Papst-Gesandter Zuppi trifft Selenskyj: Gespräche über Friedensgipfel
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Dienstag den Papst-Sondergesandten Kardinal Matteo Zuppi empfangen. Im Mittelpunkt der Begegnung habe die Lage im Land und eine Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Heiligen Stuhl bei der Umsetzung einer ukrainischen Friedensformel gestanden, teilte die Präsidentenkanzlei in Kiew mit. Selenskyj betonte demnach, dass eine Waffenruhe und das Einfrieren des Konflikts nicht zum Frieden führten. Er sprach sich für einen "globalen Friedensgipfel" aus, an dem möglichst viele Länder, insbesondere aus dem globalen Süden, teilnehmen sollten.
Zuppi habe Selenskyj einen Brief von Papst Franziskus übergeben, hieß es. Der Präsident betonte indes, Russland würde eine Waffenruhe nutzen, um seine Fähigkeiten auszubauen, "um eine neue Welle von Verbrechen und Terror durchzuführen". Moskau müsse alle seine Truppen aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet abziehen. Selenskyj forderte, Russland diplomatisch zu isolieren und Druck auf Moskau auszuüben, damit es zu einem gerechten Frieden komme.
Selenskyj: Algorithmus zur Erreichung des Friedens kann nur ukrainisch sein
Der Präsident rief den Vatikan auf, zur Umsetzung des ukrainischen Friedensplans beizutragen. "Wir begrüßen die Bereitschaft anderer Staaten und Partner, Wege zum Frieden zu finden, aber da der Krieg auf dem Territorium der Ukraine weitergeht, kann der Algorithmus zur Erreichung des Friedens nur ukrainisch sein", so das Staatsoberhaupt. Er ergänzte, dass der Heilige Stuhl einen wirksamen Beitrag zur Freilassung von ukrainischen Gefangenen, zur Rückkehr von nach Russland verschleppten Kindern und zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit leisten könne.
Zuppi drückte laut der Präsidentenkanzlei die Solidarität von Papst Franziskus mit dem ukrainischen Volk aus und versicherte, dass der Heilige Stuhl bereit sei, sich an der Suche nach Wegen zur Umsetzung humanitärer Initiativen zu beteiligen.
Zuppi war Ende Mai vom Papst zum Leiter einer vatikanischen Friedensmission ernannt worden. Deren Ziel ist es, Spannungen zwischen Kiew und Moskau abzubauen und Wege zum Frieden aufzuzeigen. Der 67-Jährige ist eng mit der Gemeinschaft von Sant'Egidio verbunden, die für den Vatikan schon wiederholt in delikaten Vermittlerfunktionen bei internationalen Konflikten tätig war.
Der Papstgesandte hatte am Montag die Stadt Butscha bei Kiew besucht. Dort töteten russische Truppen bis zu ihrem Abzug Anfang April 2022 laut der ukrainischen Staatsanwaltschaft etwa 400 Zivilisten. Der Kardinal besichtigte eine Kirche in Butscha, in der Kriegsverbrechen dokumentiert werden. An einem Gedenkort für die Opfer stellte er ein Grablicht ab.
In Kiew sprach Zuppi am Montag auch mit dem Menschenrechtsbeauftragten des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinets, und dem Gesamtukrainischen Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Bei der Unterredung mit Lubinets ging es auch um die Rückführung von ukrainischen Kindern, die nach Russland verschleppt wurden. Nach früheren Angaben Kiews wurden mehr als 10.000 ukrainische Kinder aus den von russischen Truppen besetzten Gebieten des Landes entführt.
Unterdessen haben zahlreiche Kirchenvertreter die Zerstörung des Kachowka-Staudamms nahe dem ukrainischen Cherson kritisiert und schwere Vorwürfe gegenüber Russland erhoben. Das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius, twitterte als Reaktion auf die Zerstörung des Staudamms: "Für das Leid, das vergossene Blut und den Tod Unschuldiger erwartet den Kreml-Tyrannen und alle, die seine verbrecherischen Befehle befolgen, die Verfluchung und die ewige Verdammnis mit dem Teufel und seinen Dienern." Die Überflutung der Region stelle eine tödliche Gefahr für Hunderttausende Menschen dar, schrieb er.
Der griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk warf Russland vor, "seine Völkermord-Aggression" fortzusetzen. Die Zerstörung des Wasserkraftwerks mit dem Staudamm sei ein "weiteres Kriegsverbrechen", so das Oberhaupt der mit Rom verbundenen Kirche auf Facebook. Die römisch-katholische Kirche in der Ukraine schrieb auf Twitter, Russland habe das Wasserkraftwerk gesprengt: "Der Terrorist nutzt jede Methode, um seine Ziele zu erreichen." Die Religionsgemeinschaften riefen zum Gebet für alle Menschen auf, die jetzt in Gefahr seien.
Caritas international leitete erste Hilfsmaßnahmen ein
Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, den Staudamm in der Region Cherson im Südosten der Ukraine zerstört zu haben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will Informationen darüber haben, dass russische Einheiten den Staudamm in der Nacht zum Dienstag gegen 02.50 Uhr gesprengt hätten. Das am Stausee gelegene Atomkraftwerk Saporischschja wird wie das Wasserkraftwerk mit dem Staudamm seit mehr als einem Jahr von den Russen kontrolliert.
Caritas international leitete erste Hilfsmaßnahmen in dem betroffenen Gebiet ein. Die Organisation rechnet damit, dass viele Menschen nach Odessa fliehen wollen. Der größte Hilfsbedarf besteht demnach bei Trinkwasser, Nahrung und Unterkünften. Das Ausmaß der Katastrophe zu erfassen, hält das katholische Katastrophenhilfswerk aktuell für sehr schwierig. Als direkt gefährdet gelten 16.000 Menschen. (cbr/KNA)
06.06.23, 18.25 Uhr: Ergänzt um weitere Informationen zur Reise Zuppis.