Bibel in Leichter Sprache: Eigenständiger Zugang zur Heiligen Schrift
Viele Menschen haben Probleme, bestimmte Abschnitte der Heiligen Schrift zu verstehen. Menschen mit Behinderungen stehen vor noch größeren Herausforderungen beim Verständnis der Bibel. Das Bibelwerk hat deshalb die Sonntagsevangelien in Leichte Sprache übersetzt. Nun sollen Texte des Alten Testaments folgen. Was Leichte Sprache ausmacht, worauf bei der Übertragung geachtet werden muss und was das mit Theologie zu tun hat, erklärt die zuständige Referentin beim Bibelwerk, die Theologin Lara Mayer, im Interview mit katholisch.de.
Frage: Was sind die Kennzeichen der Leichten Sprache?
Mayer: Leichte Sprache ist ein besonderes Sprachkonzept, das von Menschen aus der Praxis entwickelt wurde. Es geht darum, eine Sprache zu haben, die so verständlich ist, dass sie von allen verstanden wird – insbesondere von Menschen mit Beeinträchtigungen, von Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen oder von Demenzkranken. Kennzeichen sind etwa sehr kurze Sätze oder der weitgehende Verzicht auf Fremdwörter. Falls dennoch welche verwendet werden, muss man sie erklären. Es gibt keine langen verschachtelten Sätze, sondern der Aufbau ist ganz einfach. Subjekt, Prädikat und Objekt reichen meist aus.
Frage: Die Zielgruppe scheint relativ groß zu sein. Wie bekommen Sie die Bedürfnisse dieser sehr unterschiedlichen Menschen mit Blick auf die Sprache unter einen Hut?
Mayer: Das ist die Schwierigkeit von Leichter Sprache, denn die Zielgruppe ist in der Tat sehr breit. Und natürlich haben auch etwa Menschen mit einer geistigen Behinderung unterschiedliche Bedürfnisse. Da gibt es große Unterschiede. Einige Menschen benötigen also die sehr leichte Form und es gibt andere, für die das zu einfach ist. Es ist schwierig, die Bedürfnisse dieser vielen Zielgruppen genau zu treffen. Deshalb ist es für die Menschen, die mit Leichter Sprache arbeiten, von großer Bedeutung, die Übertragung an ihre konkrete Zielgruppe anzupassen. Die Praktiker wissen am besten, was von den Menschen, mit denen sie arbeiten, gut verstanden wird. Deshalb ermutigen wir immer dazu, unsere Texte entsprechend anzupassen. Leichte Sprache hat zwar ein festes Regelwerk, an das wir uns weitgehend halten, aber gerade bei Bibeltexten sind diese Regeln nicht immer eins zu eins umsetzbar.
Frage: Gibt es eigene Übersetzer für Leichte Sprache?
Mayer: Abgesehen von den Bibeltexten gibt es Übersetzungsbüros für Leichte Sprache, weil mittlerweile viele Behörden verpflichtet sind, Informationen in Leichter Sprache bereitzustellen.
Frage: Will sich die Kirche da anschließen?
Mayer: Wir brauchen Bibeltexte in Leichter Sprache, weil auch für die Kirche das Thema Inklusion immer bedeutsamer wird. Es ist uns einfach wichtig, allen Menschen den Zugang zu den Texten der Bibel zu erleichtern. Sie sind auch für Menschen, die nicht auf Leichte Sprache angewiesen sind, teilweise schwer zu verstehen. Aber etwa im Gottesdienst hören viele einfach darüber hinweg. Die meisten Menschen stören sich nicht daran, wenn sie mal etwas nicht verstehen. Das ist bei Menschen mit einer Behinderung anders. Sie wollen gerne alles verstehen und hängen sich sehr wohl daran auf, wenn das nicht klappt. Schon wenn sie ein Wort nicht verstehen, ist es für sie schwierig, sich dessen Bedeutung aus dem Zusammenhang zu erschließen. Auch diesen Menschen wollen wir einen eigenständigen Zugang zur Bibel ermöglichen, sodass sie nicht unbedingt jemanden brauchen, der ihnen die Texte erklärt. Hierbei geht es also auch um Selbstbefähigung. Deshalb wurde vor mittlerweile zehn Jahren das Projekt "Evangelium in Leichter Sprache" gestartet – eine Kooperation zwischen dem Katholischen Bibelwerk in Stuttgart, der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg und Schwester Paulis Mels. Mittlerweile sind alle Evangelien der Sonn- und Festtage in Leichte Sprache übertragen. Seit November letzten Jahres läuft deshalb ein neues Projekt, bei dem nun Texte aus dem Alten Testament in Leichte Sprache übertragen werden.
