nicht zusammen in einem Haus. Wir drei Mönche sind im alten Pfarrhaus in Niederzell untergebracht, die beiden Schwestern gegenüber im früheren Mesnerhaus.

Frage: Wie kamen Sie denn auf die Idee, dass auch Schwestern in die Gemeinschaft kommen sollen?

Pater Stephan: Bevor ich 2001 auf die Insel Reichenau gezogen bin, habe ich fünf Jahre lang im Heiligen Land gelebt. Dort in Tabgha gab es damals das gemeinsame Chorgebet vn uns Mönchen und den philippinischen Benediktinerinnen. Wir haben zusammen in der Brotvermehrungskirche gebetet und gesungen. Das war wunderschön. Die Idee, das Stundengebet hier auf der Reichenau geschwisterlich zu feiern, ließ mich nicht mehr los. Irgendwann habe ich dann beschlossen, die Schwestern einfach mal anzufragen, ob sie es sich vorstellen könnten. Die Generaloberin war davon sehr begeistert und sie ist gleich selbst zu uns gekommen, gemeinsam mit einer anderen Schwester. Ich kannte die Generaloberin, Schwester Araceli, schon von früher durch Tabgha. Jetzt soll noch eine dritte Schwester aus der Kongregation der "Benedictine Sisters of the Eucharistic King" zu uns kommen. Darüber freuen wir uns sehr.

Frage: Aber die Ordensfrauen sind nicht für den Haushalt und die Wäsche in der Klostergemeinschaft zuständig?

Pater Stephan: Nein, um Himmelswillen. Jeder macht das, was er gerne zur Gemeinschaft beitragen möchte. Ich zum Beispiel bin für die Gartenarbeit zuständig und mähe den Rasen. Schwester Araceli kann hervorragend nähen und sie entwirft Messgewänder und bessert unsere älteren liturgischen Gewänder aus.  Schwester Rochelle kann wunderbar kochen. Wenn wir Besuch haben, dann verwöhnt sie unsere Gäste mit philippinischen Gerichten. So fuhr Schwester Rochelle schon öfters mit uns ins Jugendlager als Köchin für unsere Jugendlichen. Aber sonst bekommen wir unsere Mahlzeiten aus einer Großküche des Partitätischen Sozialdienstes geliefert oder wir versorgen uns selbst, die Männer für sich und die Frauen auch. An den Festtagen essen wir gemeinsam. 

Bild: ©Hafner / Insel Reichenau

Diese Benediktinerinnen und Benediktiner gehören zur cella Sankt Benedikt auf der Insel Reichenau: Schwester Rochelle Marie Vidal, Pater Stephan Vorwerk, Pater Hugo Eymann, Pater Stephanos Petzolt, Schwester Araceli Escurzon.

Frage: Was ist denn dann die Hauptaufgabe der Schwestern in dieser gemischten Ordens-WG?

Pater Stephan: Die Schwestern sind wie wir Mönche auch für die Seelsorge zuständig und gestalten das Gemeindeleben mit. Unsere Schwestern haben viel Kontakt mit den philippinischen Menschen, die hier in unserer Region leben. Beide sind über das Erzbistum Freiburg angestellt und gehören zu der St. Ottilien Missionskongregation. Die beiden haben zum Beispiel eine Frauengebetsgruppe gegründet. Schwester Araceli hat auch Theologie studiert. Sie predigt hin und wieder in den Gottesdiensten, meist sonntags. Ich finde es einfach schön, wenn auch Frauen die Liturgie mitgestalten. Wir wechseln uns zum Beispiel beim Wochendienst als Vorsteherin oder Vorsteher des Chorgebets ab, sodass die Schwestern und die Brüdern den Abendsegen erteilen. In erster Linie sind wir hier aber eine klösterliche Gebetsgemeinschaft. Wir treffen uns drei Mal am Tag zum gemeinsamen und auch öffentlichen Stundengebet und sitzen dann im Halbkreis in der Eginokapelle der Niederzeller Kirche. Es kommen auch immer Mitbeter und Mitbeterinnen dazu. Ich begleite auf dem Psalter die gesungenen Psalmen aus dem täglichen Stundengebet. Es macht uns Freude so geschwisterlich zu beten und zu singen. Seit 22 Jahren lebe ich nun hier auf der Reichenau. Aber seitdem die Schwestern da sind, ist es eine so große spirituelle Bereicherung für unsere Klostergemeinschaft und für die Kirchengemeinde hier.

Frage: Klappt das Zusammenleben auch in so einer gemischten Klostergemeinschaft oder gibt es Konflikte?

Pater Stephan: Das Zusammenleben klappt wunderbar. Sie stellen sich das vielleicht kompliziert vor. Das ist es aber nicht. Die beiden Schwestern haben, wie wir Mönche auch, unseren je eigenen Wohn- und Lebensbereich. Ich würde nie einfach so ohne Ankündigung in den Konvent der Frauen hineinlaufen. Ich klingle immer, wenn ich etwas brauche. Wenn wir etwas besprechen, dann setzen wir uns bei den Schwestern ins Refektorium oder bei uns ins Pfarrhaus. Im vergangenen Jahr und in diesem Jahr hielten wir auch unsere Exerzitien gemeinsam. Ich habe den beiden anfangs viel geholfen, als es um das Erledigen von Bankgeschäften und um ihre Aufenthaltserlaubnis ging. In der Zwischenzeit sprechen die beiden auch schon sehr gut Deutsch. Wir treffen insgesamt als gemischte Gemeinschaft viele Absprachen und arbeiten viel zusammen. Aber wir mischen uns nicht gegenseitig in die Belange des anderen ein. Der Frauenkonvent hat seine eigenen Regeln, genauso wie der Männerkonvent auch.

