Das Erzbistum Paderborn auf vorsichtigem Reformkurs
Ganz früher einmal galt Paderborn als "tiefschwarz". Vor vielen Jahren. Inzwischen zeigt sich das Erzbistum zwischen Siegen und Minden, Höxter und Herne als moderater Reformer. Auch wenn manch einer die Westfalen für Spaßbremsen hält, so ist es doch ihr trockener Humor, gepaart mit einiger Gelassenheit, mit dem sie Herausforderungen angehen.
Eine große Ungleichzeitigkeit kennzeichnet die 799 gegründete und 1930 zum Erzbistum erhobene Diözese: Den Ruhrgebietsstädten Dortmund und Herne sowie den Boom-Städten Bielefeld und Gütersloh stehen die ländlichen Weiten des Hochstifts Paderborn und Höhen des Sauerlands gegenüber. Wer dort Seelsorger ist, muss gerne Auto fahren, sagt Thomas Dornseifer. Von einem Gottesdienstort zum nächsten sind da schon mal 30 Kilometer zurückzulegen. Dornseifer ist Ständiger Vertreter von Diözesanadministrator Michael Bredeck. Nach dem gesundheitsbedingten Rücktritt von Erzbischof Hans-Josef Becker im Oktober leiten die beiden das Bistum kommissarisch. Sie setzen sowohl Reformimpulse Beckers fort als auch solche des gesamtdeutschen Reformprojekts Synodaler Weg.
"Wozu bist du da, Kirche?"
Mit der Leitfrage "Wozu bist du da, Kirche?" hatte Becker einen Zukunftsprozess angestoßen, der vor zwei Jahren in ein sogenanntes "Zielbild 2030+" mündete. Als verbindliche Leitlinie für alle Mitarbeiter im Erzbistum. Viele Gespräche im Zukunftsprozess hat Bredeck geleitet. Mancher im Bistum wie außerhalb meint, der 53-Jährige wäre ein guter neuer Erzbischof. Aber nicht der einzige Kandidat. Bei der Suche nach geeigneten Männern für den zunehmend schwierigeren Job eines Bischofs probierten die Paderborner als erstes Bistum eine neue Methode. Angeregt durch den bundesweiten Reformprozess Synodaler Weg beriet sich das 14-köpfige Domkapitel mit 14 ausgesuchten Frauen und Männern aus verschiedenen Regionen und Gruppen der gesamten Erzdiözese.
"Alle Gläubigen, ob Domkapitular oder nicht, haben Anliegen und Blickwinkel, die helfen können, einen Kandidaten zu finden", sagt Nadine Mersch, Vorsitzende des Diözesankomitees und eine der 14 Personen, die mit den Domkapitularen berieten. Offen, ehrlich und konstruktiv seien die Gespräche gewesen, sagt sie – und vertraulich, wie es die Vorschriften vorsehen. Anhand der gemeinsamen Beratungen formulierte das Domkapitel drei Vorschläge, die Dompropst Joachim Göbel nach Rom schickte. Von dort erwartet man nun eine Dreierliste, aus der das Domkapitel den neuen Erzbischof wählt. Bisher habe man noch nichts von dort gehört, sagte Dornseifer der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Anfangs hatte mancher gehofft, dass Laien bei der Suche nach einem neuen Erzbischof nicht nur mitberaten, sondern auch mitwählen dürfen. Das Nein aus Rom – auch wegen staatskirchenrechtlicher Bedenken – war erwartbar. So hielt sich die Enttäuschung in Grenzen. Dennoch wurde Paderborn zu einem Vorbild – etwa für das benachbarte Bistum Osnabrück, wo ebenfalls ein neuer Bischof gesucht wird.
Neben den Anliegen von mehr Mitbestimmung durch Laien und mehr Mitwirkung von Frauen stehen weitere Herausforderungen an. Die deuten sich allein in Zahlen an. Gab es 2011 durch Austritte und Beerdigungen doppelt so viele Abgänge wie Zugänge per Taufe und (Wieder-)Eintritte, lag das Missverhältnis 2021 bereits bei 3,8 zu 1. Von 2013 bis 2021 sank die Katholikenzahl von 1,56 auf 1,41 Millionen, ein Bevölkerungsanteil von rund 29 Prozent. Schuld daran ist auch die Missbrauchskrise. Bis 2024 soll eine 2019 begonnene Studie Ergebnisse zu den Amtszeiten der Kardinäle Lorenz Jäger (1941-1973) und Johannes Joachim Degenhardt (1974-2002) aufarbeiten, Ende 2025 dann auch zur Amtszeit Beckers (2003-2022).
Besonders drastisch ist der Rückgang der Katholikenzahl im Dortmunder Norden. In der 2016 fusionierten Pfarrgemeinde Heilige Drei Könige sank sie von 11.500 auf 7.200. Aktuell nehmen jeweils 10 bis 50 deutschsprachige Kirchgänger an Sonntagsgottesdiensten teil. Bei den Kroaten, die eine der Kirchen nutzen, seien es immerhin 300, sagt Pfarrer Ansgar Schocke. Von den aktuell noch je sechs Kirchen, Pfarrhäusern und Gemeindezentren bräuchten sie im Grunde nur noch je ein Gebäude. "Immobilien sollten so verkauft oder vermietet werden, dass sie dem Stadtteil weiter zugutekommen", sagt Schocke. Leider fehle es oft an Investoren und Geld. Eine vom Erzbistum 2012 gestartete Immobilienstrategie soll den Gemeinden helfen, solche Probleme vor Ort zu lösen.
Auch die personellen Ressourcen im Erzbistum schwinden
Auch die personellen Ressourcen im Erzbistum schwinden. Die Zahl der derzeit rund 700 hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern wird sich bis 2035 voraussichtlich halbieren. Einzig die finanzielle Lage der vermeintlich reichsten Diözese Deutschlands ist noch gut. Über Jahrzehnte haben sparsam-vorsorgende Fachleute vorhandenes Vermögen vermehrt. Angelegt ist es vor allem in einer Reihe von Stiftungen, deren Bilanzen erst seit wenigen Jahren offengelegt werden. So konnten nach Beginn des Ukrainekriegs sehr kurzfristig ein Flüchtlingsfonds und ein Energiefonds entsprechende Hilfen ausschütten.
Im armen Dortmunder Norden, wo 55 Prozent der Kinder in Familien leben, die Bürgergeld beziehen, hat die Gemeinde vor ihrer Kirche eine "Nachbarschaftsbude" errichtet, eine Art Koordinierungsstelle für Nachbarschaftshilfen verschiedenster Art. Weil es an regulären Kita-Plätzen, Betreuung für Schulkinder und elterlicher Sorge mangele, so erzählt Schocke, "schießen Kinderstuben aus dem Boden". Um 200 Kinder allein kümmert sich in einer Einrichtung die Pfarrei zusammen mit anderen Trägern. "Das Schöne bei dieser Projektarbeit ist, dass so viele mitmachen", lobt Pfarrer Schocke: "Auf die Frage aber, ob sie zur katholischen Kirche gehören, sagen sie 'Nein'." Dornseifer benennt als seine große Sorge die "Verdunstung des Glaubens", die sich nicht nur in Statistiken zeige. "Wie bringen wir junge Menschen in Berührung mit Gott?", fragt er. "Dazu brauchen wir neue Wege, die alten tun's nicht mehr." Der neue Erzbischof, so ist durchgehend zu hören, "muss mit uns solch neue Wege suchen und gehen".