Die Treppe von Pontius Pilatus hat es nach Rom geschafft – und nach Bonn

Beten mit den Knien: Heilige Stiegen erinnern an das Leiden Christi

Veröffentlicht am 07.04.2023 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Manche Reliquien sind winzig: Locken von Heiligen, Fragmente des wahren Kreuzes. Eine der berühmtesten Reliquien im Lateran dagegen ist riesig: die Treppe, auf der Jesus zum Verhör geschritten sein soll. Die 28 Stufen haben sich über die ganze Welt verbreitet.

  • Teilen:

Wer heute die Treppe selbst hochsteigen will, auf der Jesus selbst zum Palast des römischen Statthalters Pontius Pilatus zum Verhör hinaufgegangen sein soll, der findet sie nicht in Jerusalem, sondern in Rom. Dort führen sie im Lateran zur Papstkapelle "Sancta Sanctorum" hinauf. Die historischen Treppenstufen gehören zu den Reliquien aus dem Leben Jesu, die bei Grabungen im vierten Jahrhundert in Jerusalem gefunden worden sein sollen, die die heilige Helena in Auftrag gegeben hatte. Die Ausbeute der frühen archäologischen Expedition der Mutter des Kaisers Konstantins war groß: Nicht nur die Treppe zum Statthalter-Palast, auch die Tunika, die Jesus in seiner Sterbestunde getragen haben soll, und sogar das Kreuz Christi selbst fanden Helenas Leute.

Diese Funde haben nicht nur Helenas Ruf der Heiligkeit befördert. Sie haben auch die christliche Spiritualität über Jahrhunderte bis heute geprägt. Helena ließ ihre Funde über die damals noch junge christliche Welt verteilen. Der "Heilige Rock" landete der Legende nach in Trier, wo er heute noch eine große Wallfahrt begründet. Wo das wahre Kreuz Christi heute ist, weiß man nicht – die Kaiserin soll Teile davon mit nach Byzanz gebracht haben, das bald darauf nach ihrem Sohn Konstantinopel heißen sollte. Heute gibt es ungezählte Kreuzreliquien. Gedacht wird der Kreuzauffindung bis heute im Kirchenjahr: am 14. September beim Fest der Kreuzerhöhung.

Die Heilige Stiege in Rom: Pilger besteigen sie auf Knien
Bild: ©Paul Haring/Catholic News Service/KNA (Archivbild)

In Erinnerung an das Leiden Christi gehen Pilger die Heilige Stiege in Rom nur auf Knien hinauf. Die heilige Helena hatte sie der Legende nach aus Jerusalem mitgebracht.

In Rom ist die Heilige Stiege, die "Scala Santa", schon seit Jahrhunderten beheimatet. Von dort aus hat auch diese Reliquie ihren Siegeszug in die Welt der Frömmigkeit angetreten. Allerdings nicht wie das wahre Kreuz: Während es Kreuzfragmente und -partikel in großer Zahl gibt, sind die 28 Stufen aus Marmor an einem Stück geblieben, und seit 1723 schützt sie eine Holzverkleidung aus Walnussplanken vor der Abnutzung durch unzählige Pilger, die sie kniend erklimmen. Nur wenige Tage lagen die Stufen ohne Verkleidung offen, nachdem die Scala Santa aufwendig renoviert wurde. Vor allem in Bayern gibt es seit dem 18. Jahrhundert Nachbildungen der Heiligen Stiege, die oft zusammen mit Kalvarienbergen an das Leiden Christi erinnern, aber auch weltweit, von Nordamerika bis Osteuropa, sind Nachbildungen der Stufen entstanden.

Barocke Pracht in Bonn

Eine davon steht in Bonn. Hoch über den Dächern der ehemaligen Hauptstadt erhebt sich heute eine Kirche auf dem Kreuzberg, der schon seit dem 15. Jahrhundert so heißt: Seitdem lässt sich dort eine Kreuz-Wallfahrt nachweisen – wenn auch das Kreuz auf dem Berg nicht den Anspruch erhob, das wahre Kreuz zu sein. Im Jahr 1429 allein sollen 50.000 Menschen zur spätgotischen Kreuzkapelle und einem Bildstock hinauf gepilgert sein. Bei guten Wetterverhältnissen ist dort oben, wo das Mittelgebirge in die ebene Kölner Bucht übergeht, heutzutage der Kölner Dom zu sehen – die Kreuzbergkirche thronte schon über Bonn, als der Dom noch eine Baustelle war.

