Kirchen, Kreuze, Kardinäle: Ein Besuch im Miniatur Wunderland Hamburg
"Pater Pio" steht im Keller. Hier im engen Maschinenraum des Miniatur Wunderlandes steht der Kapuzinerpater in Schrumpfgröße hinter einer (für ihn) kniehohen Hecke. Bei Führungen können Kinder mit diesem Stück der Modelleisenbahn spielen – und "begreifen" wie Modellbau funktioniert. Doch Religion und Kirche gibt es im Miniatur Wunderland nicht nur "unterirdisch", vielmehr ist das Christentum in der Hamburger Touristenattraktion omnipräsent.
Im Eingangsbereich der größten Modelleisenbahnanlage der Welt in der Hamburger Speicherstand thront der Petersdom. An ihm kommen jährlich bis zu 1,5 Millionen Besucher vorbei. Der Modellbau Vatikan bildet den Auftakt zu einer Weltreise im Maßstab 1:87. Hinter ihm erstreckt sich die Ewige Stadt. Statt einem gibt es gleich drei Päpste, daneben tummeln sich Kardinäle, Ordensleute und Ministranten in der italienischen Szenerie. Selbst an weniger offensichtlichen Stellen finden sich kirchliche Bezüge: Ordensfrauen bugsieren am römischen Hauptbahnhof ein riesiges Kreuz in den Kofferraum eines viel zu kleinen Taxis, während auf dem wuseligen Parkdeck des Wunderland-Flughafens eine Sternsingergruppe samt Stern auf ihre Abholung wartet und in der Hamburger Innenstadt ein protestantischer Pastor einen Motorradgottesdienst feiert. Ganz zu schweigen von unzähligen Hochzeiten, Prozessionen, Beerdigungen, Wegkreuzen, Kirchen, Kapellen und Kirchleuten, die quer über die 1.610 Quadratmeter große Anlage verteilt sind.
Italien: 22 Kirchen auf 190 Quadratmeter
290.000 Figuren, 10.000 Autos, 1.000 Züge, 4.600 Gebäude und 145.000 Bäumchen: Wie viele Kirchen es in dieser Mini-Welt gibt, weiß selbst Modellbau-Chef Gerhard Dauscher nicht. Es gibt zwar einen eigenen Kirchenführer für die Anlage, doch der sei nicht mehr auf dem neusten Stand, sagt er. In ihm sind 16 Kirchen und ihre Geschichte verzeichnet. Doch allein im 2016 gebauten Abschnitt "Italien" gibt es auf 190 Quadratmetern 22 Gotteshäuser.
"Kirchen und Kreuze gehören einfach ins Landschaftsbild", sagt Dauscher. Dabei achten die Modellbauer in Hamburg darauf, dass die Gotteshäuser und das Kirchenpersonal zur jeweiligen Region passen. So finden sich in Süddeutschland eher Geistliche in katholischer Amtskleidung, während rund um den Hamburger Michel ("Das war übrigens eine der ersten Kirchen") protestantische Talare und Bäffchen die Figürchen kleiden. Um solche Unterschiede herauszufinden, gehen die Modellbauer regelmäßig auf Online-Exkursion. "Vor allem Google Maps ist uns da eine große Hilfe", sagt Dauscher. "Wir wandern wirklich stundenlang mit Google durch Straßen und schauen, wie die Leute aussehen, was sie machen, wie die Häuser und Gärten sind." Aber auch Gespräche und Vor-Ort-Besuche helfen den Modellbauern, ihre Anlage möglichst realistisch zu gestalten. Gleiches gilt für die Sakralarchitektur: "Im Norden haben wir eine Stabkirche, im Süden stehen Zwiebeltürme und Wegkreuze", sagt Dauscher. Mit ihrem Modellbau wollen die Hamburger eine Begegnung mit der lokalen und manchmal auch fremden Kultur ermöglichen. Religion gehöre da selbstverständlich dazu, betont der Modellbau-Chef.
Das sei auch eine Folge davon, dass ihre Szenerien immer spezifischer würden, erzählt er. In der Anfangszeit – vor mehr als zwanzig Jahren – hätten sie vor allem fertige Bausätze aus dem Spielzeughandel benutzt und zusammengebaut. Dabei veränderten sie gelegentlich etwas, aber im Großen und Ganzen blieben die Bausätze, wie sie waren. Dann fingen die Modellbauer in ihren Werkstätten aber an, Häuser selbst zu zeichnen, auszufräsen und zusammenzubauen. "Wenn man Gebäude selbst baut, hat man den Luxus, dass man wählen kann, was man baut", sagt Dauscher. Das gilt aber nicht nur für Gebäude, sondern auch für die Figuren. Bei den Ordensfrauen auf der Anlage lässt sich diese Liebe zum Detail beobachten: Während die Schwestern im österreichischen Biergarten oder am italienischen Bahnsteig klassisch schwarz-weiß tragen, tragen die Ordensfrauen am Fuße der Monumentalfigur Cristo Redentor ("Christus, der Erlöser") auf dem Berg Corcovado über Rio eine blau-graue Ordenstracht und haben dunklere Haut. "Die Figuren, die für den europäischen Markt produziert werden, entsprechen natürlich nicht den Wirklichkeiten in Südamerika. Also müssen wir sie modifizieren", erklärt Dauscher.
