Wohin mit all den Pilgern auf dem Jakobsweg?
Cesar Garralda hat gut lachen, wenn er tagtäglich dieselben handgeschriebenen Zettel an den Ständer vor seiner Pilgerherberge heftet, einen auf Englisch, einen auf Spanisch. "Voll" steht kurz und knapp darauf. Die Geschäfte könnten nicht besser laufen. Derzeit schießt der Pilgerzulauf auf dem Jakobsweg durch die Decke. "So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt der 53-jährige Garralda, der zusammen mit seinem Bruder Inaki die Herberge "Casa Ibarrola" in der Altstadt von Pamplona führt.
Da es sich um eine private Herberge handelt, sind hier – im Gegensatz zu den öffentlichen Quartieren in Gemeinde- oder Kirchenhänden – Reservierungen möglich. Derzeit ist knapp eine Woche vorab alles ausgebucht. Auch der Plan für Juni füllt sich bereits erheblich. Die Pilgerherbergen in Nordspanien geraten allerorten ans Limit ihrer Kapazitäten. Nach dem Rekordjahr 2022, in dem 437.509 Ankömmlinge in Santiago de Compostela ihre Pilgerurkunde in Empfang nahmen, zeichnet sich eine erneute Steigerung ab. Mitte Mai des laufenden Jahres wurde bereits die 80.000er-Marke überschritten, was im Vorjahr erst Ende Mai der Fall war.
"Wir tun, was wir können"
Das Dilemma der Engpässe bei der Unterbringung trifft auch Roncesvalles, den klassischen Einstiegspunkt in die Hauptroute, den "Französischen Weg" (span.: Camino Frances). "Im Schnitt treffen hier 300 Pilger pro Tag ein, und die 183 Betten sind jeden Tag voll", so Marisol Goicoa, die seit über zwei Jahrzehnten bei der Pilgerbetreuung in der Herberge des historischen Klosterkomplexes Roncesvalles mithilft.
Wohin also mit dem Rest in dem winzig kleinen Pyrenäendorf? "Wir tun, was wir können", sagt Goicoa. Im Klartext: Für Ankömmlinge gibt es Tipps zu möglichen Ausweichquartieren in der Umgebung, auch zu Landhäusern, die weit abseits der Pilgerstrecke liegen. Oder zu Unterkünften, die entweder eine Tagesetappe zurück oder voraus liegen – was die Taxifahrer freut, aber Löcher ins Pilgerbudget reißt. Eine nicht unwesentliche Konstante der Beliebtheit des Unterwegsseins auf dem Jakobsweg ist schließlich das günstige Preisniveau der Pilgerherbergen.
Die in Navarra erscheinende Regionalzeitung "Diario de Noticias" berichtet, dass manche Pilger – der Not gehorchend – mittlerweile im Freien auf dem Boden oder Ruhebänken schlafen oder ihr Zelt aufbauen. Derlei Open-air-Quartiere dürften gewiss nicht das sein, was man sich nach einem anstrengenden Pilgertag erträumt. Zudem bleibt die Hygiene auf der Strecke. Wer sich mit dem Gedanken trägt, ein Zelt mitzubringen, sollte wissen, dass Wildcampen in Spanien illegal und die Zahl der Campingplätze am Jakobsweg minimal ist.
Manchmal jedoch hat man Glück, so wie der spanische Radpilger Jose Ruiz, der in seiner Heimat Aragonien gestartet ist. Nach drei vergeblichen Versuchen in privaten Herbergen Pamplonas hat er eine der letzten Pritschen in der städtischen Herberge ergattert und nimmt sich Zeit für einen Plausch. Jakobswege hat er seit Ende der Neunzigerjahre viele in den Knochen, erzählt er. Doch nun hat sich der 55-jährige Maschinist ein Sabbatjahr genommen und in den Kopf gesetzt, das Netz der Jakobswege in Gegenrichtung zu erkunden – auf seinem Drahtesel quer durch Europa bis ins norwegische Trondheim.
Mehr Pilger aus Asien
Dass die Wallfahrtsrouten in umgekehrter Richtung nicht markiert sind, spornt ihn zusätzlich an. Leerer dürfte es in Skandinavien gewiss sein. Ein Diplom gibt es dafür jedoch nicht.
Herbergsbetreiber Garralda hat in diesem Frühjahr ein zusätzliches Phänomen ausgemacht: die sprunghaft gestiegene Zahl von Pilgern aus Asien, vor allem aus Taiwan und Südkorea. Eine Pilgerin aus Taiwan, Liulin, der man ihre 73 Jahre nicht ansieht, ist bei ihm untergekommen und öffnet ihr Herz: "Meine Freunde haben mich gefragt, warum ich gehe. Ich weiß es nicht und gehe einfach weiter." Dabei leuchten ihre Augen. Liulin hat Zeit, das Tagespensum ist ihr egal. Manchmal sind es nur acht oder zehn Kilometer – was nicht zuletzt davon abhängt, ob sie ein Quartier findet.