Frage: Ist in einer gemischten Kommunität nicht die Gefahr vor zu viel Nähe da oder einer zu großen Abhängigkeit voneinander?

Pater Stephan: Ich habe das Gefühl, dass die beiden Schwestern ein gesundes Verhältnis zwischen Vertrauen und Misstrauen haben. Sie wissen, was sie wollen und was nicht. Sie sind keineswegs unterwürfig oder so. Schon in Tabgha habe ich die Schwester dieser Gemeinschaft als sehr ausgewogen in ihrem Leben erlebt. Wir können uns auch in Ruhe lassen. Das ist wichtig, damit das Zusammenleben funktioniert. Ich würde nie sagen: "Schwester Araceli, du sollst das jetzt aber so und so machen." Wir hängen auch nicht den ganzen Tag aufeinander. Jeder hier geht seinen Aufgaben nach. Wir haben noch nie Streit gehabt. Die Schwestern haben auch ihre eigene Spiritualität mit in den Konvent gebracht. Die leben sie für sich. Gemeinsam verbindet uns der benediktinische Geist und die Liebe zum Chorgebet. Wir Patres sind auch nicht die geistlichen Begleiter der Ordensfrauen. Es kommt dazu jemand von außen, auch weil wir als Gemeinschaft Supervision haben. So schaut nochmals jemand von außen auf unser Zusammenleben drauf. Das finde ich wichtig. So funktioniert es gut. Außerdem sorgt dann noch unser Klosterhund für gute Stimmung.

Bild: ©Julian Beck

Die benediktinische Klostergemeinschaft beim täglichen Stundengebet. Hund Gino sitzt auf dem Boden in der Kapelle und hört zu, wie Pater Stephan auf dem Psalter spielt.

Frage: Sie haben einen Klosterhund?

Pater Stephan: Ja, bei uns lebt seit vier Jahren ein Labrador. Er heißt Gino. Dieser Hund hat so eine Lebendigkeit ins Haus gebracht. Auch die Schwestern mögen unseren Klosterhund sehr gerne. Sie kümmern sich viel um ihn. Der Hund ist auch immer bei uns im Stundengebet in der Egino-Kapelle dabei. Er heißt auch Gino wegen der Euginostraße, in der wir wohnen. Während der Mittagshore und beim Abendgebet liegt er meist neben mir oder unter meinem Musikinstrument und hört zu. Einmal in der Woche wäscht Schwester Araceli den Hund. Das macht sie ganz alleine, da ist sonst niemand dabei. Ich gehe jeden Tag mit dem Hund im Wald spazieren. Das tut mir einfach gut. Wenn ich abends aus dem Pfarrbüro nach Hause komme, wartet der Hund schon auf mich. Ich hätte am Anfang nicht für möglich gehalten, dass ein Tier uns Menschen so viel Kraft schenken kann.

Frage: Was genau sind Ihre Aufgaben in der Gemeinde?

Pater Stephan: Ich bin als Benediktiner Pfarradministrator in unserer Kirchengemeinde mit ihren drei Kirchen. Mein Mitbruder Pater Stephanos ist Vikar und in der Seelsoge im Schwesternkloster Hegne eingesetzt. Pater Hugo übernimmt  auch Gottesdienste unter der Woche auf der Insel. Wir gestalten unsere Gottesdienste, begleiten die Firmlinge und Kommunionkinder. Gemeinsam mit dem Schwestern begleiten wir die Menschen hier, bringen die Krankenkommunion zu den älteren Menschen. Nächstes Jahr haben wir das große Jubiläum, 1.300 Jahre Klostergründung auf der Insel Reichenau durch Bischof Pirmin. Da bin ich schon in den Vorbereitungen mit den verschiedenen Gruppen in den Gemeinden hier. Es macht uns fünf Ordensleuten hier einfach viel Freude, benediktinisches Leben hier auf der Insel zu leben, gemeinsam mit den Menschen hier. 

Frage: Vielerorts schließen Klöster und Gemeinschaften. Könnte Ihre gemischte Klostergemeinschaft ein Vorbild oder ein Modell der Zukunft für andere Ordensgemeinschaften sein?

Pater Stephan: Ja, davon bin ich überzeugt. Wissen Sie, als ich hier vor 22 Jahren begonnen hatte, ein kleines Kloster in Form der Cella wieder aufzubauen, bin ich ausgelacht worden. "Was will der da unten mit seiner geistlichen Zelle, das klappt doch nie, das ist doch gleich wieder zu Ende." Solche Sätze hörte ich damals. Es war nicht einfach für mich. Aber ich habe dem Heiligen Geist vertraut. Heute sind wir eine kleine Oase hier auf der Reichenau für die Menschen. Ich bin überzeugt davon, dass solch kleine spirituellen Zellen, wie es unsere "Cella Sankt Bendikt" ist, die Zukunft der Kirche sind. Es ist eine paritätisch verteilte Zelle, die whoffentlich noch länger bestehen bleibt. Und vielleicht passt diese kleine Cella gerade deshalb so gut in unsere Zeit, in der Ordensgemeinschaften vielerorts auf dem Rückzug sind und an Bedeutung verlieren: Wir zeigen, dass wir noch da sind.

Von Madeleine Spendier