"Es denken ja auch Caritas-Mitarbeiter über einen Austritt nach"

Caritaspräsidentin: Kirchenaustrittswelle setzt uns schwer zu

Veröffentlicht am 06.07.2023 um 09:36 Uhr – Lesedauer: 

Passau ‐ Früher habe sich die Arbeit bei der Caritas so angefühlt, dass man auf der Seite der Guten stehe, sagt Eva Maria Welskop-Deffaa. "Jetzt fragt auf einmal der Nachbar, warum man noch bei der Kirche beschäftigt ist. Das ist eine kalte Dusche."

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Die Kirchenaustrittswelle macht auch der Caritas schwer zu schaffen. Sie sei "das Thema schlechthin bei uns", sagte die Präsidentin des katholischen Wohlfahrtsverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview der Mediengruppe Bayern. "Viele unserer langjährigen Mitarbeiter sind eigentlich daran gewöhnt, dass sie nicht begründen müssen, warum sie bei der Caritas arbeiten. Es hat sich immer so angefühlt, dass man hier auf der Seite der Guten steht. Jetzt fragt auf einmal der Nachbar, warum man noch bei der Kirche beschäftigt ist. Das ist eine kalte Dusche."

Welskop-Deffaa fügte hinzu, der sprunghafte Anstieg auf bundesweit mehr als 520.000 Austritte im vergangenen Jahr habe "selbst sehr gut informierte Kreise überrascht". Sie frage sich schon, "wie lange die Einnahmen durch die Kirchensteuer noch ausreichen, um die Co-Finanzierung unserer Einrichtungen und Dienste zu gewährleisten". Mehr als um das Geld sorge sie sich aber darum, "wie wir das Engagement der Mitarbeiter für die Caritas erhalten können, wenn sie sich in der Kirche nicht mehr zu Hause fühlen. Es denken ja auch Caritas-Mitarbeiter über einen Austritt nach". Die Caritas beschäftigt nach eigenen Angaben in etwa 25.000 Einrichtungen bundesweit knapp 700.000 Menschen.

Sorge wegen wachsender Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland

Weiter zeigte sich Welskop-Deffaa besorgt wegen einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland. Dies betreffe vor allem "die großen Unterschiede bei den vererbten Vermögen", sagte sie. "Überspitzt könnte man sagen: Die Menschen im Osten erben nichts, denn hier wurde seit dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte kein Vermögen in privater Hand gebildet", so die Caritaspräsidentin. "Es macht einen erheblichen Unterschied für die individuelle Einkommenserwartung, wenn man als junger Mensch weiß, dass Eltern oder Großeltern ein Haus am Starnberger See besitzen oder nicht. Darin steckt sozialer Sprengstoff."

Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2021 profitieren davon vor allem Menschen, die bereits vermögend sind. (tmg/KNA)