Eine Gruppe Statuen unter einer Scheinuhr zeigt, wie Pontius Pilatus das Todesurteil gegen Jesus fällt.
Deckengemälde in der Heiligen Stiege in Bonn zeigen Gottvater, Engel, die Welt und das Kreuz
Ein Kreuz ist in eine Stufe der Heiligen Stiege in Bonn eingelassen.
Eine goldene Statue der heiligen Helena hält das Kreuz in ihren Händen
Galerie: 6 Bilder

1627 beauftragte der Kurfürst und Erzbischof von Köln, dort oben eine Kirche zu bauen. Ferdinand von Bayern, ein gebürtiger Münchner, ist trotz der bayerischen Tradition Heiliger Stiegen nicht für die Stiege im Erzbistum Köln verantwortlich. 1627 entstand auf sein Geheiß die Kreuzbergkirche, die Treppenanlage beauftragte erst 20 Jahre später sein Nachfolger Clemens August, Herzog von Bayern, bei dem großen Barockbaumeister Balthasar Neumann. Nur fünf Jahre dauerte der Bau. 28 Stufen aus Marmor führen hinauf zu einer Kreuzigungsgruppe, überwölbt von barocken Deckengemälden. Typisch für die Architektur der heiligen Stiegen sind die Treppen rechts und links der eigentlichen Stiege für die Pilger, die nicht auf Knien nach oben gelangen wollen oder können.

Die Bonner Heilige Stiege kann das ganze Jahr über besichtigt werden – von außen lässt sich der Blick die Stufen hinauf richten. Über dem Portal sieht man Jesus, wie er vor Pilatus steht, mit Statuen dargestellt. Eine Scheinuhr steht auf kurz vor 12 Uhr, nach dem Urteil von Pilatus, vor dem Kreuzweg. Wer wie in Rom in Bonn die Treppe auf Knien selbst besteigen will, kann das nur an drei Tagen im Jahr tun: Karfreitag, Karsamstag und im September am Fest der Kreuzerhöhung. Einen Ablass wie in Rom gibt es in Bonn an der Heiligen Stiege nicht. Das tut der Beliebtheit aber keinen Abbruch: Vor der Pandemie kamen an den Kartagen um die 1.000 Gläubige. Auf dem Weg nach oben erinnern in den Marmor eingelassene Messingkreuze auf der zweiten, elften und zwanzigsten Stufe an das Blut Christi. Dass dort wirklich echte Kreuzfragmente eingelassen sind, ist wohl nur Legende. In Rom sind kleine Fenster in die Holzverkleidung eingelassen, um die der Legende nach echten Blutstropfen zu sehen, dort allerdings in Stufe zwei, elf und 28. Wiederkehrende Elemente sind auch die weiß-blauen Rauten der Wittelsbacher, die auf die bayerische Herkunft der Kurfürsten verweisen.

Hinter dem Kruzifix ist ein Fenster eingelassen, das den Blick auf die Auferstehung eröffnet
Bild: ©fxn/katholisch.de

Hinter dem Kruzifix ist ein Fenster eingelassen, das den Blick auf die Auferstehung eröffnet.

Auf dem Weg nach oben erinnert die Kunst an das Leiden Christi. Nägel und Dornenkrone tauchen in den Gemälden als Motive auf, Engel singen, eine Schlange ringelt sich um die Weltkugel und steht für die Ursünde. Wer die Bonner Stiege erklommen hat und sich von den Knien vor dem Kreuz aufrichtet, kann von dort aus durch ein Fenster den Blick in die Kreuzbergkirche richten – direkt auf ein Gemälde der Auferstehung: Das Leiden Christi verweist immer schon auf das Heil.

Von Felix Neumann