Zu viel Brot für die Welt
15.700 Euro sind eine gewaltige Summe. Für 15.700 Euro bekommt man beispielsweise einen solide ausgestatteten Mittelklassewagen oder ein schickes neues Motorrad. Für Prof. Dr. Guido Ritter und Silke Friedrich hat dieser Betrag aber einen ganz anderen, einen symbolischen Wert.
Weniger Brot, Brötchen und Teilchen in den Müll
Die Ernährungswissenschaftler der FH Münster haben sich in den vergangenen beiden Jahren im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Frage beschäftigt, wie effizient Hersteller von Backwaren mit ihren Rohstoffen umgehen.
"Weniger Brot im Mülleimer" lautet der Name des Projekts, das die FH in Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium Nordrhein-Westfalen durchgeführt hat und das nun veröffentlicht wurde. Ritter und Friedrich beschäftigte dabei vor allem eine Frage: Wie lässt sich die Zusammenarbeit zwischen Handwerk, Handel und Verbraucher verbessern, damit weniger Brot, Brötchen und Teilchen im Abfalleimer landen?
Klar ist: Tag für Tag bleibt in deutschen Bäckereien zu viel Ware in den Ablagen liegen. So auch in den fünf handwerklichen Bäckereibetrieben aus dem Münsterland und der Bäckerei aus Hilden, die für die Studie genauer unter die Lupe genommen wurden.
Hier kommen die erwähnten 15.700 Euro ins Spiel – denn diese unglaubliche Summe ist der Gegenwert der Backerzeugnisse, die in jedem dieser Betriebe pro Woche im Müll landen. Noch unglaublicher ist die reine Menge, die unverzehrt entsorgt werden muss: 2,7 Tonnen. Wohlgemerkt pro Woche. In jedem Betrieb.
Preiskampf bei Lebensmitteln
Zahlen, die Benjamin Luig nicht verwundern. Luig ist Referent für Agrarpolitik und Ernährung beim katholischen Hilfswerk Misereor, das sich unter anderem mit der weltweiten Ungleichheit in der Ernährungssituation beschäftigt.
In den vergangenen Jahren habe in Folge des durch größere Einzelhandelsketten geschaffenen Preiskampfes eine "Standardisierung des Lebensmittelkonsums" eingesetzt, so Luig. "Nahrungsmittel werden als quasi jederzeit und allerorten frei verfügbar wahrgenommen." Die Folgen dieser Entwicklungen kritisiert er scharf: "Diese Verschwendung ist angesichts der Tatsache, dass heute über 800 Millionen Menschen hungern, nicht hinnehmbar."
Auch wenn ein Teil des aussortierten Brotes unter Vorbehalt hygienischer Standards an Tafeln weitergegeben und ansonsten auch als Tierfutter oder Heizwert benutzt werden kann, bleibt letzten Endes ein riesiger Lebensmittelüberschuss.
Es gibt Handlungsalternativen
Ritter, Friedrich und ihr Forschungsteam arbeiteten in ihrer Studie daran, diese Situation in den getesteten Bäckereibetrieben zu ändern. Dazu analysierten sie die Prozesse in den Unternehmen und konzeptionierten Handlungsalternativen, die im Anschluss mit Erfolg durchgeführt wurden.
Dazu gehörte auch, das Verkaufspersonal besser zu schulen und es stärker in die Kommunikation mit dem Kunden gehen zu lassen. Denn oft sind die Bedürfnisse der Verbraucher anders, als es die Hersteller erwarten.
„'Gut' kann nicht billig heißen, weil darunter häufig Bauern und Handwerk leiden“
So zeigte eine nicht repräsentative Studie unter knapp 500 Kunden, die das Forschungsteam der FH im Rahmen des Projekts ebenfalls durchführte, dass ein Großteil der Abnehmer – anders als von den Anbietern vermutet – zu später Stunde auch ein kleineres Warenangebot akzeptiert. 91 Prozent der Befragten würden auch zu einer anderen Backware greifen, sollte ihr Lieblingsbrot bereits ausverkauft sein. Weniger ist also oft mehr.
Bauern und Handwerk leiden
Wenn es nach Ritter, Friedrich und ihrem Institut für Nachhaltige Ernährung und Ernährungswirtschaft (iSuN) geht, sollen die Maßnahmen ihres Projektes Schule machen. Am vergangenen Dienstag schlossen sie ihre Studie mit einem Workshop zum Thema ab, bei dem neben den Projektpartnern auch das interessierte Fachpublikum eingeladen war.
Dennoch: Die Verantwortung zum Umdenken liegt nicht nur beim Hersteller. Es ist zugleich der Wunsch des Kunden nach vielfältiger, ständig verfügbarer und billiger Ware, der die Produktion von Back-Müll begünstigt. Benjamin Luig sieht daher auch den Verbraucher selbst in der Pflicht: "'Gut' kann nicht billig heißen, weil darunter häufig Bauern und Handwerk leiden. Wir glauben, dass ‚gut essen‘ auch bedeutet, zu wissen, was man isst und wertzuschätzen, wie es produziert wurde."
Dazu kann auch gehören – ganz im Sinne der Fastenzeit – mal auf die geliebte Plundertasche zu verzichten.
Von Martin Henning