Sozialethiker Nass: Risiken von KI für Menschenwürde diskutieren
Der Kölner Sozialethiker Elmar Nass sieht einen falschen Schwerpunkt in der Diskussion um die Risiken von Künstlicher Intelligenz (KI). Das größte Risiko von KI sei der Verlust von Menschenwürde und Menschenbild, sagte Nass gegenüber katholisch.de: "Was bleibt noch von Mensch und Würde, von Freiheit, Demokratie und Religion? Das ist die eigentliche Gefahr." Wenn KI im Krieg Menschen töte, instrumentalisiere sie die Opfer: "Reales Töten erscheint als virtuelle Realität. Der Nutzer stumpft ab und ist unfrei, mögliche Kriegsverbrechen zu verhindern." Weitere Gefahren lägen in der Simulation von Verstorbenen in Bild und Stimme, der Debatte über "Menschenrechte" für humanoide Roboter, die vermeintliche Gefühle zeigen, und einer durch den Chatbot ChatGPT normierten Sprache und Wissenschaft, so dass Spontaneität und Kreativität getötet würden. Politischer und journalistischer Diskurs scheine angesichts der vermeintlichen Evidenz von KI-Entscheidung überflüssig. "Der gläubige Zugang zur Transzendenz wird im mathematischen Kalkül eingefroren", ergänzt Nass.
Der Theologe reagiert damit auf einen am Dienstag veröffentlichten Aufruf von internationalen KI-Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft des "Center for AI Safety". Der Aufruf besteht aus nur einem Satz: "Die Risikominimierung des Aussterbens durch KI sollte neben anderen Risiken von gesellschaftlichem Ausmaß wie Pandemien und Atomkrieg eine globale Priorität sein." Die Unterzeichner der Erklärung stünden nicht wie ethische Stimmen unter Generalverdacht, "Spielverderber des technischen Fortschritts" zu sein: "Doch ist die medial gefeierte moralische Warnung der vermeintlichen Koryphäen keineswegs ein ethisches Feuerwerk. Sie lenkt ab vom drängendsten Werte-Problem weltweit sich ausbreitender KI-Kultur", so Nass.
Echte Warnung oder nur Marketing-Gag?
Bei der unter anderem von Microsoft-Gründer Bill Gates und ChatGPT-Betreiber Sam Altman unterzeichneten Erklärung liege der Verdacht nah, dass es sich um einen Marketing-Gag handele: "Besorgte Bürger lesen diesen einen moralischen Satz und fühlen sich damit bei den KI-Entwicklern gut aufgehoben. Vorgegaukelte Moral der Märkte reduziert Ängste und will Vertrauen kreieren", so Nass. "Hinter diesem Schleier des Unwissens ließe sich trefflich in alle Richtungen weiter entwickeln und Profit machen." Der Appell sage nichts, was nicht schon lange im ethischen Diskurs bekannt sei. Eine transparente Begründung und eine klare Benennung von Gefahren fehle. Bei der Betrachtung von KI rät der Sozialethiker zu einer Differenzierung: Während Pandemien und Nuklearkriege stets ein Übel seien, müsse Künstliche Intelligenz fundamental anders bewertet werden: Ethisch verantwortliche Nutzung müsse von Nutzung, die dem Menschen hilft, unterschieden werden.
Seit der öffentlichen Verfügbarkeit von ChatGPT werden Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz auch in der Kirche intensiv diskutiert, etwa zur Frage des Einsatzes in der Seelsorge und für Predigten. Im vergangenen Jahr hatte das Katholische Büro Berlin von der EU-Kommission eine strengere Regulierung von Systemen künstlicher Intelligenz gefordert, die Entscheidungen über Leben und Tod von Menschen treffen, sowie von KI-Systemen, die die Demokratie und ihre Werte gefährden. Auf europäischer Ebene setzt sich die Konferenz der europäischen Bischofskonferenzen COMECE seit Jahren für einen menschenzentrierten Ansatz beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz ein.
2020 veröffentlichte die Päpstliche Akademie für das Leben den "Rome Call for AI Ethics". Im Kontext der Veröffentlichung wies Papst Franziskus darauf hin, dass neue Technologien ein "Geschenk Gottes" seien, deren Risiken man aber beachten müsse. Im Rome Call heißt es, dass "KI-Systeme […] so konzipiert, gestaltet und implementiert werden [müssen], dass sie dem Menschen und seiner Umwelt dienen und sie schützen." KI solle dazu beitragen, "Lebensbedingungen zu schaffen (sowohl gesellschaftlich als auch persönlich), die es sowohl der Gemeinschaft als auch den einzelnen Mitgliedern ermöglichen, sich so weit wie möglich zu entfalten", so der Aufruf weiter. (fxn)