Was die Kirchenaustritte mit den katholischen Verbänden machen
Was wäre die Kirche in Deutschland ohne ihre Verbände? Nirgendwo auf der Welt prägen und gestalten sie das kirchliche Leben so sehr wie hierzulande. Sie verstehen sich als integraler Bestandteil der Kirche – und können sich deshalb nicht von der Vertrauenskrise lösen, die die Institution seit Jahren im Griff hat. Die Austrittszahlen in Deutschland – 2022 waren es über eine halbe Million Menschen – sorgen auch bei ihnen für Gedankenspiele beim Blick in die Zukunft. Daher suchen sie nach Wegen, um der gesamtkirchlichen Entwicklung zumindest etwas zu trotzen.
Der Blick an die gemeindliche Basis verheißt dabei nicht gerade Gutes. Dass viele kirchlich Engagierte ihre Kirchenmitgliedschaft zunehmend hinterfragen, ist ein Phänomen, dass auch Norbert Michels bestätigt. Der Geschäftsführer des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Köln, einem der Epizentren der kirchlichen Vertrauenskrise, spricht von einem großen Zwiespalt für viele Menschen, weil sie sich zwischen ihrer Heimat im Glauben und ihrer persönlichen Zerrissenheit entscheiden müssen. Er befürchtet ganz konkrete Folgen für die kirchliche Arbeit vor Ort, sollte die Austrittswelle unentwegt weitergehen. So würden beispielsweise Lebensmittelausgaben, Gottesdienstvorbereitungen oder die Arbeit in den Pfarrgemeinderäten große Schwierigkeiten bekommen. "Das kommt dann auch direkt bei den Menschen an, die auf das Engagement angewiesen sind. Gemeinden werden sich dadurch verändern."
"Andere Form des Kirche-Seins"
Auch wenn sie kontinuierlich Leute verlieren – von massiven Mitgliedereinbußen seien die Verbände bislang nicht betroffen, betonen sie. Das führen sie unter anderem auf die Art und Weise zurück, wie kirchliche Gemeinschaft dort gelebt wird – oder wofür der jeweilige Verband einsteht. Die Bundesvorsitzende der katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), Mechthild Heil, betont hierbei den Einsatz für Gleichberechtigung, Gleichstellung und Nachhaltigkeit. Bei den Jugendverbänden ist es laut Gregor Podschun, Vorsitzender des Bunds der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), eine "andere Form des Kirche-Seins" als die traditionelle Amtskirche: "Wir kommunizieren und diskutieren demokratisch, partizipativ, selbstbestimmt, selbstorganisiert und geschlechtergerecht mit unseren Mitgliedern."
Auch das Kolpingwerk konnte laut eigenen Angaben in den vergangenen Jahren die Kirchenaustritte auffangen und verliert im Vergleich deutlich weniger Mitglieder als die "verfasste" Kirche. Es brachte ein Begleitungs- und Beratungssystem für alle 2.200 Kolpingsfamilien bundesweit auf den Weg, um gemeinsam mit ihnen Perspektiven für die künftige Arbeit vor Ort auszuloten. Zugute kommt dem Verband auch, dass von den 205.000 Mitgliedern fast 34.000 zur Kolpingjugend zählen – also unter 30 Jahre alt sind. Es gibt also auch weiterhin aktiven Nachwuchs im Verband.
Trotz aller Abfederung hat die mit den Austritten verbundene Krise natürlich Auswirkungen auf die konkrete Arbeit in den Verbänden. Alexandra Hörster, Bundesgeschäftsführerin des Kolpingwerks, betont, dass es immer schwerer werde, als katholischer Verband auf sich aufmerksam zu machen, sich von der institutionellen Kirche abzugrenzen und dabei den Menschen dennoch auf Basis des christlichen Wertefundaments Angebote zu machen. BDKJ-Bundesvorsitzender Podschun sagt, die Tatsache, dass die Kirche in der Gesellschaft immer stärker an Relevanz verliere, habe auch Einfluss auf die politischen Netzwerke der Jugendverbandsarbeit. "Wir müssen uns mehr erklären und rechtfertigen, dass wir Teil der katholischen Kirche sind und in welcher Form wir es sind."