Mittlerweile kommt in der Wunderland-Werkstatt auch 3D-Druck-Technik zum Einsatz – zum Beispiel beim Petersdom. Damit konnten Säulen und Kapitelle mit der Präzision gefertigt werden, die Dauscher bei seiner Arbeit erwartet. Insgesamt bauten die Modellbauer knapp 22 Monate an der vatikanischen Basilika, die aus rund 22.000 Einzelteilen besteht. Auch hier war Erfindergeist gefragt, denn natürlich hatte kein Hersteller die Figuren von Berninis Kolonnaden im Sortiment. Also halfen sich die Hamburger mit Modellfiguren aus dem Handel und Servietten, um die Schar der Heiligen samt ihrer Attribute nachzubauen.
Doch bevor das kleine Rom gebaut werden konnte, ging es für das Modellbauteam zum Original. "Wir waren mit ein paar Leuten in Rom und haben ganz viele Fotos gemacht", erzählt Dauscher. So stand er neben Brunnen, Palazzi und auf dem Petersplatz – "der Maßstab war ich. Manch ein Portal im Vatikan ist 'zweimal der Gerd' groß." Bei ihrer Exkursion kamen sie auch an die "verrücktesten Stellen" im Vatikan, erzählt er. "Es gibt immer wieder so Stellen, die findet man nie in irgendwelchen Büchern oder Bildbänden. Keiner weiß, was dahinter ist. Das muss man dann einfach persönlich erkunden." So fand auch der deutsche Friedhof im Vatikan, der Campo Santo Teutonico, seinen Platz in der Hamburger Wunderland-Welt – originalgetreu mit Friedhofskreuz, Palmen und den großen Glasfenstern.
Dauscher, ein bayerischer Protestant, ist noch immer fasziniert von seiner Tour in den Vatikan. "Ich fand es sehr beeindruckend im Petersdom. Zum einen natürlich die Größe; aber vor allem die religiöse Aura." Besonders begeistert war er, "am Grab von Petrus zu stehen. So nah an einem der Urväter zu sein, der daran beteiligt war, dass das Christentum eine Weltreligion wurde", erinnert er sich. Für ihn hat der Modellbau auch etwas Spirituelles. Sein Anliegen ist es, "die Schönheit der Welt" nachzubauen. "Ich würde mal sagen, wir haben schon jemanden, der gute Vorarbeit geleistet hat", sagt er. "Der Schöpfer musste sich etwas komplett Neues ausdenken, er musste erst mal die Erde erfinden und dann die Menschen", sinniert er. Er und sein Team saugen schließlich nur noch auf, was sie vor der Tür vorfänden. "Unser Wunderland ist ein Spiegelbild dessen, was uns gefällt, wie uns die Welt inspiriert."
Satirischer Blick auf die Kirche
Diese spirituelle Deutung der Arbeit können nicht alle seiner Kollegen nachempfinden. "Nur zwei bei uns im Team sind Kirchenmitglieder", erzählt er. Vor allem ältere Kollegen arbeiteten sich auch mal satirisch an der Kirche ab. Sie hätten die Kirche noch autoritär erlebt "– mit Züchtigungen und so". Manchmal sei in ihrer Arbeit daher auch ein Augenzwinkern dabei. "Da kommen dann auch mal anrüchige Szenen rein, die ja vielleicht auch der Realität entsprechen", sagt er und spielt damit auf lüsterne Mönche in der Anlage an. Diese Szenen würden aber eher nicht in der ersten Reihe platziert werden – "um niemanden zu ärgern".
Ganz anders gingen jüngere Kollegen mit der Kirche um. Viele hätten gar keine kirchlichen Berührungspunkte und gingen daher unverkrampfter an das Thema heran, sagt Dauscher. Im Laufe der Zeit wachse dann ein Verständnis für die Riten und Traditionen fremder Kulturen und Religionen, sagt der Modellbauer. "Wenn du mal die 40. Kirche gebaut hast, dann kommt der Reiz, sich einer anderen Religion zu nähern und dort durch den Modellbau deren Religiosität und Kultur zu verstehen", fügt Dauscher hinzu. Er freut sich schon auf die nächsten Gotteshäuser in Asien, Afrika und "natürlich dem Orient".