In Ostwestfalen erklingt bald auch eine Autohupe in der Kirche

Wie eine Kino-Orgel aus den USA nach Lemgo kam

Veröffentlicht am 27.05.2023 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Lemgo ‐ In Ostwestfalen erklingt zu den Gottesdiensten bald eine Kino-Orgel aus den USA. Kirchenmusiker Gregor Schwarz hatte die Idee, das Profane ins Sakrale zu holen. Im katholisch.de-Interview spricht er über neue Möglichkeiten der Pastoral und der Kirche als Raum für alle.

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In der Heilig-Geist-Kirche in Lemgo steht bald etwas Besonderes: Eine Kino-Orgel aus den USA der Firma Wurlitzer, eine "Wurlitzer Style D" aus dem Jahr 1924. Diese Orgeln gaben früher Stummfilmen eine Klangkulisse. Das neue Instrument in Lemgo stammt aus einem Restaurant in Los Angeles, wo es zur Unterhaltung der Gäste gespielt wurde. Auf diesen Tasten werden bald nun auch Gottesdienste musikalisch untermalt. Nach Ostwestfalen geholt hat sie der Kirchenmusiker Gregor Schwarz. Im Interview erzählt er über eine besondere Idee und viele Möglichkeiten mit Orgeltönen, Schlagzeugen und einer Autohupe.

Frage: Herr Schwarz, wieso eine Kino-Orgel für eine Kirche?

Schwarz: In dieser Kirche gab es bislang keine echte Orgel, sondern seit einigen Jahrzehnten ein elektronisches Ersatzinstrument. Ich war schon immer begeistert von Stummfilmen und deshalb auch den Orgeln, mit denen man sie begleitet hat. Das Erzbistum Paderborn hat zudem innovative Projekte gesucht, in denen etwas für die Zukunft ausprobiert werden sollte. All das kam bei uns zusammen und so entstand das Projekt, im Zuge der Kirchenrenovierung eine Kino-Orgel einzubauen.

Frage: Wie sind Sie an diese Orgel gekommen?

Schwarz: Gebaut wurde das Instrument 1924 als Kino-Orgel für ein Restaurant in Los Angeles. Über mehrere Stationen war sie dann seit dem Jahr 2000 im Besitz einer Münsteraner Orgelbaufirma, die sie verkaufen wollte. Dort habe ich sie auch persönlich gesehen. Zumindest im deutschen Raum war sie die einzige dieser Art, die überhaupt auf dem Markt war. Es war die Chance, ein Instrument zu bekommen, das viele Facetten hat. Es kann die Liturgie begleiten, aber noch viel mehr.

Frage: Also kam die Idee durch den Kontakt mit dem Instrument?

Schwarz: Dadurch, dass es in Lemgo keine Orgel gab und die Kirchen im Umreis bereits traditionelle Orgeln besaßen, gab es die Möglichkeit, etwas Anderes zu versuchen. Das war für mich der Anstoß, die Pfarreigremien und das Bistum von der Idee zu überzeugen. Das hat dann mit dem richtigen Konzept tatsächlich funktioniert. Es gibt nur sehr wenige dieser Orgeln in Deutschland – und die meisten stehen in Museen, wo sie kaum gespielt werden. Deshalb schaffen wir hier etwas Einmaliges.

Frage: Wurde das Projekt denn dadurch, dass Sie ein "gebrauchtes" Instrument kaufen, günstiger?

Schwarz: Der Neubau einer traditionellen Orgel in dieser Größenordnung mit diesen Möglichkeiten wäre definitiv teurer gewesen. Was nicht heißt, dass die Wurlitzer extrem günstig war, aber ich sage mal, vergleichsweise schon, da das Material da war. Wir mussten aber noch ein Gehäuse bauen und das unter anderem mit dem Denkmalschutz absprechen, das hat die Kosten gewaltig nach oben getrieben.

Frage: Wie haben Sie das finanziert?

Schwarz: Wir haben eine Anschubfinanzierung über die Projektförderung des Erzbistums bekommen, dazu kam Geld vom Kirchenvorstand. Der hat die Chance gesehen, jetzt im Rahmen der Gesamtsanierung der Kirche den Blick auf die nächsten 20, 25, 30 Jahre zu werfen und etwas für die Zukunft zu tun. Dieses Instrument soll eine gewisse Strahlkraft in die Stadt und die Region entwickeln. Das hat also auch missionarischen Charakter.

Frage: Eine Kino-Orgel ist schon etwas anderes als eine Kirchenorgel, da geht es sehr viel um Effekte. Welche Vorteile hat dieses eigentlich aus der Unterhaltung stammende Instrument für eine Kirche?

Schwarz: Zunächst einmal ist eine Kino-Orgel eine seriöse Pfeifenorgel, mit der man ganz traditionell die Bedarfe einer liturgischen Gestaltung jeder Couleur abdecken kann. Darüber hinaus gibt es auch Effekte wie eine Autohupe oder eine Türschelle, die man weniger im Gottesdienst benutzen würde. Aber es gibt auch viele andere Klangbausteine und Instrumente, die sich durchaus einbetten lassen, zum Beispiel ein Glockenspiel oder ein Schlagzeug, Zimbeln und Trommeln. Das hat schon Vorteile für moderne Kirchenmusik wie Neues Geistliches Lied oder Worship.

Bild: ©Gregor Schwarz

Das Schlagwerk der Wurlitzer-Orgel in Lemgo.

Frage: Sie haben anklingen lassen, dass Sie das Instrument auch über die liturgische Verwendung hinaus nutzen möchten. Was sind Ihre Pläne?

Schwarz: Für die Woche der Orgelweihe haben wir ein Programm zusammengestellt, das die verschiedenen Bereiche verbinden soll. Neben klassischen Konzerten wollen wir Stummfilme live an der Orgel begleiten, sie also zu dem Zweck nutzen, für den sie mal gebaut wurde. Es gibt tatsächlich einige Stummfilme mit biblischen Themen, es gibt also auch da Überschneidungen. So sollen die schon vorhandenen Kirchgänger mit denen ins Gespräch kommen, die aus Interesse an dem Instrument da sind. Dazu gibt es aber auch eine Produktion der hiesigen Ballettschule, die die Geschichte um Noah und die Arche inszeniert, sowie Orgelführungen. Musik, Leben und Glaube kommt also immer zusammen.

Frage: Was bedeutet diese Orgel dabei für Sie persönlich: Müssen Sie sich noch weiterbilden?

Schwarz: Ich habe die Hoffnung, dass ich die Zeit und die Gelegenheit finde, mich da auch im Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und weiterzuentwickeln. Das ist schon irgendwie eine Spezialwissenschaft. Nicht zuletzt deswegen haben wir für den allerersten Stummfilm eine Kollegin aus Berlin eingeladen, die die einzige deutschlandweit tätige Kino-Organistin ist. Ansonsten wollen wir auch mit der Musikhochschule in Detmold zusammenarbeiten.

Frage: Was Sie da planen, ist ambitioniert und beschreitet neue Wege. Gab es da eigentlich auch Gegenstimmen?

Schwarz: Natürlich, manche haben schon gefragt, ob so eine Orgel fromm genug für eine katholische Kirche ist. Aber mit der Zeit wurde klar, wie groß das Interesse auch außerhalb des kirchlichen inner circle ist. Deshalb glaube ich, dass wir der Kirche hier etwas Gutes tun, indem wir einladend allen Menschen gegenüber sind und auch denen ein Angebot machen, die normalerweise nicht kommen. Wir müssen auf die Menschen zugehen, sonst hat die Kirche keine Zukunft.

Von Christoph Paul Hartmann