Bischof Hinder: Papst Franziskus wirkt anziehend auch für Muslime
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Bischof Paul Hinder war knapp 20 Jahre lang als Apostolischer Vikar auf der arabischen Halbinsel tätig. In dieser Zeit hat er viel erlebt: Den "Arabischen Frühling", drei Päpste oder auch die Unterzeichnung des Dokumentes von Abu Dhabi. Im Interview spricht Hinder ausführlich über die Lage der Christen in der Region. Außerdem sagt er, was die Araber vom Papst denken, und warum viele Schlagzeilen über Umbrüche in Arabien seiner Meinung nach eher vom Wunschdenken des Westens geprägt sind.
Frage: Bischof Hinder, Sie wurden 2003 als Kapuziner aus der Schweiz als Bischof nach Arabien entsandt. In diesen 20 Jahren ist in der arabischen Welt viel passiert, unter anderem die Aufstände des "Arabischen Frühlings" 2011. Wie hat sich das Leben in Ihrer Zeit auf der arabischen Halbinsel verändert?
Hinder: Beim "Arabischen Frühling" hatte ich manchmal den Eindruck, dass gewisse Interpretationen mehr dem Wunschdenken der Europäer und Amerikaner entsprangen als der Realität in den betreffenden Gesellschaften. Natürlich ist eine Reformbewegung da. Die hat aber nicht unbedingt alle Charaktere übernommen, die hinein interpretiert wurden von westlicher Warte. Ich nehme das auch niemandem übel, weil wir ja immer in den Kategorien denken, die uns vertraut sind. Wenn ich zurückblicke, stelle ich insgesamt eine maßvolle, manchmal zögernde, aber doch fortschreitende Öffnung der Gesellschaften als solche fest und auch eine Bereitschaft, sich auf andersgläubige Nachbarn einzulassen. Ich habe in dieser Hinsicht eigentlich bei allen Einschränkungen gute Erfahrungen gemacht. Die Beziehungen mit den Entscheidungsträgern in den verschiedenen Ländern sind natürlich unterschiedlich, aber im Allgemeinen recht gut gewesen, sogar mit gewissen Stellen mit Saudi-Arabien.
Frage: Eigentlich hätte ich jetzt das Gegenteil erwartet. Man sagt ja, dass in vielen Ländern nach dem "Arabischen Frühling" eher die restriktiven Kräfte an die Macht gekommen sind. Das nehmen Sie nicht so wahr?
Hinder: Zumindest nicht allgemein. Es hat immer wieder eine Vorwärts- und Rückwärtsbewegung gegeben, wie bei der Echternacher Prozession. Insgesamt stelle ich aber ein Vorwärts fest.
Frage: Die Unterzeichnung des Dokuments zur Brüderlichkeit der Menschen von Papst Franziskus und Sheikh Ahmed el-Tayeb war 2019 ein großer Schritt, der direkt bei Ihnen in Abu Dhabi stattgefunden hat. Wie haben Sie das erlebt, den Papst zu begrüßen und so einen wichtigen Moment hautnah mitzubekommen?
Hinder: Ich hatte das Glück und auch den Stress, den Papst zweimal begrüßen zu dürfen – vor vier Jahren in Abu Dhabi und dann letzten November in Bahrain. Die beiden Ereignisse würde ich auch irgendwie miteinander verbinden – nebst anderen Besuchen von Papst Franziskus in der Region, im Irak und auch in Kasachstan. Die Dokumente, die unterzeichnet wurden, und vor allem das Abu-Dhabi-Dokument, da war ich nicht involviert in die Verfassung, aber natürlich sehr wohl in der Nachbereitung, etwa im Verbreiten unter unseren eigenen Leuten. Ich habe mich dann auch in Foren oder Gesprächen mit Einheimischen und anderen mit dem "Human Fraternity Document" auseinandergesetzt. Der Papst erfreut sich im Allgemeinen, wie ich festgestellt habe, unter den Muslimen einer großen Beliebtheit und Achtung, was man von seinem Vorgänger nicht im selben Maße sagen kann, obwohl schon unter ihm der interreligiöse Dialog große Fortschritte gemacht hat, trotz – oder vielleicht zum Teil auch sogar wegen der Regensburger Rede. Papst Franziskus hat aber einen anderen Zugang und wirkt anziehend auch für Muslime. Ich musste mal schmunzeln, als ein Scheich mir gesagt hat: "Er ist auch unser Papst." Das zeigt auch eine Wertschätzung. Was sicher damit zu tun hat, dass es eine andere Herangehensweise ist. Eine Herangehensweise, die zunächst einmal versucht, das Gemeinsame wahrzunehmen, wo wir einander zugehörig sind oder auch miteinander vorwärtsgehen können mit gemeinsamen Grundwerten. Es wird im ersten Moment nicht so sehr das Trennende hervorgehoben, obwohl Papst Franziskus immer klar gemacht hat, dass man interreligiösen Dialog nur pflegen kann, wenn man auf dem festen Boden einer eigenen Identität steht. Das, denke ich schon, ist wichtig. Und er macht es auch vor, obwohl es immer wieder Missverständnisse gibt, auch unter den Katholiken.
„Ich denke, dass wir alle daran interessiert sind, in einer Welt von Werten, Gerechtigkeit und Frieden zu leben. In einer Welt gegenseitigen Respekts, wo wir einander ein Basisvertrauen entgegenbringen können.“
Frage: Sie können das wahrscheinlich besser beurteilen als wir: Welche Bedeutung hat das Abu-Dhabi-Dokument, oder allgemein die Haltung von Papst Franziskus, in der arabischen Welt? Hat den Dialog auf eine neue Ebene gesetzt?
