Kirchenmusiker will Bedenken ernst nehmen – und weiter singen

"Laudato si": Rettet ein neuer Text das Lied des Missbrauchstäters?

Veröffentlicht am 17.07.2023 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Köln ‐ Generationen von Jugendlichen sangen begeistert "Laudato si". Dass sein Dichter Winfried Pilz ein Missbrauchstäter ist, wurde erst im vergangenen Jahr bekannt. Wie geht man damit um? Ein Kölner Kirchenmusiker schlägt eine Lösung vor.

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Kann man heute noch unbeschwert "Laudato si" singen? Das Lied mit dem an den Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi angelehnten Text und der mitreißenden Melodie hat Generationen von Jugendlichen begeistert. Doch im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass der Urheber des Textes und "Entdecker" der Melodie, Winfried Pilz, in den 1970er-Jahren einen jungen Mann missbraucht haben soll – ob der Betroffene minderjährig war, konnte nicht mehr festgestellt werden. Später meldeten sich noch weitere Betroffene mit weiteren Vorwürfen. Gegen Pilz, den langjährigen Jugendseelsorger und Präsidenten der Sternsinger, hatte das Erzbistum Köln im Geheimen Sanktionen erlassen. Sein Werk bleibt aber noch: Neben "Laudato si" wurde bis vor kurzem an seiner alten Wirkungsstätte, dem Jugendhaus Altenberg bei Köln, das Altenberger Wallfahrtslied "Nun, Freunde, fangt zu singen an" gesungen.

Über den Umgang mit dem Werk von Missbrauchstätern und -beschuldigten hat sich eine Debatte entwickelt. "Das Lied eines Missbrauchstäters im Gottesdienst – eine Zumutung", schrieb die Würzburger Theologin Hildegund Keul in einem Gastbeitrag für katholisch.de zum Umgang mit solcher Kunst: "Viele Menschen, die an einem Gottesdienst teilnehmen und Lieder von Pilz singen, wissen vielleicht nichts von seinen Missbrauchstaten und der anschließenden Geheimhaltung, sogar der Strafauflagen. Viele Menschen, die Missbrauch und Vertuschungsgewalt zum Opfer gefallen sind, wissen es aber sehr wohl."

Sternsinger-Präsident Winfried Pilz, Bundeskanzlerin Angela Merkel und BDKJ-Präses Simon Rapp beim Sternsingerempfang im Bundeskanzleramt 2010
Bild: ©Markus Nowak/KNA (Archivbild)

Als Kindermissionswerk-Präsident hatte Winfried Pilz eine große Bühne: Wie hier Angela Merkel empfangen die Kanzler und Bundespräsidenten jedes Jahr die Sternsinger in ihren Amtssitzen. Damals wussten von seinen Taten wahrscheinlich nur seine Opfer.

Offiziell hat sich bisher kein Bistum, auch nicht das Erzbistum Köln, wo Pilz Priester war und lange wirkte, dazu geäußert. Im Altenberger Dom hat man aber schon Konsequenzen gezogen. "In diesem Jahr haben wir uns entschieden, das Wallfahrtslied von Winfried Pilz nicht zu singen", heißt es beim "Altenberger Licht", der jährlichen Jugendwallfahrt der Erzdiözese. Stattdessen werde jetzt die Originalfassung des Wallfahrtslieds aus den Jahren 1935/36 verwendet.

Eklat beim Firmgottesdienst

"Laudato si" wird immer noch gerne gesungen – nicht nur an der alten Wirkungsstätte seines Texters. Das kann zu Konflikten führen, wie Adriano Morea berichtet. Der Kirchenmusiker aus dem Erzbistum Köln berichtet von einer Begebenheit in seiner Pfarreiengemeinschaft. Für den Firmgottesdienst hätten die Firmlinge sich dieses Jahr "Laudato si" gewünscht. "Als aber die ersten Töne erklangen, sind einige Gläubige aufgestanden und haben die Kirche verlassen. Nach der Messe habe ich noch eine heftige Diskussion gehabt und wurde von der ganzen Situation beunruhigt", erzählt Morea. Die Firmlinge waren von der heftigen Reaktion überrascht. Mit dem Hintergrundwissen über Pilz' Taten konnten sie die Reaktion verstehen. In der Gemeinde gibt es keine einheitliche Meinung: Manche wollen das Lied einfach weiter singen, andere teilten die Kritik.

