Überprivilegiert?
Faktisch gebe es in Deutschland "eine deutliche Überprivilegierung" der Kirchen und ihrer Gläubigen, sagte der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Grünen, Sven Lehmann, am Samstag bei der Eröffnung des Kongresses. Die Trennung von Kirche und Staat sei "hinkend", weil die Kirchen über den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts verfügten. Lehmann sprach von "ungerechtfertigten Bevorzugungen". In einigen Landstrichen existierten nur Schulen oder Krankenhäuser in christlicher Trägerschaft.
Auf Einladung der Bundes- und NRW-Landespartei der Grünen haben sich an diesem Samstag etwa 250 Teilnehmer im Düsseldorfer Landtag zu einem Kongress versammelt, um über "Religion und Weltanschauung im öffentlichen Raum" zu debattieren. In mehreren Foren soll mit Vertretern der Religionsgemeinschaften über die Forderungen der Grünen nach Streichung staatlicher Leistungen für die Kirchen, die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts und den Wegfall der Kirchenaustrittsgebühr diskutiert werden.
Lehmann: "Verhältnis neu austarieren"
Lehmann trat dafür ein, das Verhältnis von Kirche und Staat "neu auszutarieren". Dies werde nicht ohne Konflikte abgehen. Zunächst müsse im Dialog mit den Kirchen nach Veränderungen gesucht werden. So sei es Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gerade gelungen, die Umwandlung von konfessionellen Bekenntnisschulen in weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschulen im Einklang mit den Kirchen zu erleichtern. Ihm sei klar, dass Reformen bei der Kirchenfinanzierung oder dem kirchlichen Arbeitsrecht schwieriger seien, sagte Lehmann. Deshalb müsse die Politik auch den Mut haben, "Werte eines säkularen Staates durchzusetzen".
Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer verteidigt dagegen die Kirchensteuer. Bei einer Abschaffung drohe die Gefahr eines "elitären Christentums". Der Verwaltungschef des Ruhrbistums plädierte stattdessen dafür, den staatlichen Kirchensteuereinzug für alle Religionsgemeinschaften zu öffnen. Dazu gehöre auch der Islam, wenn er die Voraussetzungen einer öffentlichen Körperschaft erfülle.
Kirchensteuer verhindert auch Fundamentalismus
Das Instrument der Kirchensteuer biete dem Staat die Chance, Religionsgemeinschaften gesellschaftlich "zu stärken und einzubinden", sagte Pfeffer. Dies verhindere Fundamentalismus und Zersplitterung. Im Übrigen lasse sich der Staat den Einzug der Kirchensteuer "gut bezahlen". Über eine Abschaffung der umstrittenen Kirchenaustrittsgebühr habe nur der Staat zu entscheiden, betonte der Geistliche. Für ihn sei aber nicht nachvollziehbar, dass für diesen "eher unkomplizierten" Verwaltungsvorgang bundesweit Beträge bis zu 50 Euro erhoben würden.
Offen zeigte sich der Essener Generalvikar für die Forderung der Grünen, die grundgesetzlich garantierten Staatsleistungen an die Kirchen zu überprüfen. Bundesweit bekommen die beiden großen Kirchen pro Jahr etwa 480 Millionen Euro pro Jahr als Ausgleich für die Enteignungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In NRW beläuft sich der Betrag in diesem Jahr auf 22,1 Millionen Euro. Pfeffer plädierte für Verhandlungen über Vertragsablösungen. Er habe aber den Eindruck, dass die Politik Gespräche seit Jahren scheue, weil diese wegen vieler unterschiedlicher Verträge "hochgradig komplex" werden würden. Zudem sei für die staatliche Seite offenbar nicht kalkulierbar, welche Summen bei Vertragsablösungen fällig würden.
Pfeffer trat für eine weitgehende Transparenz bei den Kirchenfinanzen ein: "Wir haben nichts zu verbergen." Die Kirche horte keine Gelder, "um sich selbst zu vergnügen". Sein Bistum habe inzwischen auf eine doppelte Buchführung umgestellt. Vorher habe die Gefahr bestanden, "von der Hand in den Mund zu leben" und Haushaltstitel "einfach umzuschichten", um Löcher zu stopfen. Spätestens nach dem Finanzskandal im Bistum Limburg stünden alle Diözesen untere Druck, ihre Finanzen offen zu legen. Allerdings werde dies bundesweit sehr unterschiedlich gehandhabt, so Pfeffer. Die katholische Kirche in Deutschland sei "kein monolithischer Block".
Auch über Bekenntnisunterricht gesprochen
Ein weiteres Thema während des Kongresses war der Bekenntnisunterricht. Inhalte einer Religion könnten nur authentisch von Menschen vermittelt werden, "die auch in einer Beziehung dazu stehen", erklärte der Kirchenrat der Evangelischen Kirche im Rheinland, Rafael Nikodemus. Die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) bekannte sich ebenfalls zum konfessionellen Religionsunterricht. Zugleich seien "Formen des Miteinanders" anzustreben, bei denen Schüler die Gemeinsamkeiten der Religionen entdecken sowie ihre Unterschiede "respektieren und wertschätzen lernen".
Die Ministerin verteidigte die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen in NRW. Ein Drittel der Schüler in NRW seien inzwischen Muslime. Nach Einführung des islamischen Bekenntnisunterrichts habe sie die Erfahrung gemacht, dass viele Eltern mit ihren Kindern jetzt auf Deutsch über ihre Religion redeten und auch vermehrt das Gespräch mit ihren Nachbarn suchten, um Vorurteile und Missverständnisse abzubauen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, trat ebenfalls energisch dafür ein, den Bekenntnisunterricht beizubehalten und nicht durch einen Ethikunterricht zu ersetzen. Der Zentralratschef wies öffentliche Forderungen nach einem "liberalen Islam" zurück. Über die Ausrichtung müsse "die islamische Community selbst entscheiden". (mit Material von KNA)
Von Björn Odendahl