Frage: Gibt es ein besonders eindrückliches Beispiel aus der Bibel für das, was Leichte Sprache bedeutet?
Mayer: Einige Schwierigkeiten bei Bibeltexten sind etwa, dass sehr viel erklärt werden muss, sie viele abstrakte Begriffe enthalten und nicht immer klar sind – aber Leichte Sprache muss eindeutig sein. Ein schönes Beispiel ist ein sehr bekannter Vers aus dem Markusevangelium, der in der Einheitsübersetzung lautet: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium." (Mk 1,15) Mit diesem Vers gibt es viele Probleme mit Leichter Sprache: Was bedeutet es, dass die Zeit erfüllt ist? Was ist überhaupt das Reich Gottes? Was heißt umkehren? Wovon soll man umkehren und warum? Was ist das Evangelium? Bei der Übertragung in Leichte Sprache müssen wir uns zunächst Gedanken darüber machen, was damit gemeint ist und das anschließend konkret ins Wort bringen. Unsere Übersetzerin hier ist Schwester Paulis Mels, die für unsere Internetseite "Evangelium in Leichter Sprache", die Texte übertragen hat. Sie arbeitet schon sehr lange mit Leichter Sprache und hat den Vers so übersetzt: "Jesus sagte: Freut Euch. Gott will, dass alles in der Welt gut wird. Ihr dürft Gott dabei helfen, macht Euch bereit zum Helfen. Gott braucht Euch." Auf den ersten Blick hat das nicht mehr viel mit dem Vers aus der Einheitsübersetzung zu tun. Das liegt daran, dass der Vers exformiert wurde: Das, was nicht explizit dasteht, aber implizit mitgemeint ist, wird ausgedrückt. Aus dem Evangelium hat Schwester Paulis die Frohe Botschaft gemacht und das wieder in den Ausdruck "Freut Euch" übersetzt. Die Aussage "Das Reich Gottes ist nahe" wurde dahingehend konkretisiert, dass Gott will, dass alles gut wird. Und der letzte Teil wurde damit umschrieben, dass man sich bereitmachen soll zum Helfen und Gott uns braucht.
Frage: Sie müssen bei der Übertragung also die Kernaussage des Textes finden. Das kommt mir wie genuine theologische Arbeit vor.
Mayer: Das ist genau das wichtige. Natürlich kann man uns vorwerfen, dass wir den Bibeltext mit unserer Übersetzung verfremden. So wirkt es vielleicht auf den ersten Blick. Doch die Übertragung in Leichte Sprache hat weiterhin viel mit dem eigentlichen Bibeltext zu tun, denn bei der Leichten Sprache geht es inhaltlich genau darum: herauszufinden, worum es im Text geht. Man muss sich den Text anschauen und dann aber nicht Vers für Vers übersetzen, sondern schauen, was die Botschaft dahinter ist. Es ist also keine leichtfertige Übersetzung, sondern man muss sich intensiv mit dem Text beschäftigen und sich mit anderen darüber austauschen. Es ist uns sehr wichtig, dass die Texte theologisch verantwortet sind.
Frage: Aber bei der Übersetzung geht doch etwas vom Gehalt des biblischen Textes verloren, oder?
Mayer: Das passiert mit Sicherheit. Die biblischen Texte leben davon, dass sie sehr viel offenlassen und unkonkret sind. Sie benutzen Begriffe, die nicht immer ganz klar sind. Das müssen wir in der Leichten Sprache um der Verständlichkeit willen herausnehmen. Und sicher: Es gäbe noch zig andere Möglichkeiten, den Vers zu übersetzen, um andere Bedeutungsnuancen auszudrücken. Deshalb sprechen wir auch nicht vom Übersetzen in Leichte Sprache, sondern vom Übertragen. Wir suchen nicht für jedes Wort ein anderes, sondern schauen, wie wir einen Sinn des Textes in Leichte Sprache übertragen können. Das bedeutet, Entscheidungen zu treffen und eine Deutung auszuwählen. Unter Umständen heißt das bei sehr langen Texten, Aspekte wegzulassen.
