Was ist die Bibel?

Kein altes Buch

Veröffentlicht am 08.12.2015 um 23:30 Uhr – Von Christoph Meurer – Lesedauer: 
Bibel

Bonn ‐ Die Bibel, das sind die von der Kirche anerkannten Schriften, von der Erschaffung der Welt bis hin zum Wirken von Jesus Christus und der Entstehung der ersten christlichen Gemeinden. Aber sie ist noch viel mehr…

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Allerdings greift die Erklärung zu kurz. Dass die Bibel auch "Buch der Bücher" oder "Heilige Schrift" genannt wird, dass Gesamtübersetzungen in 469 Sprachen und Teilübersetzungen in 2527 Sprachen vorliegen und sie bis heute das meistgedruckte Buch der Welt ist, kann schließlich kein Zufall sein.

"Das Buch enthält die Offenbarung, also die Gesamtheit der religiösen Überzeugungen, die der Kirche seit 2.000 Jahren mitgegeben ist", sagt Bibelexperte Heinz-Josef Fabry, emeritierter Professor für Altes Testament und die Geschichte Israels an der Universität Bonn. Diese Offenbarung sei überdies nicht abstrakt, sondern äußere sich in ganz konkreten Lebenshilfen. "Wenn man das bedenkt, dann erscheint das Buch auch heute noch außerordentlich modern und lässt sich da, wo es altertümlich daherkommt, in die heutige Zeit übersetzen", konstatiert Fabry.

Uralte Texttradition

Wobei die Bezeichnung "Buch" eigentlich nicht stimmt. In der katholischen Version der Bibel bestehen die beiden Teile, das Alte und das Neue Testament, zusammen aus 73 Büchern. Deren bis zu 3.000 Jahre alte Geschichte ist vielfach nur lückenhaft bekannt. Viele Texte wurden zunächst mündlich überliefert und erst später aufgeschrieben, kopiert, überarbeitet und abgeändert. Die älteste noch erhaltene vollständige Fassung eines biblischen Buches ist eine Version des Buches Jesaja, die mit anderen Texten und Fragmenten zwischen 1947 und 1956 in Felsenhöhlen am Toten Meer gefunden wurde und um das Jahr 200 v. Chr. entstanden ist. Was heute Bibel genannt wird, ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses von Übersetzungen sowie theologischer und textgeschichtlicher Arbeit.

Aufgrund unterschiedlicher Lehrmeinungen zwischen Judentum und Christentum sowie innerhalb der christlichen Konfessionen, gibt es überdies nicht nur die eine Bibel. So ist zum Beispiel das Alte Testament nicht einfach mit der jüdischen Bibel, dem Tanach, gleichzusetzen. Es enthält einige Texte, die nicht zum Bibelkanon des Judentums gehören, da es von ihnen keine hebräischen Vorlagen gibt oder diese verloren sind.

EIn junger Mann liest Psalmen in der Bibel.
Bild: ©Mele Avery/Fotolia.com

Alte Worte, moderne Botschaft. Die Lektüre der Bibel lohnt noch immer.

Auch innerhalb des Christentums gibt es Unterschiede. Der Kanon, also die festgelegten Bestandteile, des Alten Testaments unterscheidet sich zwischen den christlichen Konfessionen. Ist die protestantische Version mit dem Tanach deckungsgleich, finden sich in den Fassungen von Katholizismus und Orthodoxie noch weitere Bücher aus einer griechischen Übersetzung des Alten Testaments.

Dass Texte mit einem im wahrsten Sinne des Wortes biblischen Alter heute immer noch Leser finden und eine Relevanz in der Gesellschaft haben, kann letztlich nicht daran liegen, dass sich viele Phrasen aus der Bibel als Sprichwörter bis in die heutigen Zeit erhalten haben – darunter beispielsweise "Auf Herz und Nieren prüfen", "Die Hände in Unschuld waschen" oder "Hochmut kommt vor dem Fall".

Lebenshilfe in Krisenzeiten

"Denken wir daran, wie viele Menschen beispielsweise unter einem Burnout leiden, also den gestellten Ansprüchen nicht mehr nachkommen können", sagt Bibel-Experte Fabry. Da könne die christliche Botschaft Wunder wirken, dass das Leben auch einen Sinn haben könne, der nicht mit barer Münze zu messen sei. "Wir müssen nur verstehen, sie anzuwenden", so Fabry weiter.

Damit spielt der Professor auch auf eine kritische Frage an die Bibel an: ob man sie wörtlich nehmen muss, wie es christliche Fundamentalisten tun. Zwar ist auch Fabry dafür, die Bibel zunächst "außerordentlich wörtlich zu nehmen", dabei dürfe man allerdings nicht vergessen, dass jeder Text in einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten Kontext entstanden sei und für die damals lebenden Menschen mit ihren Welt- und Gottesbildern gedacht war.

„Wir müssen uns fragen: Was wollte der Text damals sagen?“

—  Zitat: Heinz-Josef Fabry

"Durch die Zeitgebundenheit haben wir häufig ein Zugangsproblem zum Text", sagt Fabry. "Wir müssen uns fragen: Was wollte der Text damals sagen?" Das Musterbeispiel ist für ihn die Frage nach den sieben Tagen der Schöpfung. "Wenn ich auf dem wörtlichen Text beharre, wird man mich unter Umständen nicht mehr ernst nehmen. Wir müssen damalige Denkformen bemühen, um das Ganze ins Heute zu übersetzen", sagt er. Einerseits erfahre man hier, wie sich die Menschen damals die Entstehung der Welt gedacht hätten. Andererseits vermittle die Geschichte, so Fabry, auch eine Anleitung, wie sinnvoll Zeit strukturiert werden könne, wie Arbeitszeit mit Ruhezeit verbunden würde und "wie man sich Zeit überhaupt vorstellen muss".

Obgleich die Bibel in der heutigen Vielstimmigkeit von Religionen, Kulturen und Überzeugungen in Europa nicht mehr die Bedeutung früherer Zeiten hat, steht für Fabry ihre gesellschaftliche Relevanz außer Frage. Viele Texte der Schrift seien im historischen Kontext von Krisenzeiten entstanden, sagt Fabry: "So wie die Heilige Schrift einst Antworten auf tiefe Depressionszeiten gab, müssen wir sie heute wieder verstehen – als Ratgeber und als Weg zu dem, der dieser Welt wirklich Neues zu sagen hat, zu Jesus Christus."

Von Christoph Meurer