Verweigertes "Nihil obstat" kurialer Einschüchterungsversuch

Solidarität mit Lintner: Theologen fürchten um Wissenschaftsfreiheit

Veröffentlicht am 28.06.2023 um 11:04 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Der Theologe Martin Lintner darf nicht Dekan werden – das verbietet Rom. Fachverbände für Moraltheologie und Sozialethik solidarisieren sich mit ihrem Kollegen. Sie schlagen Alarm: Das Vorgehen des Vatikans beschädige die Theologie als Ganzes.

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Die vatikanische Ablehnung des Brixner Moraltheologen Martin Lintner als Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Brixen stößt bei theologischen Fachverbänden auf Unverständnis und Kritik. Die Verweigerung des "Nihil obstat" für den angesehenen Theologen sei fachlich unangemessen und nicht nachvollziehbar, teilten die Internationale Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik, die Arbeitsgemeinschaft Moraltheologie und die Arbeitsgemeinschaft Christliche Sozialethik am Mittwoch in einer gemeinsamen Stellungnahme mit. Die fehlende Transparenz der Entscheidung und des Verfahrens lasse keine andere Wahl, als in dem disziplinarischen Vorgehen eine kuriale Machtdemonstration zu sehen: "Sie kann in der aktuellen weltkirchlichen Situation nur als Einschüchterungsversuch verstanden werden. Das antidiskursive kuriale Vorgehen, das theologische Forschung und Lehre am Gängelband der Disziplin zu führen trachtet, macht Aufrufe zum Dialog unglaubwürdig."

In der Stellungnahme verteidigen die Fachgesellschaften Lintner und seine Forschung: "Seine Verdienste als Vermittler zwischen wissenschaftlichem Diskurs, konkreten Lebenserfahrungen und gesellschaftlichen Debatten, zwischen Theologie und kirchlicher Lehre, Tradition und notwendiger Innovation stehen außer Frage", heißt es in der Stellungnahme. Das gelte ausdrücklich auch für seine Beiträge zu einer katholischen Beziehungsethik, "die bei den Erfahrungen heutiger Menschen ansetzen und eine verantwortungsvolle Selbstsorge und Beziehungsgestaltung unterstützen". Nach Ansicht der Theologen spiegelten die Positionen Lintner einen breiten Konsens innerhalb der deutschsprachigen Moraltheologie und darüber hinaus: "Seit dem Nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia (2016) finden sie sich zunehmend auch in lehramtlichen Schreiben."  Lintner stehe für eine dialogische theologische Ethik, die sich dem Verstehen menschlicher Lebensvollzüge und der Erschließung des Evangeliums in der Gegenwart verpflichtet weiß, so die Stellungnahme weiter.

"Systemimmanente Verweigerung der Forschungsfreiheit"

2017 hatte Papst Franziskus das kirchliche Hochschulrecht mit der Apostolischen Konstitution "Veritatis gaudium" reformiert. Darin ist festgehalten, dass theologische Fakultäten "kulturelle Laboratorien" seien und sich nach den Kriterien "verantwortungsvoller Freiheit und gegenseitiger Transparenz" im Dialog der Wissenschaften engagieren sollen. Für die Fachgesellschaften sind diese Vorgaben nicht in eins mit der Ablehnung Lintners zu bringen: "Die Beschneidung der institutionellen Selbstbestimmung einer Lehr- und Forschungseinrichtung läuft diesem Anspruch diametral entgegen. Sie widerspricht dem Geist der Einleitung der Apostolischen Konstitution ebenso wie dem Anspruch der Synodalität."

Das Vorgehen des Bildungsdikasteriums missachte die Freiheit der theologischen Wissenschaft und beschädige "einmal mehr das Ansehen der Theologie im Konzert der Wissenschaften massiv". Durch die Vorgaben des kirchlichen Hochschulrechts, dass Dekane durch das Dikasterium "zu ernennen oder wenigstens zu bestätigen" seien, führe zu einer systemimmanenten Verweigerung der Forschungsfreiheit. Wenn die wissenschaftliche Freiheit der Theologie grundsätzlich in Zweifel gezogen und disziplinär beschnitte werde, drohe ernsthafter Schaden für die Theologie.

Kollegium der PTH Brixen steht weiter hinter Lintner

Ebenfalls am Mittwoch wandten sich die Professorinnen und Professoren der PTH Brixen an die Öffentlichkeit und äußerten ihr Unverständnis: "Wir können diese Entscheidung nicht nachvollziehen und bedauern, dass uns die Gründe nicht transparent kommuniziert wurden." Das Kollegium stehe weiter hinter ihrer Wahl zum Dekan und spreche ihm seine volle Solidarität aus in der Hoffnung, "dass sich die gegenwärtigen Irritationen ausräumen lassen". Lintner werde von seinen Kolleginnen und Kollegen als Mensch und Theologe geschätzt: "Wir teilen die Anerkennung, die er in der internationalen Fachwelt genießt. Wir wissen um seine hohe wissenschaftliche Kompetenz im Bereich der Moraltheologie. Wir erleben ihn zugleich als einen kirchlich-loyalen, moderat argumentierenden, stets um den sensus ecclesiae bemühten Theologen."

Am Montag hatte die Hochschule mitgeteilt, dass der vom Hochschulkollegium zum Dekan gewählte Lintner sein Amt nicht antreten darf. "Das hierfür zuständige Dikasterium für die Kultur und die Bildung (ehemals Bildungskongregation) hat dem Diözesanbischof Dr. Ivo Muser mitgeteilt, dass diese Zustimmung wegen Publikationen Prof. Lintners zu Fragen der katholischen Sexualmoral nicht erteilt wird", heißt es in der von Bischof Muser und dem noch amtierenden Dekan Alexander Notdurfter unterzeichneten Mitteilung. Der Katholisch-Theologische Fakultätentag protestierte bereits am Dienstag deutlich gegen die Entscheidung und solidarisierte sich mit Lintner. Er erwarte, dass die Wahl des Theologen zum Dekan durch das Brixner Hochschulkollegium unverzüglich anerkannt werde. Auch der Fakultätentag betonte, dass diese Positionen in der theologischen Ethik als Konsens gälten.

Der Südtiroler Martin Lintner ist seit 2011 ordentlicher Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der PTH Brixen. Der Priester ist Mitglied des Servitenordens. Von 2011 bis 2015 war er Vizepräsident und Präsident der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie, von 2014 bis 2017 Präsident des International Network of Societies for Catholic Theology, von 2017 bis 2021 Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik. In seiner Forschung befasst er sich neben der Sexualmoral auch mit Tierethik. (fxn)

28. Juni 2023, 12.45 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme des Kollegiums der PTH Brixen.