Was hat die Theologie zu Klimakrise und Klimaprotest zu sagen?
Die Klimakrise spitzt sich immer weiter zu: Hitze und Naturkatastrophen – und Politik und Gesellschaft reagieren nur träge. Aktivisten der "Letzten Generation" wollen mit zivilem Ungehorsam den Ernst der Lage deutlich machen. Wie sollen Christinnen und Christen mit solchen Protesten umgehen? Die Bonner Sozialethikerin Anna Maria Riedl hält nichts davon, Protest undifferenziert als "Klimaterrorismus" zu diffamieren. Im Interview mit katholisch.de sieht die Theologin in der Schöpfungsverantwortung ein Konzept, das dabei helfen kann, aus der verfahrenen Situation herauszukommen.
Frage: Frau Professorin Riedl, die "Letzte Generation" klebt sich auf Straßen fest, um gegen träge Klimapolitik zu protestieren. Was hat dazu die christliche Sozialethik zu sagen?
Riedl: Die christliche Sozialethik hat sich mit allen aktuellen Fragen ihrer Zeit auseinanderzusetzen. Dazu gehören natürlich auch Klimafragen: Was drückt sich aus in Protesten? Welche Unzufriedenheit steckt dahinter? Was sind die Sorgen, Nöte, Hoffnungen und Ängste der Menschen unserer Zeit? Die Klimakrise und der Umgang der Gesellschaft damit wirft viele relevante Fragen für die Sozialethik auf: Wie muss Schöpfungsverantwortung aussehen? Welche Protestformen sind legitim? Sind Gesellschaften auf so etwas wie zivilen Ungehorsam angewiesen, um sich weiterzuentwickeln?
Frage: In der Bibel scheint die Antwort zumindest auf die letzte Frage hin ganz einfach zu sein: "Wer sich der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes", heißt es bei Paulus. Damit ist die Frage nach Klimaklebern geklärt. Oder?
Riedl: Dagegen stehen Beispiele etwa aus dem Alten Testament, wenn der Pharao die Tötung der jüdischen Jungen befiehlt und die Hebammen sich weigern. Auch das ist ziviler Ungehorsam: sich zu verweigern, nicht mitzumachen.
Frage: Es braucht Kriterien für die Unterscheidung. Wie ist das bei Klimaklebern: Legitimer ziviler Ungehorsam oder Klimaterrorismus?
Riedl: Ich halte es für sehr weise, dass "Klimaterrorismus" 2022 zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Es ist nicht zielführend, Aktivismus und Terrorismus einfach gleich zu setzen, auch bei radikalen Protestformen. Als Gesellschaft tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir Protest vorschnell kriminalisieren. Da muss auch der Staat genau hinschauen und differenzieren – schließlich geht es den Demonstrierenden um ein hohes Gut, übrigens auch ein rechtlich geschütztes Gut, wie nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat. Radikale Proteste einfach nur unter dem Schlagwort "Terrorismus" abzuhandeln und abzutun, wird dem Ernst der Lage nicht gerecht.
Frage: Was ist der Beitrag der Theologie in der Bewältigung der Klimakrise?
Riedl: Papst Franziskus betont in seiner Enzyklika "Laudato si’", dass es zur Bewältigung der Klimakrise alle Formen des Wissens braucht. Nicht nur die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Klimaforschung, sondern auch traditionelles, kulturelles Wissen – etwa über nachhaltige Landwirtschaft. Was die Theologie beitragen kann, ist die Frage, wie man Sinn generiert, wie man Traditionen in die heutige Zeit übersetzt und wach hält. Die christliche Tradition hat einen großen Fundus an sinnstiftenden Erzählungen, die Gemeinschaft und Verantwortung fördern. In der Theologie kommt es darauf an, christliche Ideen zu befragen, wachzuhalten und ins Heute zu übersetzen – etwa die Schöpfungserzählungen und Schöpfungsverantwortung.
Frage: Nicht alle Menschen sind so religiös musikalisch, dass sie etwas mit dem Begriff "Schöpfung" anfangen können. Was kann dann die Rede von der Schöpfungsverantwortung leisten?