Hinder: Ja, ich kenne natürlich nicht die ganze arabische Welt und weiß auch nicht immer, was im Herzen der Leute vor sich geht. Ich denke aber schon, dass wir alle daran interessiert sind, in einer Welt von Werten, Gerechtigkeit und Frieden zu leben. In einer Welt gegenseitigen Respekts, wo wir einander ein Basisvertrauen entgegenbringen können, um das "gemeinsame Haus", wie es oft heißt, bewohnbar zu halten und daran auch zu arbeiten. Ich denke, dass sehr viele, vielleicht sogar die meisten denkenden und praktizierenden Menschen in der muslimischen Welt wie auch in der christlichen Welt sich in diesem Punkt einig sind, so sehr es natürlich viele Unterschiede gibt im realen Glaubensbekenntnis. Aber zurück zu Papst Franziskus: Ihm geht es ja darum, eine gemeinsame Basis zu finden oder die anzuerkennen, auf der wir gemeinsam vorwärtsgehen können, zum Schutz und zum Wohl aller, nicht nur einer bestimmten Gruppe. Das scheint mir sehr wichtig zu sein.
Frage: Wie haben Sie denn den Papst bei den zwei Treffen in Abu Dhabi und in Bahrain im Umgang mit den Muslimen erlebt? Denken Sie, dass er verstanden hat, wie man auf eine andere Kultur zugeht? Oder ist das schwierig gewesen, ihn in so einer komplett anderen Welt zu empfangen?
Hinder: Schwierig jetzt nicht unbedingt. Ich meine, wir müssen uns klar sein, solche Besuche haben strikte Protokoll-Regeln. Ich habe das ja selbst erfahren, weil ich ja in die Vorbereitungen einbezogen war. Das ist ein unheimlicher Stress für diejenigen, die das organisieren müssen, weil da jeder Schritt im Voraus mehr oder weniger abgeklärt wird. Aber trotz dieser protokollarischen Schranken und Vorbedingungen hatte ich den Eindruck, dass es ihm gelungen ist, auch die Herzen zu öffnen und in einer recht unkomplizierten Weise auf die Leute zuzugehen. Natürlich ist gerade beim letzten Besuch in Bahrain aufgefallen, dass er weitgehend im Rollstuhl war. Das hat wirklich einen eigenen Eindruck gemacht, dass ein Papst nicht verbirgt, dass er auch leidend sein kann und deshalb auf Hilfe angewiesen ist. Oder was ja inzwischen fast sprichwörtlich ist, wenn er mit dem kleinen Auto vorfährt bei den Empfängen, zwischen einer ganzen Anzahl von großen Limousinen. Das nehmen die Leute schon wahr. Und sie nehmen es als ein Zeichen eines Menschen wahr, der auf andere zugehen möchte und nicht sich von oben herab annähert.
Frage: Sie haben vor Kurzem die Einführung Ihres Nachfolgers mitgemacht, der Italiener Aldo Berardi ist jetzt Apostolischer Vikar für das Nördliche Arabien. Der Moment der Weihe ist durch die Medien gegangen, weil er minutenlang geweint hat zu seiner Einführung. Sie haben konzelebriert. Wie haben Sie das miterlebt? Warum war das so emotional?
Hinder: Ich meine, das geht ja jedem von uns so. Wenn ich zurückdenke an meine Bischofsweihe vor 19 Jahren: Das war nicht ganz so emotional wie jetzt in Bahrain, aber das berührt einen schon, weil schon der Ritus selbst einen ins Denken und Meditieren bringt. Wenn man so daliegt, die Allerheiligenlitanei gesungen wird und nachher der ganze Weiheritus kommt. Für Bischof Aldo war es natürlich ein ganz besonderer Moment, wenn er da zu seinem Bischofssitz geführt wird. Da heißt es dann: Da bist du jetzt und zeig, was du kannst oder was du machen musst. Da geht einem schon dann einiges durch den Kopf und das berührt, vor allem, wenn dann noch Menschen in der Nähe sind, mit denen er sich verbunden fühlt. Das sind einfach berührende Momente. Ich meine, ich hatte ja selbst auch Wasser in den Augen. Es ist nicht nur der Bischof, der da geweint hat.
Frage: Denken Sie, dass das eine Aufgabe ist, auf die er sich jetzt freuen kann? Oder denken Sie, das wird eine schwierige Aufgabe?
Hinder: Er ist ja nicht völlig unbeleckt in diese Aufgabe hineingekommen. Er hat bereits Erfahrungen sammeln können in einigen Jahren Arbeit im Vikariat. Aber zweifellos ist es ein Unterschied, ob man in der ordentlichen Pastoral tätig ist oder regelmäßig als Besucher kommt, wie das damals bei mir der Fall gewesen ist, und dann eines Tages die volle Verantwortung übernehmen muss als Bischof. Das ist dann schon mehr als eine Schuhgröße größer als das, was man vorher gemacht hat. Das braucht zweifellos etwas Zeit. Aber da wächst man hinein. Ich habe das damals selbst erlebt. Am Anfang kam ich mir auch hilflos vor in mancher Hinsicht, aber Schritt für Schritt läuft das, Learning by Doing. Da wird man einfach reingeworfen. Und man ist ja nicht völlig allein. Es gibt Mitarbeitende. Und es gibt – ja nicht nur, aber vor allem auch noch den Heiligen Geist, dem man einiges zutrauen darf als gläubiger Mensch, dass der uns nicht völlig im Stich lässt. Was aber einfach wichtig ist: Den Kontakt mit den Leuten, sowohl den Priestern wie den übrigen Gläubigen wach zu erhalten, auf die zuzugehen und auf sie zu hören. Da wächst bei einem auch die Kompetenz beim Leiten einer solchen Migrantenkirche.