Impressionen vom Ökumenischen Kirchentag in Osnabrück

Wenn der Verteidigungsminister für einen vollen Dom sorgt

Veröffentlicht am 18.06.2023 um 15:55 Uhr – Von Roland Juchem (KNA) – Lesedauer: 

Osnabrück ‐ Osnabrück feiert 375 Jahre Westfälischen Frieden. Weil das 1648 auch ein Religionsfriede war, organisierten die Kirchen einen Kirchentag. Tausende Christen suchten und diskutierten über "Wege des Friedens".

  • Teilen:

"Erzählen Sie das den Menschen in Butscha. Da kriege ich Zornestränen in die Augen ..." Für einen Moment ringt Boris Pistorius am Samstagnachmittag im voll besetzten Osnabrücker Dom mit der Fassung. Gewaltfreier Widerstand in der Ukraine? "Ich kann nicht, sorry!" Das provozierende Stichwort kam vom langjährigen Generalvikar des Bistums Osnabrück, Theo Paul. Der sogleich klarstellt: Er wolle den Ukrainern angesichts russischer Angriffe nicht zu gewaltfreiem Widerstand raten. Aber man solle zumindest zur Kenntnis nehmen, dass es so etwas in der Ukraine vereinzelt auch gebe. "Warum sind wir heute bereit, einer anderen Logik – jener der Waffen – so gerne zu folgen?", fragt Paul bei der Diskussion über "die Politik, die Kirchen und der Krieg". "Es gibt auch andere Wege; sonst kommen wir aus dieser Sackgasse nicht wieder heraus", mahnt er. Wie beim Kirchentag in Nürnberg äußern sich Kirchenvertreter, oftmals aktive Mitglieder der Friedensbewegung der 1980er-Jahre, am Wochenende beim Ökumenischen Kirchentag in Osnabrück vorsichtiger. "Was ich in der Ukraine erlebt habe, macht mich noch unsicherer bei Ratschlägen", gesteht Hannovers evangelischer Landesbischof Ralf Meister. Im Moment könne er Ukrainern gegenüber noch nicht über Versöhnung sprechen.

Beim ökumenischen Abschlussgottesdienst mit gut 1.000 Menschen auf dem Marktplatz am Sonntag warb der katholische Weihbischof Johannes Wübbe noch einmal für Versöhnung und Friedensgespräche, "auch wenn der Weg nicht immer sofort klar ist". Christen dürften vertrauen: "Gott gibt den Menschen nicht auf; er vertraut darauf, dass sich Wege der Hoffnung und des Friedens zeigen".

Kirchen noch Partner für die Politik?

Im Dom waren Pistorius und Altbundespräsident Christian Wulff auch gefragt worden, ob sie die austrittsgeschwächten Kirchen noch als Partner für die Politik und Stütze der Gesellschaft erlebten. Ja, lautet die klare Antwort. Ohne die großartige Arbeit kirchlicher Institutionen und das Engagement zahlreicher Christen könnten viele Herausforderungen nicht gestemmt werden. Den Einwand, oft beschäftigten die Kirchen sich zu viel mit sich selbst, relativierte Theo Paul. Es gebe eben auch Probleme, die dringend angegangen werden müssten. Das war auch auf den Missbrauchsskandal gemünzt, dem der Kirchentag drei gute besuchte Veranstaltungen widmete.

Bild: ©picture alliance/Geisler-Fotopress/Christoph Hardt (Archivbild)

Karl Haucke berichtete über seine Leidensgeschichte als elfjähriger Schüler in einem katholischen Internat.

Am Vormittag berichtet in der "Lagerhalle", einem Kulturzentrum, Karl Haucke, Betroffener sexuellen Missbrauchs, vor gut 70 Zuhörern über seine Leidensgeschichte als elfjähriger Schüler in einem katholischen Internat. Neben Kritik an schleppender Aufarbeitung und mangelndem Reformwillen der katholischen Kirche ging es in einer Podiumsdiskussion auch um die evangelische Kirche. Deren systemische Ursachen für sexualisierte Gewalt, so Landesbischof Meister, seien andere. Anders als in der katholischen Kirche mit Zölibat und zentralisierter Macht sei die evangelische Kirche stolz auf ihre Freiheit. Leider habe eine "groß herausgekehrte" Freiheit, auch nicht erlaubte Dinge zu tun, eine Übergriffskultur begünstigt, die noch aufgearbeitet werden müsse. Bereits am Freitagabend hatten Mitglieder der Gruppe zentral vor der Rathaustreppe eine Mauer symbolischer Steine errichtet, die das Leben Betroffener belasten und verbauen.

In der evangelischen Marienkirche nebenan, bei einer Nacht der offenen Kirchen, berichteten ein junger Syrer und ein Afghane von ihrer Flucht nach Deutschland. Unter anderem trugen sie ihre Erfahrungen in Gedichten in arabischer und persischer Sprache vor, die anschließend übersetzt wurden. Insgesamt zählten die Veranstalter am Freitagabend rund 4.000 Besuche. Auch am Samstag seien einige Tausend zu den rund 100 Angeboten in der Innenstadt gekommen.

Ein "starkes Zeichen und ein Novum"

Über sozialverträgliches ökologisches Wohnen als "Klimaschutz, der allen nutzt" etwa unterhält sich am Samstagnachmittag Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) mit Vertretern der Caritas und der katholischen Wohnungsbaugesellschaft Stephanswerk. Angesichts der Debatten um das geplante Heizungsgesetz ein brisantes Thema, das entsprechend große Resonanz findet.

Am Samstagabend predigten bei Gottesdiensten in vier Kirchen Vertreter einer jeweils anderen Kirche. Zudem waren offiziell Mitglieder anderer Konfessionen zur katholischen Eucharistie oder dem evangelischen Abendmahl eingeladen. Dies sei ein "starkes Zeichen und ein Novum" gewesen, so der evangelische Superintendent Joachim Jeska. In einer katholischen Eucharistiefeier die Eucharistie gereicht zu bekommen, "war ein Höhepunkt in meinem Leben in der Kirche", bekannte er am Sonntagmorgen. Der Kirchentag endete mit jenem Choral, der auch vor 375 Jahren auf dem Osnabrücker Marktplatz gesungen wurde: "Nun lob, mein Seel', den Herren". Damals, am 25. Oktober 1648, war von der Rathaustreppe aus der Westfälische Frieden verkündet worden. Der erste, diplomatisch ausgehandelte Friede in Europa, so Oberbürgermeisterin Pötter im Vorfeld, der den Kontinent bis heute präge.

Von Roland Juchem (KNA)