Bei Taufen, wo "Laudato si" zu den beliebtesten Liedern gehört, wird es in Moreas Pfarreiengemeinschaft vorerst nicht mehr gesungen. Aber ganz darauf zu verzichten, greift für den Kirchenmusiker zu kurz – schließlich habe es eine hohe emotionale Bedeutung für viele, die es in den gut fünfzig Jahren seit der Entstehung gesungen haben: "Denn dieses Lied wird von vielen mit positiven Erinnerungen aus der Kindheit assoziiert und deswegen wird es bei Taufen, Hochzeiten und anderen Anlässen ausdrücklich gewünscht." Das Lied komplett abzuschaffen, wäre ihm radikal und einfach. Es würde aber gleichzeitig bedeuten, nicht nur Winfried Pilz in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern auch alle schöne Erinnerungen und Emotionen, die mit diesem Lied entstanden sind, ist Morea überzeugt: "Können wir uns es leisten? Besteht nicht die Gefahr, dadurch die Gläubigen nochmal zu spalten, da jedem etwas anderes am Herzen liegt?"

Fest steht für den Kirchenmusiker, dass es nicht in Frage kommt, einfach weiterzumachen und "Laudato si" wie zuvor im Repertoire zu lassen. Deshalb hat er sich auf die Suche nach einem Kompromiss begeben. Die Melodie, die bei Pilz als "traditionell" bezeichnet wird, soll bleiben. Anstelle des Textes, der unstrittig auf Pilz zurückgeht, setzt Morea aber einen neuen: Immer noch angelehnt an den Sonnengesang des Franziskus, aber näher am Originaltext aus dem 13. Jahrhundert. Statt "Sei gepriesen, du hast die Welt geschaffen" beginnt die erste Strophe in Moreas Text nun: "Dir sei Lobpreis für deine Kreaturen". Statt "denn du bist wunderbar, Herr", enden die Strophen mit "sind Zeichen von deiner großen Gnade", der Refrain bleibt.

"Laudato si" (2023)

Text: Refrain: Hl. Franz von Assisi, Strophen: Adriano Morea, frei nach dem Sonnengesang

Refrain: Laudato si', o mi' Signore, laudato si', o mi' Signore, laudato si', o mi' Signore, laudato si', o mi' Signore.

  1. Dir sei Lobpreis für deine Kreaturen; o du höchster, allmächt'ger guter Vater. Uns hast du, Herr, ins Leben all gerufen, wir sind Zeichen von deiner großen Gnade!
  2. Dir sei Lobpreis dann auch für Bruder Sonne; durch ihn schenkst du das warme Licht des Tages. Er scheint prächtig und wunderbar im Himmel, ist ein Zeichen von deiner großen Gnade!
  3. Dir sei Lobpreis für Schwester Mond und Sterne; sie hast du hoch am Himmelszelt erschaffen. Schön und silbern erhellen sie die Nächte, sind ein Zeichen von deiner großen Gnade.
  4. Dir sei Lobpreis für Bruder Wind, den leisen; er bläst Wolken, wohin sie bestens nutzen. Ob es Regen, Schnee oder schönes Wetter, ist's ein Zeichen von deiner großen Gnade!
  5. Dir sei Lobpreis dann auch für Schwester Wasser, sie ist nützlich und kostbar und ergeben. Teiche, Flüsse und Meere und Kaskaden sind ein Zeichen von deiner großen Gnade!
  6. Dir sei Lobpreis dann auch für Bruder Feuer, durch den du hier die dunkle Nacht erleuchtest; er sprüht Funken, ist fröhlich, warm, gemütlich, ist ein Zeichen von deiner großen Gnade!
  7. Dir sei Lobpreis dann auch für Schwester Erde, sie ernährt uns mit ihren bunten Früchten. Obst, Gemüse und Kräuter auf den Feldern sind ein Zeichen von deiner großen Gnade!
  8. Dir sei Lobpreis für jene, die verzeihen und agieren um deiner Liebe willen. Dass der Frieden sie jederzeit begleitet, ist ein Zeichen von deiner großen Gnade!
  9. Dir sei Lobpreis für Schwester Tod und Leben, auferstehen die einen, die fest glauben. Unser Körper und unsre teure Seele sind ein Zeichen von deiner großen Gnade!

