Freiburger Missbrauchsstudie belastet Zollitsch und Saier schwer
Die Analyse der Akten der Erzdiözese Freiburg durch die Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch belastet die ehemaligen Erzbischöfe Oskar Saier und Robert Zollitsch schwer. Beim amtierenden Erzbischof Stephan Burger hat die Kommission dagegen kein systematisches Fehlverhalten festgestellt. Bei der Vorstellung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe Aktenanalyse am Dienstag kam insbesondere das Wirken von Zollitsch in den Blick, der vor seiner Amtszeit an der Spitze des Erzbistums (Erzbischof von 2003 bis 2013, Apostolischer Administrator bis 2014) der Personalreferent von Saier war (1983-2013).
Laut dem Leiter der AG Aktenanalyse, dem Juristen Eugen Endress, hat sich Zollitsch bei der Befragung durch die Kommission nicht einsichtig gezeigt. Durch die Bestellung eines Missbrauchsbeauftragten und eines neuen Personalreferenten sei es zwar schwieriger geworden, die Kenntnis von Fällen auf einen kleinen Kreis zu beschränken. Eine Verbesserung im Vergleich zur Amtszeit seines Vorgängers sei nur eingetreten, weil sich inzwischen erste innerkirchliche Strukturen zum Umgang mit Tätern und Opfern entwickelt hätten. Dennoch sei es bei einer unzureichenden Dokumentation geblieben. Endress hob besonders hervor, dass Vorgaben des kirchlichen Rechts bei Missbrauchsfällen mit Kindern und Jugendlichen als Betroffenen nicht eingehalten wurden, bei einvernehmlichen Verstößen gegen das Zölibat aber sehr wohl. "Offensichtlich war jener Erzbischof der Ansicht, sexuelle Verhältnisse einverständlicher Art mit erwachsenen Frauen seien strafverfolgungswürdiger als Missbrauch von Kindern und Jugendlichen", so Endress. Auf die kirchenrechtlich vorgeschriebene Meldung von Fällen nach Rom habe das Erzbistum unter Zollitsch völlig verzichtet.
Wertschätzung für Täter, keine Empathie für Betroffene
Bei der Pressekonferenz zitierte Endress aus Glückwunschschreiben Zollitschs an beschuldigte und verurteilte Priester aus Anlass von Jubiläen und Zurruhesetzung. Bei einem Täter, der aufgrund des Missbrauchs von Jugendlichen in den Ruhestand versetzt wurde, würdigte Zollitsch in seinem Brief an den Priester das "gute Geschick im Umgang mit Jugendlichen". Opfer hätten keine Rolle gespielt.
Als Personalreferent habe Zollitsch eine außerordentlich starke Stellung gehabt, Saier habe die Letztverantwortung getragen, aber laut Endress "bewusste Ignoranz" an den Tag gelegt. Eine Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft sei aktiv verweigert worden. Zur Strategie gehörte laut Endress, dass der Personalreferent gegenüber der Staatsanwaltschaft als Seelsorger der Priester benannt wurde und sich so auf das Seelsorgegeheimnis berufen konnte. In den Akten finde sich ein Protokoll aus dem Jahr 1996, demzufolge Erzbischof Saier, Personalreferent Zollitsch und Generalvikar Otto Bechthold neue "Möglichkeiten zur Unterbringung von Spezialakten" außerhalb des Zugriffs der Behörden besprachen, da die Staatsanwaltschaft keine Rücksicht mehr auf kirchliche Interessen lege.
Kurzzeitige Besserung während Amtszeit von Diözesanadministrator Wehrle
Die Amtszeit von Saier sei durch die Versetzung von Tätern und Beschuldigten und einer verschleiernden und lückenhaften Aktenführung geprägt. Selbst bei einem wegen Missbrauchs in mehreren Fällen rechtskräftig verurteilten Priester finde sich keine Notiz in der Personalakte. Hinweise auf Taten und Beschuldigte fänden sich vor allem in den Protokollen der Ordinariatssitzungen. Diese seien aber bis 1992 nicht mehr auffindbar. Auch Saier habe das Kirchenrecht nicht angewendet. Endress sprach von einer "vollständigen Ignoranz" dem Thema gegenüber, es liege das "Vollbild einer Vertuschung" vor.
In der Amtszeit von Erzbischof Herrmann Schäufele (1958-1977) konnte die Kommission einen Fall feststellen. Während der Sedisvakanz nach der Emeritierung von Saier, in der Weihbischof Paul Wehrle die Diözese bis zu Wahl von Zollitsch leitete, wurde kein Fehlverhalten festgestellt. Endress hob die integre Amtsführung des von Wehrle ernannten Missbrauchsbeauftragten, Domkapitular Eugen Maier, hervor. Anders als vor und nach der Amtszeit Wehrles wurde ein Fall, der in die einjährige Amtszeit fällt, ordnungsgemäß nach Rom weitergeleitet. Bei Burger wurden lediglich Versäumnisse in der Dokumentation eines Falls festgestellt. Die Kommission hob die Einsicht und Selbstkritik des amtierenden Erzbischofs hervor.
Die Studie konzentriert sich auf 24 exemplarische Fälle und hat nicht den Anspruch, die Fallzahlen umfassend zu erfassen. Im Vergleich zur MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) von 2018 geht die Kommission von einer höheren Zahl aus als damals festgestellt. Genannt wurden 250 beschuldigte Priester und mindestens 540 Betroffene. Sie gehe aber angesichts der schlechten Aktenführung von einem erheblichen Dunkelfeld aus. (fxn)
Abschlussbericht der AG Machtstrukturen und Aktenanalyse
Der Abschlussbericht der AG Aktenanalyse der GE-Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg schlüsselt die Ergebnisse auf fast 600 Seiten auf und ist im Volltext online verfügbar. Für den Bericht zeichnen der Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a. D Eugen Endress und Oberstaatsanwalt a. D. Edgar Villwock verantwortlich.