Ordensfrau hatte Hinweistafel zu Verfehlungen von Bischöfen kritisiert

Norpoth "entsetzt" über Kaschner-Text zu Paderborns "Missbrauchstafel"

Veröffentlicht am 18.07.2023 um 13:31 Uhr – Lesedauer: 

Köln/Paderborn ‐ Nach scharfer Kritik der Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz an der neuen "Missbrauchstafel" vor den Bischofsgräbern im Paderborner Dom hat der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, jetzt mit deutlichen Worten geantwortet.

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Der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, hat mit "blankem Entsetzen" auf einen Text der Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, Schwester Anna Mirijam Kaschner, zur Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Paderborn reagiert. Kaschner offenbare darin "nicht nur Ignoranz gegenüber der einschlägigen Forschung, sondern auch Mangel an traumasensiblem Umgang mit betroffenen Menschen", schreibt Norpoth in einem am Dienstag bei domradio.de veröffentlichten Offenen Brief an die Ordensfrau. Sie bringe in ihrem Text eine Haltung zum Ausdruck, "die unsere Kirche genau dahin geführt hat, wo sie sich aktuell befindet: in eine Existenzkrise mit kaum aufzuhaltenden Auflösungstendenzen".

Kaschner hatte am vergangenen Freitag in einem Gastkommentar ebenfalls bei domradio.de die jüngst erfolgte Aufstellung einer Hinweistafel vor den Bischofsgräbern in der neu gestalteten Krypta des Paderborner Doms scharf kritisiert. Auf der Tafel wird an die Verfehlungen der einstigen Paderborner Erzbischöfe Lorenz Kardinal Jaeger (1941-1973) und Johannes Joachim Kardinal Degenhardt (1974-2002) im Umgang mit Missbrauchsfällen erinnert. Beide Bischöfe hätten "während ihrer Amtszeit aus heutiger Sicht schwere Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch begangen", heißt es unter anderem auf der Tafel.

Kaschner sieht Hinweistafel als "Zeichen des tiefen Unglaubens"

Kaschner zog in ihrem Text unter anderem einen Vergleich zum verunglimpfenden "I.N.R.I."-Schild, das Pilatus laut den Schilderungen in der Bibel am Kreuz Jesu anbringen ließ. Weiter kritisierte sie die Aufstellung der Tafel als "ein Zeichen des tiefen Unglaubens" und einen Ausdruck des Zweifels an der Gerechtigkeit Gottes. Zudem wies sie darauf hin, dass sich die beiden beschuldigten Bischöfe nicht mehr erklären könnten. "Und da sie sich durch ihren Tod nun einmal der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen haben, muss man sie wohl noch nachträglich irgendwie 'bestrafen' – und sei es eben durch eine 'Missbrauchstafel'", so die Ordensfrau. Allerdings könne man durchaus fragen, "warum dann konsequenterweise nicht an jedem Grab eines pädophilen Familienvaters, eines jeden Vergewaltigers, eines jeden Lehrers, der noch vor 50 Jahren seine Schüler verprügelt hat und an jedem Grab einer Mutter, die ein oder mehrere Kinder abgetrieben hat, genau solche Schuldtafeln zu finden" seien.

Bild: ©KNA/Julia Rathcke

Schwester Anna Mirijam Kaschner ist seit 2009 Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz und stammt gebürtig aus dem Erzbistum Paderborn.

Norpoth betonte am Dienstag in seiner Antwort, dass Kaschners Text für ihn als Missbrauchsbetroffenen "kaum zu ertragen" sei. Er sei entsetzt, weil sich in der Argumentationslinie der Ordensfrau Vergleiche und Relativierungen fänden, die sich verböten. "Die von Ihnen aufgemachte Kette menschlicher Schuldverstrickung mit Abtreibung und Kindesmissbrauch als vermeintlich gleichartigen Kettengliedern ist nicht nur in der Sache falsch, sondern auch von verstörender Instinktlosigkeit. Sie werden damit der Komplexität und den jeweils eigenen Fragen der Themen Schwangerschaftsabbruch und sexualisierter Gewalt nicht einmal im Ansatz gerecht", so Norpoth. Zudem handele es sich bei den Vorwürfen gegen die verstorbenen Paderborner Bischöfe nicht um vage Annahmen oder einseitige Beschuldigungen durch Betroffene, sondern um Feststellungen aus der diözesanen Aufarbeitung.

Norpoth warf Kaschner vor, als Verantwortliche auf einer exponierten Position in der katholischen Kirche gefangen zu sein "im Machtsystem dieser absolutistisch verfassten Kirche", weil sie in ihrem Text "ohne jede Bezugnahme auf die inzwischen sehr breite analytische Basis zum  Missbrauchsgeschehen und zu den Ursachen sexualisierter Gewalt" argumentiere. Sein Entsetzen sei umso größer, als die Generalsekretärin der nordischen Bischöfe "mit einer solchen Haltung" im Herbst dieses Jahres Teil der Weltsynode sein und dort – anders als beispielsweise die Opfer sexualisierter Gewalt – Sitz und Stimme haben werde. Und weiter: "Sie werden an Entscheidungen von wesentlichem Einfluss auf die katholische Kirche weltweit wie auch in Deutschland beteiligt sein. Das lässt meine Hoffnung auf eine Überwindung der Missbrauchskrise und eine synodal geprägte, Gerechtigkeit, Sicherheit und Geborgenheit ausstrahlende Kirche weiter schwinden."

"Unterlassen Sie in Zukunft solch empathielose, sinnentleerte Äußerungen"

Norpoth warnte Kaschner davor, das "System der Lüge" in der "Täterorganisation Kirche" fortzusetzen und damit Abertausende Opfer sexualisierter Gewalt zu missachten. Es liege auch an Kaschner persönlich, die Krise der Kirche durch Wegschauen oder Wegreden weiter zu verschärfen oder aber den Weg zu bahnen, auf dem die Kirche geläutert und vielleicht auch gestärkt aus der Krise hervorgehen könne. "Sollten Sie all das nicht erkennen und annehmen können, erfüllen Sie mir zumindest eine Bitte: Unterlassen Sie in Zukunft solch empathielose, sinnentleerte Äußerungen wie die in Ihrem Gastkommentar, mit denen Sie Opfer/Betroffene/Überlebende sexualisierter Gewalt erneut der Täter-Opfer-Umkehr und damit der Retraumatisierung aussetzen", so Norpoth am Ende seines Briefs.

Das Erzbistum Paderborn wollte sich am Dienstag auf Anfrage von katholisch.de nicht näher zu Kaschners Text äußern. "Das Erzbistum Paderborn antwortet in der Regel nicht auf offene Briefe, Leserbriefe oder Kommentare. Jede und jeder darf und soll ihre und seine Meinung äußern. Es gibt verschiedene Ansichten. Das zeigen auch die inzwischen veröffentlichten Reaktionen", erklärte ein Sprecher. (stz)

18.7., 16:14 Uhr: Ergänzt um die Stellungnahme des Erzbistums Paderborn.