Wie viel von Pilz steckt in der alten Melodie?

"Da die Melodie mündlich überliefert ist, der Refrain direkt vom Sonnengesang stammt und die Strophen von mir verfasst worden sind, hat diese Fassung gar nichts mit Winfried Pilz zu tun", findet der Kirchenmusiker. "Mein Ziel ist, eine Alternative anzubieten, die einerseits den Wunsch nach dem alten schönen Lied unserer Kindheit erfüllt und andererseits Missbrauchsopfer und sensible Menschen in unseren Gemeinden nicht irritiert, sondern ihnen zeigt, dass wir als Kirche - nicht stillschweigend, sondern mit konkreten Stellungnahmen - auch sie berücksichtigen", betont Morea.

Ungeklärt ist, wie viel von Pilz doch in der Melodie steckt. Das räumt auch Morea ein. Der Priester selbst erzählte vom Ursprung seines Liedes 2015 im Interview mit katholisch.de – damals war noch nichts von seinen Taten bekannt – so: 1973 oder 1974 habe er in Rocca di Papa in Italien an einem internationalen Kurs teilgenommen. "Zum Programm gehörte, morgens zu meditieren. Eine Stunde lang. Und als wir da so lagen, versammelte sich auf der Etage über uns eine italienische Jugendgruppe mit Gitarren, und die sangen 'Laudato si'. Am laufenden Band, endlos, während wir so da lagen. Ans Meditieren war da nicht mehr zu denken, aber ich fand es einfach fantastisch. Ich habe es auf ein kleines Fetzchen Papier notiert und mit nach Hause genommen."

Wie nah Pilz an der gehörten Melodie war und wie viel eigene Schöpfung darin steckt, ist nicht mehr festzustellen. Morea, selbst Italiener, sagt jedenfalls, dass er von dem angeblichen traditionellen Volkslied in Italien noch nie etwas gehört hat. Es gibt aber ein Lied der Band "I Cachi D'Aspa" aus der Mitte der 1960er namens "Laudato si" mit einer sehr ähnlichen Melodie. Über die Band und das Lied ist wenig herauszufinden, der große Durchbruch blieb ihnen versagt. "Die Intervallsprünge sind anders, Rhythmus und Text ungefähr derselbe", analysiert Morea: "Es kann sein, dass Pilz sich verhört hat und die Melodie etwas anders notiert hat."

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Mit anderen Kirchenmusikern hat Morea über das Lied und seinen neuen Text schon diskutiert. In der Kirchenmusik-Szene sei "Laudato si" deutlich weniger beliebt als in den Gemeinden. "Die meisten Kirchenmusiker mögen das Lied ohnehin nicht", erzählt Morea, für sie wäre ein völliger Verzicht kein großer Verlust, erst recht kein künstlerischer angesichts der Qualität des Stücks: "Manche sind sogar froh, wenn sie es nicht mehr spielen müssen." In Moreas Gemeinde soll der neue Text aber voraussichtlich bald ausprobiert werden. Hildegund Keul ist von Moreas Lösung nicht überzeugt. "Manchmal muss man einfach verzichten, ganz katholisch", sagt sie knapp zu seiner Idee.

Von Felix Neumann