Zugehörigkeit zur Kirche reiche schon lange nicht mehr
Bei der kfd überlegt man sich im Blick auf die Austrittszahlen inzwischen sehr genau, was und wie etwas finanziert wird sowie ob und welche Aktionen zur Mitgliedergewinnung durchgeführt werden, betont die Bundesvorsitzende Heil. Man plane einige, aber konzentrierte Projekte und Kampagnen, um die Mitglieder zu halten beziehungsweise neue Mitglieder zu gewinnen. "Denn nur, wer die kfd mit ihren Zielen kennt, wird sich ihr anschließen." Die Zugehörigkeit zur Kirche reiche dabei schon lange nicht mehr.
Diese Überlegungen spiegeln sich auch im Verbandsentwicklungsprozess wider, den die kfd vor einigen Jahren initiiert hat. Dabei hat der Verband auch ausgetretene Frauen als neue Zielgruppe in den Blick genommen. So hat der Bundesverband etwa eine Broschüre mit dem Titel "Auftritt trotz Austritt. Aus der Kirche ausgetretene Frauen finden eine neue Heimat in der kfd" erstellt. Dadurch sollen die Ortsgruppen Anregungen bekommen, auf die ausgetretenen Frauen zuzugehen und für sie spezielle Angebote zu schaffen.
Hier klingt bereits eine Frage an, die viele Verbände aktuell beschäftigt: Kann man auch nach dem Austritt beziehungsweise ohne formale Kirchenzugehörigkeit Mitglied sein? Hier gibt es verbandsübergreifend eine klare Tendenz zum Ja. "Uns haben bereits viele Frauen gefragt, ob sie bei einem Kirchenaustritt trotzdem in der kfd bleiben können. Wir sagen: Unsere Türen stehen jeder Frau offen, die unser Leitbild und die christlichen Werte mitträgt", betont Mechthild Heil. Auch bei den BDKJ-Verbänden sind laut Gregor Podschun immer weniger Mitglieder auch offiziele Mitglieder der Kirche. "In unserem Verständnis sind sie aber Mitglieder der Kirche, weil sie Mitglied des Verbandes sind, denn eine Kirchensteuergemeinschaft ist bei uns kein Kriterium."
Das Kolpingwerk hat sich zu alldem ebenfalls Gedanken gemacht und sein Leitbild überarbeitet: Alle, die das Leitbild bejahen, können Mitglied werden. "So können wir als Verband auch auf spiritueller Ebene generationsübergreifend für Jung und Alt Kirche sein", sagt Bundesgeschäftsführerin Hörster. Auch im Jugendbereich engagiert sich Kolping mit einem breiten Angebot an gesellschaftlichen Themen wie Klimaschutz und Umgang mit Geflüchteten. "Damit schauen wir als Verband angesichts der Kirchenkrise offensiv und hoffnungsvoll nach vorne."
Für die Verbände ist klar: Kirche ist nicht nur die "verfasste" Kirche – und Menschen, die ausgetreten sind, haben oftmals ihren Glauben nicht verloren. Ihnen möchten kfd, BDKJ, Kolping und Co. eine religiöse und spirituelle Heimat bieten. Ein Ankerpunkt für Menschen werden, die sich von der Institution Kirche abwenden – darin könnte ihre Zukunft liegen, hoffen Vertreter der Verbände. Gleichzeitig steht man weiter für Veränderungen in der Kirche ein. Für die Jugendarbeit sagt etwa BDKJ-Vorsitzender Podschun voraus: "Ohne strukturelle Veränderungen der Kirche werden zukünftig mehr junge Menschen die Kirche verlassen und indirekt auch weniger mit christlichen Jugendverbänden in Berührung kommen."