Riedl: Schöpfungserzählungen bieten sich an, weil sie uns von einer allgemeinen menschlichen Erfahrung erzählen, selbst dann, wenn man den jüdisch-christlichen Hintergrund nicht teilt. Sie erzählen uns davon, wie Beziehungen entstehen: Beziehungen von Menschen untereinander, aber auch die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Sie erzählen uns auch davon, wie brüchig diese Beziehungen sind, und wie Menschen mit dieser Brüchigkeit umgehen und trotzdem hoffen. Schöpfungserzählungen brechen einen naiven Fortschrittsoptimismus: Es wird nicht einfach alles von selbst besser. Sie machen deutlich, dass es auf gemeinsames Handeln ankommt, um die Brüchigkeit von Beziehungen und Not zu überwinden. Das ist etwas, was wohl viele Menschen nachvollziehen können, auch wenn sie den religiösen Hintergrund nicht teilen.
Frage: Und wie können Christinnen und Christen das vermitteln? Moralische Appelle von Bischöfen haben zur Zeit nicht die höchste Überzeugungskraft …
Riedl: "Laudato si'" ist ein gutes Beispiel, wie Christinnen und Christen, in diesem Fall der Papst, von der Schöpfung so sprechen können, dass es gehört wird. Die Enzyklika wurde nicht nur in der Kirche gelesen, sie hat Debatten angestoßen, auch über die Theologie hinaus. Überzeugend sind Christinnen und Christen dann, wenn sie sich in die Gesellschaft einbringen: im Beruf, in der Zivilgesellschaft, im Ehrenamt …
Frage: Die Erzählung, dass Robert Habeck in die Heizungskeller steigt und Gasheizungen abklemmt, scheint stärker zu verfangen als der Verweis auf Schöpfungsverantwortung. Warum?
Riedl: Solche Erzählungen, so falsch sie auch sind, werden laut und überzeugt vorgetragen, sie spielen mit Ängsten. Es ist einfacher, mit den Ängsten der Menschen zu spielen als ein Verantwortungsgefühl zu wecken. Das Gefühl, dass ich mich ändern muss, dass mir etwas weggenommen wird, ist stark. Das ist eine Angst, die man ernst nehmen muss. Sicher ist aber: Wir werden nicht darum herumkommen, dass sich etwas transformiert und ändert. Die Frage ist nur: Ändert es sich über unsere Köpfe hinweg, weil die Klimakrise die Änderung bringt, oder können wir gemeinsam gestalten, wie sich unser Leben verändert. Die Theologie und das Christentum überhaupt können da keine bequemen Antworten geben. Aber sie müssten eigentlich aus der eigenen Erfahrung dabei helfen können, solche Krisen und Spannungen lebbar zu machen. Das Christentum ist geprägt von der Spannung, dass das Reich Gottes schon da ist und zugleich noch nicht da ist, dass man auf einem ungewissen Weg ist, aber mit Hoffnung. Das wäre eine Haltung, die auch in der Klimakrise helfen könnte.
Frage: Ist das nicht sehr optimistisch angesichts massiver gesellschaftlicher Konflikte um Klimapolitik?
Riedl: Vor 200 Jahren hat der spanische Maler Francisco Goya sein Bild "Duell mit Knüppeln" gemalt: Zwei Männer schlagen mit Stöcken aufeinander ein, und über ihrem Kampf bemerken sie nicht, dass sie beide im Treibsand versinken. Dieses alte Bild ist eine gute Illustration der aktuellen Konflikte und steht heute sinnbildlich für die großen Herausforderungen der Menschheit: Wir müssen künftig die soziale Frage als geo-soziale Frage diskutieren. Es geht nicht nur um das Verhältnis von Menschen untereinander, sondern auch um das Verhältnis von Mensch und Natur. Das wird die Sozialethik in den nächsten Jahren und Jahrzehnten massiv prägen – auch in der Arbeitsweise: Interdisziplinäres Arbeiten, der Dialog von Geistes-, Sozial-, und Naturwissenschaften wird immer wichtiger. Und aus dieser Perspektive gilt es dann in der Theologie, die eigene Tradition zu befragen.
Frage: Was ist die Rolle der Kirche beim heutigen "Duell mit Knüppeln"? Einen der Kämpfer bestärken, weil er auf der richtigen Seite streitet? Frieden zwischen den Kämpfern stiften? Oder auf den Treibsand hinweisen?
Riedl: Frieden stiften ist wichtig. Aber auf die richtige Weise. Ich glaube nicht, dass man dauerhaft Frieden stiften kann, wenn man Konflikte und Missstände unter den Tisch kehrt. Auch hier ist “Laudato si'” ein gutes Vorbild: Dort werden Probleme deutlich beim Namen genannt, Menschen in die Verantwortung genommen und die Hoffnung gegen die Resignation stark gemacht, dass sich eh nichts mehr ändern ließe.