Kyrill: Westen macht genau, was der Teufel will
Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., hat dem Westen erneut vorgeworfen, die menschliche Zivilisation zu gefährden. Im Westen sei der Begriff Sünde verschwunden, sagte er nach Angaben des Moskauer Patriarchats (Dienstagabend) im Dreifaltigkeitskloster von Sergijew Possad. Nun werde dort eine "Variabilität menschlichen Verhaltens" gutgeheißen. "Das ist genau das, was der Teufel will: die Konzepte von Gut und Böse durcheinanderbringen", so der 76-Jährige.
Russland sei frei von "all diesem Teufelszeug, das zur Norm in den menschlichen Beziehungen erhoben wird". Kyrill I. rief zum Kampf für Vaterland, Kirche und "die gesamte christliche Zivilisation" auf. Man müsse für die Staatsorgane, Präsident Wladimir Putin und die russische Armee beten, "damit wir unsere Positionen nicht aufgeben". Sonst werde Russland nicht nur von ausländischen Mächten besiegt, sondern "das metaphysische Ende der Geschichte" stehe bevor. Das Land befinde sich im Kampf gegen die "Weltherrscher der Finsternis".
Kyrill I. steht international in der Kritik, weil er als wichtiger Verbündeter Putins Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt. Im September 2022 hatte er russischen Soldaten versprochen, sie würden von all ihren Sünden reingewaschen, wenn sie im Krieg fallen. Das Sterben "bei der Erfüllung der militärischen Pflichten" verglich er damals mit der Opferung Jesu durch Gottvater. Großbritannien, Tschechien, Litauen, Estland, Kanada und die Ukraine verhängten Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt; EU-weite Strafmaßnahmen gegen Kyrill I. scheiterten am Veto Ungarns.
Unterdessen rief die katholische Theologin Regina Elsner dazu auf, liberale Kräfte in der russisch-orthodoxen Kirche zu stärken. Zwar spiele die orthodoxe Kirche eine "enorme Rolle" im Angriffskrieg auf die Ukraine, weil sie eine "religiös aufgeladene Kriegsideologie" unterstütze, erklärte Elsner ebenfalls am Dienstagabend in der Berliner Katholischen Akademie. Seit Jahrhunderten gebe es in der russisch-orthoxen Kirche aber auch eine derzeit unterdrückte Tradition des "regen Austausches" mit theologischen Entwicklungen im Westen Europas, die gefördert werden müsse, betonte die Ostkirchen-Expertin an der Universität Münster.
Derzeit sei dies jedoch nur möglich, indem ins Ausland geflohene russisch-orthodoxe Theologen etwa durch Förderprogramme in die Lage versetzt würden, die verdrängten liberalen Traditionen ihrer Kirche wiederzubeleben, sagte Elsner. In Russland selber sei dies kaum möglich, weil die orthodoxe Kirche dort immer noch in enger Abhängigkeit vom Staat sei und sich deshalb nicht mit gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Freiheit auseinandersetze.
"Schreckensszenario für Russland"
In der Ukraine habe sich dagegen in den vergangenen 30 Jahren gezeigt, welche Veränderungsprozesse möglich seien, wenn die orthodoxe Kirche aus der Gesellschaft dazu gedrängt werde, so die Ostkirchen-Expertin. Diese Entwicklung sei ein "Schreckensszenario für Russland" und unter anderem eine Erklärung für den Angriffskrieg.
Elsner sprach bei einer Veranstaltung mit dem Philosophen Vittorio Hösle über den Angriffskrieg auf die Ukraine. Auch Hösle wandte sich dagegen, "die Hoffnung aufzugeben, dass Völker sich verändern". Zugleich warnte er davor, "die Macht von Traditionen zu unterschätzen". Mit Blick auf die russische Orthodoxie sei er "nicht sehr optimistisch". (cbr/KNA)