Keine Muttertagsbastelei in der Kita: Kein Wahnsinn, sondern Respekt
An kaum einem Ort treffen in einer Pfarrgemeinde so viele Lebensrealitäten aufeinander wie in einer Kita. Bei Kindern und Eltern spiegelt sich die ganze Vielfalt von Situationen und Herkünften. Es gibt Kinder, die mit Vater und Mutter leben. Kinder, deren Eltern in Trennung leben, Waisen und Halbwaisen, Kinder in Pflegefamilien, Kinder mit zwei Vätern oder zwei Müttern, Kinder in Patchworkfamilien, Kinder mit großen und kleinen Familien, Kinder aus Familien ganz unterschiedlicher Kulturen und Religionen, und leider auch Kinder, die Gewalt oder Vernachlässigung in der Familie erfahren. Das ist eine Realität, der sich Erzieherinnen und Erzieher stellen und dabei den Bedürfnissen und Sorgen jedes Kindes gerecht werden müssen: Im Kindergarten, auch im katholischen, habe alle diese Kinder Platz, und Erzieherinnen und Erzieher gehören zu den erfahrensten Experten für die reale Vielfalt in der Gemeinde.
Die gelebte Realität steht in Spannung mit Traditionen, die entstanden sind, als solche Konstellationen nicht sein durften und – bewusst oder unbewusst – unsichtbar gemacht wurden. Erzieherinnen und Erzieher tun gut daran, wenn sie die Lebenssituation der ihnen anvertrauten Kinder in den Blick nehmen. Sie haben es in ihrem Alltag nicht mit Idealtypen, sondern mit Realitäten von Familien, mit konkreten Kindern zu tun. Auf deren Bedürfnisse und Sorgen müssen sie tagtäglich eingehen: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee, drückte es Papst Franziskus in "Evangelii Gaudium" aus, der zentralen Programmschrift seines Pontifikats.
So schön Muttertag für Kinder ist, die eine Mutter haben, so schön Vatertag für Kinder ist, die einen Vater haben: Es braucht die Sensibilität für die Kinder, für die Vater- oder Muttertag kein fröhlicher Anlass ist, sondern Erinnerung an einen Verlust. Und es braucht die Sensibilität für die Kinder, für die andere als Vater oder Mutter die Bezugspersonen sind, denen sie danken wollen.
Auf Respekt reagiert der CDU-Politiker Kuban mit Verachtung
Da ist es konsequent und zeugt von der nötigen Sensibilität, wenn eine Kita im Bistum Fulda gegenüber den Sorgeberechtigten ankündigt, in diesem Jahr Mutter- und Vatertag – die keine kirchlichen Festtage sind – nicht wie in den Jahren zuvor mit Basteleien für Mütter und Väter vorzubereiten. »Ein Vatertagsgeschenk ohne Vater in der Familie ist nicht nur ohne Wert, sondern kann die Identität eines Kindes in Frage stellen«, heißt es in dem Informationsbrief der Kita. Aus dieser Entscheidung spricht Respekt und pädagogische Erfahrung. Aus der ebenfalls im Brief geäußerten Bitte um Verständnis, dass die Kapazitäten für individuelle Geschenkbasteleien fehlen, spricht die Personalnot in Kitas.
Andere Entscheidungen wären denkbar gewesen. Darüber lässt sich diskutieren. Der Brief ist aber nicht als praktischer Beitrag einer pädagogischen Fachdiskussion über angemessene Formen bekannt geworden, mit Mutter- und Vatertag umzugehen. Bekannt wurde er, weil der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban den Brief – inklusive Name und Anschrift der Kita – auf Twitter veröffentlichte. Dem Wahnsinn seien keine Grenzen mehr gesetzt, schrieb der Politiker dazu. Dass auf einen populistischen Tweet ohne den geringsten Versuch, das Vorgehen verstehen zu wollen, ein rechtsradikaler Mob gegen die Kita toben würde, musste Kuban wissen. Wahrscheinlich kalkulierte er damit. Erst nach Stunden entfernte er die Kontaktdaten der Kita – ohne jedes Wort der Entschuldigung. »Zum Schutz der Kinder« habe er die Daten nun geschwärzt. Was nicht dort steht: Zum Schutz vor dem Mob, den er mit seinem populistischen Tweet selbst aufgestachelt hatte. Der Biedermann ist selbst der Brandstifter.
Populisten wie Kuban spalten die Gesellschaft und tragen ihren Kulturkampf auf dem Rücken derjenigen aus, die die Gesellschaft zusammenhalten: hier der Erzieherinnen und Erzieher, die sensibel mit den Lebensrealitäten der Kinder umgehen wollen, die ihnen anvertraut sind. Auf ein christliches Menschenbild kann sich solche populistische Politik nicht berufen, die für alles andere als das idealisierte Bild der intakten bürgerlichen Kernfamilie nur Spott und Verachtung übrig hat, ohne Interesse an den realen Lebenssituationen von Menschen. Der populistische Tweet war schnell geschrieben, durch den sich Kita und Bistum zu einer Entschuldigung für etwas zwingen ließen, wofür es keine Entschuldigung braucht. Populismus ist viel bequemer als seriöse Kinder- und Familienpolitik. Die könnte zum Beispiel ergründen, warum die Kita nicht die Kapazitäten hat, mit jedem Kind individuell ein passendes Dankeschön für die wichtigen Menschen in seinem Leben zu basteln.