Evangelium in Leichter Sprache
Auf der Internetseite "Evangelium in Leichter Sprache" können die übersetzten Sonntagsevangelien gelesen werden. Das Projekt "Evangelium in Leichter Sprache" ist eine Kooperation des Katholischen Bibelwerks in Stuttgart mit der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg und dem Katholischen Bibelwerk im Erzbistum Bamberg.
Frage: Wie werden die Bibeltexte in Leichter Sprache in der Kirche angenommen?
Mayer: Wir hören von vielen Menschen, dass sie sehr gut angenommen werden. Tatsächlich werden die Texte teilweise auch für Kinder verwendet, wobei wir dazu sagen, dass sie für Kinder meist etwas zu einfach sind. Wir raten dazu, die Texte an die Zielgruppe anzupassen. Oft bekommen wir das Feedback, dass das Evangelium in Leichter Sprache auch für Menschen hilfreich ist, die nicht darauf angewiesen sind, weil man so einen ganz anderen Blick auf den Text bekommt und vielleicht Aspekte wahrnimmt, die man in der Einheitsübersetzung nicht sehen würde. Eingesetzt werden die Texte hauptsächlich bei Gottesdiensten und in der Seelsorge für Menschen mit Behinderungen, aber auch in Grund- und Förderschulen sowie bei Kinder- und Familiengottesdiensten.
Frage: Vor kurzem gab es eine Tagung zu Leichter Sprache und Bibel in Nürnberg, die Sie mitorganisiert haben. Welche Themen kamen dort zur Sprache?
Mayer: Es ging unter anderem darum, neue Anregungen zu bekommen, wie man mit den Bibeltexten in Leichter Sprache weiterarbeiten kann. Die vorherige Tagung zum Thema war vor fünf Jahren und ich habe gehört, dass es damals noch viel mehr um die Frage ging, ob wir überhaupt Leichte Sprache in der Kirche verwenden sollten. Das war jetzt überhaupt kein Thema mehr. Die Verwendung von Leichter Sprache in der Kirche hat sich eindeutig etabliert. Die Tagung ist auch ein Vernetzungstreffen, bei dem sich über weitere Projekte mit Leichter Sprache ausgetauscht wird. Die Teilnehmer erzählen aus ihrer seelsorglichen Praxis. So ging es etwa auch um Gottesdienste oder Gesang in Leichter Sprache. Aber es war auch Thema, wie man mit Menschen mit Behinderung zu Heilungsgeschichten arbeiten kann. Dabei wird oft suggeriert, dass Jesus alle gesund mache und es dann auch im Himmel keine Behinderungen mehr gebe. Viele Menschen mit Behinderungen sagen aber, dass ihre Beeinträchtigung zu ihrer Identität gehört. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass sie sich im Himmel beispielweise ohne ihren Rollstuhl befinden werden. Ein solches Verständnis der biblischen Heilungserzählungen kann dazu führen, Menschen mit Behinderungen herabzuwürdigen. Da braucht es ein anderes Verständnis.
Frage: Welche Rückmeldungen zu Bibeltexten in Leichter Sprache bekommen Sie von den Menschen, für die die Texte tatsächlich übertragen werden?
Mayer: Von den Menschen mit Behinderungen erhalten wir sehr positive Rückmeldungen. Ich muss dazu sagen, dass die Menschen aus unseren Zielgruppen schon bei der Entstehung der Texte beteiligt werden. Eine Voraussetzung von Leichter Sprache ist, dass die Texte von der Zielgruppe selbst geprüft werden. Wenn die Bibeltexte übersetzt sind, werden sie dazu als erstes an Menschen mit Behinderungen weitergegeben. Manchmal gibt es die Rückmeldung, dass bestimmte Sätze immer noch zu schwierig sind, manchmal aber auch, dass sie zu leicht zu verstehen sind. Ich denke, unsere Arbeit ist sehr wichtig für Menschen mit Behinderung. Das hat uns ein Erlebnis vom Katholikentag im vergangenen Jahr gezeigt: Ein Mann, der offensichtlich eine Behinderung hatte, kam an unseren Stand, nahm sich ein kleines Evangelium in Leichter Sprache und las laut daraus vor. Dann nahm er sich ein andres Evangelium und las mit Begeisterung ebenfalls laut daraus – für uns als Team, das alles mitverfolgte, war diese Freude sehr beeindruckend und bewegend.